US-Sport:Abschluss-Jahrgang ohne Abschluss

US-Sport: Pause: Auch der Berliner Student Franz Wagner muss mit seinem Collegeteam aus Michigan derzeit das Basketballspielen sein lassen.

Pause: Auch der Berliner Student Franz Wagner muss mit seinem Collegeteam aus Michigan derzeit das Basketballspielen sein lassen.

(Foto: Jose Juarez/AP)

Die Stilllegung des Nachwuchssports hat in den USA unabsehbare wirtschaftliche Folgen.

Von Felix Haselsteiner, Orlando

Lexi Donarskis High-School-Karriere endete am Montag doch noch mit einem Pokalgewinn. Immerhin die Trophäe als "Miss Basketball Wisconsin" sicherte sich die Nachwuchs-Spielerin der Aquinas High School in La Crosse, trotz der Absage der Finalspiele. Es wären nach drei Jahren ihre letzten Auftritte an ihrem Heimatort gewesen, die letzte Chance auf einen Mannschaftstitel, die nun wegen des Coronavirus dahin ist. Donarski gilt als eines der größten Talente im amerikanischen Basketball, sie hat für die nationale Jugendauswahl gespielt und wird nun ans College wechseln, wo sie als Guard für die Iowa State University auflaufen soll. Die High-School-Finals wären die Chance gewesen, die beeindruckende Bilanz ihrer Mannschaft zu krönen: Nach 107:3 Siegen in vier Jahren und zwei gewonnenen Meisterschaften nacheinander wird es keinen dritten Titel mehr geben. Alle High-School-Turniere, alle College-Turniere, der gesamte Nachwuchssportbetrieb in den USA wurde in den vergangenen Tagen mit sofortiger Wirkung eingestellt.

"Ich weiß nicht, wie man damit umgehen soll, was gerade passiert ist", sagte Lexis Vater Dave Donarski, der Trainer der Aquinas, der Zeitung La Crosse Tribune. Für die jungen Sportlerinnen sei die Situation jedenfalls belastend. "Können wir das Turnier nicht verschieben?", fragte er beim Verband an, der seine Entscheidung aber längst gefällt hatte.

Der US-Sport ist derzeit auf mehreren Ebenen vom Coronavirus betroffen, mit persönlichen und finanziellen Konsequenzen, teils existenzbedrohend. Auf der emotionalen Ebene sind es Geschichten wie die der jungen Basketballspielerin aus Wisconsin, die von einer gewissen Tragik zeugen. Im Profisport gibt es ähnliche Fälle: Der Basketballer Vince Carter, 43, spielt bei den Atlanta Hawks seine rekordträchtige 22. und letzte Saison. In der vorigen Woche wurde er kurz vor Schluss des Spiels gegen die New York Knicks schnell eingewechselt, als sich die Nachricht über den bevorstehenden Saisonabbruch in der Arena verbreitete. Carter traf noch einen Dreier, er wurde von den Fans gefeiert, aber ob sein 1541. Aufritt in der NBA tatsächlich der letzte war, ist offen: Die Saison ist offiziell nur unterbrochen, wie's weitergeht, ist unklar.

Eine andere Ebene ist die finanzielle: Die Solidarität im Profi-Basketball wird wohl dazu beitragen, kurzfristig die Lage zu entschärfen. Mark Cuban, Eigentümer der Dallas Mavericks, richtete einen Fonds für die nun arbeitslosen Arenamitarbeiter ein, andere folgten seinem Beispiel; Spieler spendeten Millionen. Doch darunter?

Der Studentensport an den Colleges setzt aus, die Zeitung USA Today taufte den Turnier-Spitznamen "March Madness" in "March Sadness" um, weil mehr als 800 Basketball-Talente nun die Saison beenden, ohne die K.-o.-Runden um den Titel. Für manche gibt es im nächsten Jahr erneut eine Chance, diejenigen aus dem Abschluss-Jahrgang aber müssen nun Klubs finden, ohne sich auf der großen Bühne vorgestellt zu haben, auf der sie sich normalerweise zeigen. Die Alternative, eine weitere Saison auf dem College anzuhängen, könnte das Stipendien-System an seine Grenzen bringen. Überhaupt ist davon auszugehen, dass die finanziellen Leistungen für die Ausbildung junger Sportler angesichts der wirtschaftlichen Lage in nächster Zeit eher rückläufig sein werden. Die Folgen sind wohl erst absehbar, wenn klar ist, wie lang die Pause im US-Sport dauern wird.

Massiv betroffen ist auch der Schulsport, der in den USA, anders als in Europa, ein großes Geschäft ist: Er ersetzt im Grunde das komplette Vereinswesen, das man hierzulande kennt. Im High-School-Basketball allein wurden in der vorigen Woche 14 regionale Finalwettbewerbe abgesagt und 19 auf unbestimmte Zeit verschoben. Schätzungsweise 45 Millionen Kinder und Jugendliche betreiben in den USA Schulsport, 75 Prozent der Familien haben mindestens ein Kind in diesem System. Die Schulsportindustrie, die komplett ruht, ist laut der New York Times etwa 15 Milliarden US-Dollar wert, eingepreist sind darin unter anderem Trainer, Reisen, Sponsoring und Sportausrüstung. Die langfristigen Implikationen einer andauernden Stilllegung jeglichen Sportbetriebs sind unabsehbar.

Kurzfristig greift man in den USA zu alternativen Mitteln, um die Schüler weiterhin zu bewegen. Das Aspen Institute, ein US-Thinktank, veröffentlichte einen Ratgeber, wie Eltern aktuell mit physiologischen und psychischen Auswirkungen der fehlenden Wettbewerbe auf die jungen Athleten umgehen sollten: Sie sollten zu Hause strikte Trainings-Routinen entwickeln, Kinder sollten derweil im Hof oder auf der Straße in kleinen Gruppen Sportarten wie Fußball ausüben, bei denen die Sportgeräte nicht mit Händen berührt werden. Ein Fußballcoach in New Jersey war besonders kreativ: Bei Instagram und Facebook können die Kinder des Teams von Will Gould an einem Livestream-Training teilnehmen, die Übungen werden per Kamera vorgezeigt und sollen dann zu Hause wiederholt werden. "Jede Sportart kann man virtuell gemeinsam trainieren", erklärte Gould und forderte andere Trainer auf, das "virtual practicing" zu fördern: "Es braucht nur einen Coach, der sich die Zeit nimmt."

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