Halbfinale der US Open:Und jetzt die volle Ladung Djokovic

US Open 2021: Alexander Zverev beim Spiel gegen Lloyd Harris

Sehr unterschiedliche Annäherung ans erhoffte Traumhalbfinale: Während Alexander Zverev (rechts mit Handtuch) dabei half, die klebrigen Spuren eines Energiedrinks von Viertelfinalgegner Lloyd Harris (im Hintergrund) wegzuwischen...

(Foto: ELSA/AFP)

Ein Halbfinale wie ein Endspiel: Alexander Zverev trifft wie bei Olympia auf Novak Djokovic. Die große Frage ist, ob er den zähen Serben auch auf drei Gewinnsätze schlagen kann.

Von Jürgen Schmieder, New York

Ein Witz ist ja immer dann ganz besonders lustig, wenn die Pointe eine Wahrheit transportiert. "Ich werde die Partie im Hotel verfolgen", sagte Alexander Zverev nach seinem entspannten Viertelfinale gegen den Südafrikaner Lloyd Harris (7:6, 6:3, 6:4): "Die sollen es sich von mir aus viereinhalb Stunden geben, der Sieger soll völlig erschöpft zu mir auf den Platz kriechen, und ich komme ins Endspiel." So lange dauerte sie nicht, diese Partie zwischen Novak Djokovic (Serbien) und Matteo Berrettini (Italien), aber immerhin knapp dreieinhalb.

2021 US Open - Day 10

versuchte Novak Djokovic später am Abend in seinem Match gegen Matteo Berrettini mal wieder, sich den Respekt des New Yorker Publikums zu erarbeiten. Und ja, er spielte wirklich überragend.

(Foto: ELSA/AFP)

Es war ein packendes, hochklassiges Match, doch am Ende stand eben dieses Ergebnis auf der Anzeigetafel: 5:7, 6:2, 6:2, 6:3 für Djokovic, und das führt zur Frage: Kann man diesen Typen in einem Best of 5-Spiel besiegen? In diesem Jahr hat es noch keiner geschafft, deshalb kann Djokovic bei den US Open den Grand Slam komplettieren. Es konnte ihn bei diesem Turnier bislang noch niemand in Gefahr bringen, ja noch nicht einmal verwunden. Ja, er hat in vier von fünf Partien jeweils einen Satz verloren, aber das ist in etwa, als würde man nach 4:1-, 5:1- und 7:1-Siegen des FC Bayern wegen des jeweiligen Gegentors (und vielleicht sogar Rückstandes) eine Schwäche vermuten.

Wieder steigert sich Djokovic nach anfänglichen Problemen

"Ich habe am Ende des ersten Satz ein wenig gewackelt, aber dann war ich, wie man so schön sagt: In the zone - und ich habe dann mein bestes Tennis bei diesem Turnier gespielt", sagte er danach. Er war, wie man auf Deutsch sagen würde, in seinem Element, und weil er gerade so schön plauderte, lieferte er Zverev eine Blaupause dafür, wie das womöglich klappen könnte beim Duell nach Sonnenuntergang am Freitagabend (Eurosport, nicht vor 21 Uhr MESZ): "Es ist schwer, dieses Element, diesen Tunnel zu erreichen, und es ist noch schwerer, darin zu verweilen. Es ist der am schwierigsten zu erreichende Ort."

Er gönnt sich durchaus Momente außerhalb seines Elements; die große Kunst ist es, die überhaupt erst zu erkennen. Viele glauben, dass Djokovic verwundbar sei, wenn er Schimpftiraden in Richtung seiner Begleiter schickt - das stimmt jedoch nicht, ganz im Gegenteil, er ist dann in the zone. Probleme hat er zum Beispiel, wenn er grimmig guckt, sich viel Zeit lässt und vor dem ersten Aufschlag den Ball häufiger als 18 Mal auftippt; beim entscheidenden Break gegen sich im ersten Satz gegen Berrettini waren es einmal gar 21 Tipper. Diese Momente muss man nutzen, sich selbst ins eigene Element transportieren; Timing ist alles beim Duell mit dem kaum Verwundbaren - freilich ist das leichter gesagt als getan.

Zverev hat bewiesen, dass er das kann; vor ein paar Wochen bei Olympia in Tokio, und er wertet diesen Halbfinalsieg gegen Djokovic als die tollste Leistung seiner Karriere. "Ich war völlig raus aus der Partie, einen Satz und ein Break hinten", sagt er. Djokovic war in the zone, doch Zverev holte ihn raus, indem er plötzlich mit dem Risiko des Verzweifelten spielte - und es funktionierte. Es folgte eine kleine Krise von Djokovic, die Zverev erspähte und den Gegner mit ein bisschen weniger Risiko, aber dennoch mit aggressiver Spielweise zu Fehlern zwang. Djokovic sagt nun: "Ich habe ein bisschen an mir gezweifelt, er hat meinen Aufschlag gelesen und selbst fantastisch serviert - und schon war die Partie vorbei."

Best of 5, das heißt auch: Ohne Schwächephasen von Djokovic wird Zverev kaum gewinnen können

Wer die Olympia-Partie nochmal betrachtet, dürfte feststellen, dass sie mit einem Grand-Slam-Match so viel gemein hat wie das Arthur Ashe Stadium mit Court 5 - und das soll wirklich keine Schmälerung der Goldmedaille von Zverev sein. "Man muss einen Satz mehr gewinnen", sagte Zverev grinsend auf die Frage, wo der Unterschied liege zwischen einem Best-of-three-Match wie in Tokio und einem Grand-Slam-Duell, das möglicherweise fünf Sätze dauert - und auch das ist witzig, weil es wahr ist. Es braucht in diesen Partien mehrere Schwächephasen von Djokovic, und es braucht die mentale Kraft, die Zone-Phasen des Gegners ohne Wut oder gar Resignation zu überstehen. Nochmal: leichter gesagt als getan; Zverev sagt: "Es gibt einen Grund dafür, warum er bei den Grand-Slams in diesem Jahr noch keine Partie verloren hat."

Der Grund: Djokovic zieht aus diesen Momenten, in denen es nicht läuft für ihn, zusätzliche Kraft, und warum das so ist, das verriet er nach der Partie gegen Berrettini: "Je größer die Bühne, je besser der Gegner, und schwieriger eine Partie, desto großartiger ist es, die Herausforderung zu meistern, desto größer ist der Ruhm." Wenn er das geschafft hat, brüllt er zu seinen Begleitern, er tippt sich an seine Stirn als Zeichen mentaler Stärke oder legt den Finger ans Ohr, wie er es gegen Berrettini immer wieder getan hat als Botschaft an Zuschauer und Gegner: Und nun? Auch wenn er keine Fragen mehr zur historischen Dimension beantworten will: Er wirkt angespannt, aber nicht verkrampft - und auch das ist ein Irrglaube, bei ihm aufgrund der Anspannung Schwäche zu vermuten. Er will genau das haben, er interpretiert das als Privileg.

Djokovic' Versprechen ist eine Drohung: "Je länger ein Spiel dauert, desto weniger Probleme habe ich"

Bei Olympia ist er gescheitert, weil Zverev meisterhaft gespielt hat. Es stimmt, wenn der sagt: "Ich bin der einzige bislang, der ihn in diesem Jahr bei einem Riesen-Event besiegt hat." Und es ist völlig richtig, dass er Stärke aus diesem Erfolg zieht: "Es stellt was mit einem an. Es war anders als jedes andere Match, es waren völlig andere Emotionen." Es stimmt aber auch, dass die Partie zum Zeitpunkt, an dem sie in Tokio entschieden war, in New York erst so richtig beginnen würde. "Jetzt ist es Best of 5, jetzt ist es ein Grand Slam", sagt Djokovic: "Ich gehe gern über die volle Distanz. Je länger ein Spiel dauert, desto weniger Probleme habe ich. Fünf Sätze, fünf Stunden - was immer es braucht."

Tokio 2020 - Tennis

Ein Moment, an sich zumindest einer der beiden gerne erinnern wird: Novak Djokovic (links) gratuliert Alexander Zverev zu dessen Sieg im Olympia-Halbfinale.

(Foto: Jan Woitas/dpa)

Andy Roddick, US-Open-Sieger 2003, schrieb bei Twitter: "Erst nimmt er dir die Beine, und dann raubt er deine Seele." Das ist natürlich übertrieben, aber es stimmt dann schon: Djokovic ist der fitteste Spieler im Männertennis, körperlich wie geistig, und das zeigt sich nun mal bei Partien über drei Gewinnsätze ganz besonders, die einem sowohl physisch als auch psychisch sehr viel abverlangen. Wer kann das schon: fünf Stunden lang hochkonzentriert seine Arbeit verrichten?

Was Zverev hoffnungsfroh stimmen dürfte, vielleicht noch mehr als der Olympiasieg: Er hat nun seit 16 Partien nicht mehr verloren, und auch in New York konnte ihn bislang niemand gefährden. Ja, auch er musste ein paar Mini-Krisen überstehen; er gab gegen Jack Sock (USA) einen Satz ab und musste gegen Jannik Sinner (Italien) und Harris insgesamt sechs Satzbälle abwehren. Ernsthaft in Gefahr war er, wie Djokovic, bislang dennoch nicht. Sie begegnen sich nun also zum Duell nach Sonnenuntergang, und der große Unterschied zu Partien vor Olympia dürfte sein: Zverev glaubt nicht mehr nur daran, dass er Djokovic aus der Zone holen und auf großer Bühne besiegen kann. Er weiß es.

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