USA bei der Fußball-WM:Ein zweiter Platz ist nichts für Klinsmann

World Cup 2014 - Group G - USA vs Portugal

US-Trainer Jürgen Klinsmann will das letzte Gruppenspiel gegen Deutschland gewinnen.

(Foto: dpa)

Ehrgeizig, zuversichtlich, lebensfroh: US-Trainer Jürgen Klinsmann hat eine Mannschaft geschaffen, die seinem Ebenbild entspricht. Nach dem starken Auftritt gegen Portugal reicht bereits ein Unentschieden im letzten Spiel fürs Achtelfinale. Doch Klinsmann will Deutschland schlagen.

Von Thomas Hummel, Fortaleza

Jürgen Klinsmann weiß, welche Wirkung so ein Nachspielzeit-Treffer auslösen kann. Damals in Dortmund: Flanke Odonkor, Schuss Neuville. Das Westfalenstadion gab einen stratosphärischen Schrei von sich, ein ganzes Land hob geschlossen ab. Am höchsten sprang natürlich der damalige Bundestrainer Jürgen Klinsmann. Es war der Knalleffekt, mit dem das deutsche Sommermärchen begann.

Nun wieder: zweites WM-Gruppenspiel, 95. Minute, dieses Mal Flanke Ronaldo, Kopfball Varela. Jürgen Klinsmann in Schockstarre.

Das 2:2 für Portugal gegen die USA kam in der Arena da Amazônia so überraschend daher wie ein Schneewind. Dass die bei mehr als 30 Grad und 92 Prozent Luftfeuchtigkeit total ausgelaugten Portugiesen nach dem 1:2 noch einmal eine Regung machen würden, damit hatte niemand mehr gerechnet.

Klinsmann brauchte eine Weile, um diese Ronaldo-Flanke samt Varela-Tor zu verdauen. Er stand regungslos in seiner Trainerzone. Doch wie der frühere Schwabe eben so ist, aktivierte er bald den Optimismus-Knopf. Negative Schwingungen sollten gar nicht erst aufkommen, nur ja kein brasilianisches Märchen mit schlechtem Ende. Er bedankte sich aktiv wie kein anderer Trainer bei dieser WM für die Unterstützung der Fans und sagte: "Wenn du in der letzten Sekunden ein Tor kriegst, bist du natürlich enttäuscht. Es war ein unglaubliches Spiel, eine unglaubliche Leistung von uns."

Wenn der 49-Jährige eine Mission übernimmt, dann mit voller Kraft und Wucht. Er war schon immer ein sehr ehrgeiziger Mensch, der sich selbst keine Fehler gestattet und jede Niederlage persönlich nimmt. Deshalb war es kaum verwunderlich, als er anfügte: "Jetzt müssen wir Deutschland schlagen."

Es gab nun mehrere Interpretationen dieser letzten Aussage. Eine wäre, dass sich Jürgen Klinsmann schlicht verrechnet hatte, denn am Donnerstag in Recife würde am letzten Spieltag der Gruppe G beiden Teams ein Unentschieden reichen, um in die K.-o.-Runde einzuziehen. Allerdings wären die Amerikaner bei einem Remis nur Zweite in der Gruppe und hätten wohl das schwierigere Achtelfinale gegen Belgien vor sich. Außerdem ist ein zweiter Platz nichts für einen Klinsmann. Und auf Unentschieden spielen oder auch nur schielen, ist überhaupt nichts für einen Klinsmann.

Die Partie gegen Portugal hat verdeutlicht, dass er eine Mannschaft geschaffen hat für diese WM, die seinem Ebenbild entspricht. Ehrgeizig, zuversichtlich, lebensfroh. Und wenn es sein muss, dazu bereit, sämtliche inneren Schweinehunde auf dieser Fußball-Welt zu überwinden.

Die Bedingungen in Manaus glichen auch diesmal einem Hallenbad. Selbst der brasilianische TV-Kommentator wies alle fünf Spielminuten darauf hin, wie entsetzlich heiß es doch hier wäre. Regel Nummer eins in Manaus heißt deshalb: Rückstand vermeiden. Sonst muss man noch viel mehr rennen und kämpfen, um das irgendwie wieder aufzuholen.

Nun, die USA gingen schon nach fünf Minuten in Rückstand, nachdem Verteidiger Geoff Cameron ein solch fürchterlicher Fehltritt unterlief, dass Torwart Tim Howard vor Schreck freiwillig zu Boden sank und Nani gar nicht mehr vorbeischießen konnte (4.). Doch beeindruckte das die Amerikaner? Nein.

"Fußball kann grausam sein"

Sie hatten einen Plan gegen Cristiano Ronaldo. Sie gingen ihn hart und energisch an, wo auch immer er den Ball erhielt, was bis zur 95. Minute die erwünschte Wirkung entfaltete. Bei eigenem Ballbesitz sprinteten auf der Außenbahn Spieler nach vorne. Dort lauerten sie auf Zuspiele hinter die portugiesische Abwehrreihe. Damit überspielten die Amerikaner regelmäßig die schon gegen Deutschland staksige Defensive Portugals.

Einmal half ihnen das Glück, als Howard danebengriff und Nanis Schuss an den Pfosten klatschte (45.). Die Wende im Spiel nach der Halbzeit war dennoch hoch verdient. Jermaine Jones (64.) per Fernschuss und Clint Dempsey (81.) mit dem Bauch drehten die Partie. "Wir hatten schon einen Fuß in der Tür", klagte Howard später, "aber Fußball kann grausam sein."

Der Torwart führte folglich aus, wie das Team mit diesem Schlag umgehen wolle: "Wir geben uns 24 Stunden, um zu sehen, was wir falsch gemacht haben." Da war er wieder, der Klinsmann-Trick. Nur nicht zu viel hadern, nicht zu viel über Fehler nachdenken. Sondern die Stärken betonen, nach vorne blicken. Damit hat er in der amerikanischen Nationalmannschaft offenbar einen Motto umgesetzt, über das sie in München heute noch lachen: Jeden Tag seine Spieler ein bisschen besser machen.

Zum Beispiel Fabian Johnson. Der Deutsch-Amerikaner bot auf der rechten Außenbahn eine fulminante Partie. Auch wenn diese Feststellung Cristiano Ronaldo nicht gefällt: Der gebürtige Münchner war der beste Mann auf dem Platz. Ballsicher, souverän und mit etlichen Sprints in die Tiefe. In der ersten Halbzeit knallte er den Ball mit links aus 25 Metern nur knapp am Kreuzeck vorbei. Später servierte er Michael Bradley den sicheren Ausgleich, doch der traf das Knie des einzigen Verteidigers, der auf der Linie stand. Auch wenn Johnson in Hoffenheim zum Stammspieler gereift und nun von Gladbach abgeworben worden war, eine solche Vorstellung hat noch niemand gesehen von dem 26-Jährigen.

Oder Jermaine Jones. Ein paar seiner typischen Fehler hatte er drin im Aufbauspiel, aber insgesamt beherrschte er mit Bradley das Zentrum des Platzes auf eine Weise, dass sich bei seinem ehemaligen Arbeitgeber Schalke einige die Augen gerieben haben dürften. Sein Schuss zum 1:1 aus 20 Metern war geprägt von Selbstvertrauen und Kraft.

Die Amerikaner haben keinen einzigen Spieler dabei, der bei einem Verein mit gehobenem Champions-League-Niveau spielt. Das schimmert hier und da durch, wenn nicht jeder Pass sitzt und nicht jede Aktion die Eleganz der ganz großen Könner ausstrahlt. Doch die körperliche Wucht des Teams ist enorm. Der Glaube an das eigene Fortkommen spürbar. "Wir sprechen jeden Tag darüber, wie wir an den härtesten Tagen auftreten wollen. Wenn die größten Prüfungen kommen, wie wir in schwierigen Momenten dann antworten", erklärte Bradley.

Zum Endspiel um den Gruppensieg fliegen Amerikaner und Deutsche wieder in den Nordosten Brasiliens, nach Recife. Spielbeginn am Donnerstag: 13 Uhr. Die Sonne wird direkt auf den Platz knallen. Es würde nicht verwundern, käme auf die Spieler einer der härtesten Tage mit den größten Prüfungen zu.

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