Baseball in den USA:Das tröstliche Spiel kann nicht mehr helfen

Baseball in den USA: Leer: der Oriole Park in Baltimore.

Leer: der Oriole Park in Baltimore.

(Foto: AP)
  • Baseball ist in den USA mehr als nur ein Sport. Er ist tief in der Kultur des Landes verwurzelt.
  • In allen Krisen wurde weitergespielt. Egal ob nach dem Angriff auf Pearl Harbor oder nach den Anschlägen vom 11. September.
  • Doch nun zwingt die Corona-Pandemie auch diesen Sport zur Pause.

Von Hubert Wetzel, Washington

Ein Tennisspieler. Ausgerechnet. Er springt vor der Mauer herum und schlägt sein gelbes, flauschiges Bällchen dagegen. Und das ist nun wirklich eine Frechheit, denn die Mauer gehört nicht zu irgendeiner Tennishalle, sondern zum Nats Park. Normalerweise spielen hier die Washington Nationals Baseball, ein Spiel, bei dem mit Schlägern aus hartem Eschenholz auf kaum weniger harte Bälle aus Leder eingedroschen wird.

Wären die Zeiten normal, dann hätten sich am 26. März überall in den USA die Baseball-Fans zu einer Art sportlichem Hochamt versammelt. Das halbe Land wäre in Stadien und Kneipen gepilgert, um den "Opening Day" zu feiern, den ersten Spieltag der neuen Saison. Aber die Zeiten sind nicht normal. Das Coronavirus wütet auch in Amerika. Deswegen waren die Stadien und Kneipen leer, der Opening Day wurde abgesagt, die gesamte Baseball-Saison 2020 ist auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Und der einzige Ball, der am Donnerstag beim Nats Park herumflog, war ein elender Tennisball.

Um zu verstehen, was das bedeutet, hilft es, einen Blick in die Geschichte werfen: In den Vereinigten Staaten wird seit 1869 professionell Baseball gespielt. Seit 1875 gibt einen Ligabetrieb. Die heutige Profiliga Major League Baseball (MLB) wurde 1903 gegründet. Amerika hat in diesen eineinhalb Jahrhunderten Kriege und Wirtschaftskrisen erlebt, Rassenunruhen und Terroranschläge. Aber Baseball wurde trotzdem immer gespielt.

Es gab Jahre, in denen begann die Saison verspätet, weil die Spieler streikten; oder in denen am Opening Day einige Spiele abgesagt wurden, weil es regnete. Aber noch nie ist ein ganze Saison ausgefallen, schon gar nicht wegen einer äußeren Bedrohung. Ob es dieses Jahr so schlimm kommt, ist unklar. Sicher ist: Das Virus hat geschafft, was bisher nichts und niemand je geschafft hat. Es hat Baseball in Amerika zum Stillstand gebracht.

Baseball ist nicht irgendein Sport in den USA

Nun kann man sagen: Macht ja nichts. Ist doch nur Sport. Aber das stimmt nicht. Baseball ist nicht irgendein Sport in den USA, sondern "America's pastime" - Amerikas Freizeitvergnügen. Es wird von Fünfjährigen gespielt, die kaum den Schläger halten können, und von Profis, die zig Millionen verdienen. Es wird auf staubigen Feldern in Parks gespielt und auf dem manikürten Rasen der Stadien.

Baseball ist so tief und breit in der amerikanischen Kultur verankert wie kein anderer Sport. Schon vor mehr als 170 Jahren pries Amerikas Nationaldichter Walt Whitman Baseball als "herrlich": "The game of ball is glorious", schrieb er 1846. Später nannte er Baseball "unser Spiel". In J. D. Salingers Roman "Der Fänger im Roggen" kritzelt ein Schüler Gedichte auf einen alten Baseballhandschuh. Und Billy Joel hat davon gesungen, dass "Stickball", die Straßenvariante von Baseball, für ihn einst die Schulausbildung ersetzt hat, als er in der Bronx aufwuchs: "I learned stickball as a formal education."

Baseball in den USA: Vor leeren Rängen: Die Statue des Hall-of-Fame-Baseballers Jim Thome im Stadion der Cleveland Indians.

Vor leeren Rängen: Die Statue des Hall-of-Fame-Baseballers Jim Thome im Stadion der Cleveland Indians.

(Foto: Tony Dejak/AP)

Football, Basketball, Eishockey, zuweilen sogar Tennis - damit wird in den USA viel Geld verdient. Und Football hat bessere Fernsehquoten als Baseball. Aber Baseball ist das Spiel, das den Alltagsrhythmus vorgibt. Frühling und Sommer in Amerika, das bedeutet Baseball - sechs, sieben Monate lang und praktisch jeden Tag. Die 30 MLB-Mannschaften spielen in einer Saison jeweils unglaubliche 162 Spiele, die Hälfte davon daheim, die andere Hälfte auswärts. Insgesamt finden pro Saison also um die 2400 Profispiele statt. Und dann folgt die Nachsaison, die mit der Meisterschaftsserie endet, der World Series. Da kommen dann noch einmal ein paar Dutzend Spiele zusammen.

Das heißt: In normalen Jahren ist Baseball in Amerika von April bis Oktober allgegenwärtig. Die Spiele laufen im Fernsehen und im Radio. Oder man schaut Baseball live - etwas Amerikanischeres, als in den "Ballpark" zu gehen, gibt es kaum. Man kann tagsüber ins Stadion gehen und sich in der flirrenden Hitze ein Spiel ansehen oder am Abend, wenn es kühl ist. Man kann am Wochenende in einem ausverkauften Stadion sitzen oder an einem freien Nachmittag in einem, in das sich nur ein paar Tausend Zuschauer verlaufen haben. Die billigsten Karten kosten oft nicht mehr als zehn Dollar.

Und vielleicht macht das die derzeitige Lage so verstörend: Etwas, das seit Generationen immer da war, ist plötzlich weg. Der Alltag hat einen Riss bekommen. Und es gibt nichts, um ihn zu kitten.

Es soll Menschen geben, die Baseball langweilig finden, weil angeblich nichts passiert. Aber das ist falsch. Beim Baseball passiert sehr viel. Allerdings passiert alles Wichtige mit so großer Geschwindigkeit und in so kurzen Augenblicken, dass man den Eindruck bekommen kann, in der Zeit dazwischen herrsche eine gewisse Untätigkeit auf dem Feld. Doch wenn man diese Zeit nutzt, um sich ein Bier und einen Hot Dog zu holen oder mit dem Sitznachbar zu reden, kann auch ein dreistündiges Baseballspiel spannend sein.

Roosevelt bat um Baseball nach Pearl Harbor

Baseball, so hat Thomas Boswell, der Sportkolumnist der Washington Post, vor einigen Tagen geschrieben, sei ein tröstliches Spiel, eine "großartige Stütze" in unsicheren Zeiten. Das sagt wohl jeder Fan über seinen Sport. Aber Boswell ist nicht längst nicht der Einzige, dem das aufgefallen ist. Präsident Franklin D. Roosevelt bat die Baseball-Liga im Januar 1942, einen Monat nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor, ausdrücklich darum, im Frühjahr zu spielen, damit die Menschen an etwas anderes denken können als an Krieg. "Ich denke, es wäre das Beste für das Land", schrieb er in einem Brief. Er hatte recht. In New York wurde am 21. September 2001, zehn Tage nach den 9/11-Attentaten, wieder Baseball gespielt. Für die verwundete Stadt war das wie ein Sieg über den Terror, ein Zeichen, dass Normalität wieder möglich ist.

Ob das Virus diese Normalität in diesem Jahr noch zulassen wird, ist völlig offen. Die MLB hofft derzeit, die Saison 2020 vielleicht im Herbst doch noch spielen zu können. Es wird darüber nachgedacht, die Spiele zu verkürzen, damit zwei Begegnungen an einem Tag stattfinden können. Das wäre zwar nur eine Art Notsaison. Aber immerhin gäbe es dann einen Opening Day.

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