US Open:Wie die alten Römer

Rafael Nadal und Roger Federer haben in diesem Jahr das Tennis-Imperium unter sich aufgeteilt: Jeder gewann zwei Grand-Slam-Turniere. Das ist nur möglich, weil sie sich gegenseitig an die Grenzen treiben.

Von Jürgen Schmieder, New York

Andy Roddick ahnte das alles schon vor 15 Jahren. Beim Hallenturnier in Basel warf er nach einem Ballwechsel seinen Schläger vor die Füße seines Gegners Roger Federer, so wie der gallische Krieger Vercingetorix nach der Schlacht um Alesia seine Waffen vor den Füßen von Gaius Julius Caesar abgelegt hat. Federer hatte damals einen nahezu perfekten Angriff Roddicks mit einem grotesken Schmetter-Slice abgewehrt, den es sonst nur beim Badminton gibt. Roddick wusste in diesem Federer-Moment, von denen es mittlerweile so viele gibt: Gegen so einen Außerirdischen hat selbst ein herausragender Tennisspieler kaum eine Chance.

Kevin Anderson hat am Sonntag seine Waffen nicht vor dem ebenso außerirdischen Rafael Nadal abgelegt, er hatte erst gar keine mitgebracht. Das US-Open-Finale endete 6:3, 6:3, 6:4. Es war viel einseitiger, als es dieses Ergebnis vermuten lässt. Man könnte Anderson als chancenlos bezeichnen, aber nur deshalb, weil es weder Steigerung noch Superlativ zu diesem Wort gibt. Vielleicht ein paar Zahlen abseits des reinen Ergebnisses: Wenn Nadal aufschlug, gewann Anderson insgesamt nur 16 von 72 Punkten. Nadal dagegen sicherte sich 45 der 108 Ballwechsel, die sein Gegner eröffnete. Nadal musste nicht einen Breakball abwehren.

Tennis - US Open

Cäsar des Tennis: Rafael Nadal, 31 Jahre alt, der Triumphator von New York.

(Foto: Julie Jacobson/dpa)

Weil dieses Finale einseitiger war als die Belagerung von Alesia, lohnt es, kurz über diese Grand-Slam-Saison bei den Männern nachzudenken und das alles in einem größeren Zusammenhang zu betrachten. So wie ganz Gallien, das schreibt Caesar in seinem berühmten Bericht De bello Gallico, im Jahr 58 vor Christus in drei Teile zerfallen war, so teilten sich Federer und Nadal die vier Turniere im Jahr 2017: Federer gewann die Australian Open und in Wimbledon, Nadal zum zehnten Mal die French Open und nun in New York.

Natürlich hat es Nadal bei diesem Turnier geholfen, dass er der erste Akteur seit Einführung der 32-Spieler-Setzliste im Jahr 2002 ist, der auf dem Weg zu einem Grand-Slam-Titel gegen niemanden hat spielen müssen, der höher gesetzt war als Platz 20. Dennoch: Hatte es nicht im vergangenen Jahr geheißen, dass Federer, 36, viel zu alt sei, um noch einmal ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen? Dass der geschundene Körper von Nadal, 31, keine sieben möglicherweise jeweils fünf Sätze dauernden Partien mehr durchhalten würde?

Zum dritten Mal Nadal: US-Open-Endspiele seit 2010

2010 Nadal (Spanien/1) - Djokovic (Serbien/3) 6:4, 5:7, 6:4, 6:2

2011 Djokovic (1) - Nadal (2) 6:2, 6:4, 6:7 (3), 6:1

2012 Murray (Schottland/3) - Djokovic (2) 7:6 (10), 7:5, 2:6, 3:6, 6:2

2013 Nadal (2) - Djokovic (1) 6:2, 3:6, 6:4, 6:1

2014 Cilic (Kroatien/14) - Nishikori (Japan/10) 6:3, 6:3, 6:3

2015 Djokovic (1) - Federer (2) 6:4, 5:7, 6:4, 6:4

2016 Wawrinka (Schweiz/3) - Djokovic (1) 6:7 (1), 6:4, 7:5, 6:3

2017 Nadal (1) - Anderson (Südafrika/28) 6:3, 6:3, 6:4

Sie hatten ja wirklich lange keines dieser Turniere mehr gewonnen, Federer hatte zuletzt in Wimbledon 2012 triumphiert, Nadal bei den French Open 2014. War das nicht die frohe Botschaft an all die jungen Spieler, dass es ihnen mal nicht so gehen würde wie Roddick (ein Grand-Slam-Titel) oder gar Tim Henman, David Nalbandian, Nikolai Dawidenko, die nie eines der bedeutenden vier Turniere gewinnen konnten? Dass sie ihre Waffen nicht ablegen müssen, sondern mutig einsetzen dürfen?

Man könnte nun freilich behaupten, dass es irgendwo in den Schweizer Bergen einen Jungbrunnen geben muss, in den Federer geplumpst ist wie der fiktive Gallier Obelix in den Zaubertrank. Man könnte auch feststellen, dass Nadal derart neurotisch ist, dass er sich aufgrund seiner beinahe panischen Angst vor einer Blamage zu grandiosen Leistungen treibt. Das mag alles stimmen, selbst das mit dem Jungbrunnen, solche Erzählungen sind jedoch keinesfalls ausreichende Erklärungen dafür, was in dieser Saison passiert ist und was die beiden getan haben, um in diesem Jahr zum ersten Mal seit 2010 (Federer gewann damals in Melbourne, Nadal die anderen drei Turniere) wieder alle Grand-Slam-Titel auf sich zu vereinen.

Nur drei hinter Federer: Die 16 Grand-Slam-Titel von Rafael Nadal

Australian Open (1) 2009

French Open (10) 2005-2008, 2010-2014, 2017

Wimbledon (2) 2008, 2010

US Open (3) 2010, 2013, 2017

Nadal liegt damit in der ewigen Rangliste der Gewinner von Grand-Slam-Turnieren auf Platz zwei - nur drei große Titel fehlen ihm bis zu Rekordhalter Roger Federer, der seine Bilanz durch die Siege in Australien und Wimbledon auf 19 Titel ausgebaut hat. Platz drei belegt Pete Sampras, der auf 14 kommt - aber nie in Paris gewann.

Vielleicht so: Federer hat seine Spielweise aufgrund der Knieverletzung im vergangenen Jahr komplett umgestellt. Er spielt aggressiver als zuvor, wählt beim zweiten Aufschlag häufiger eine riskantere Variante, zieht die Rückhand häufiger voll durch und stürmt andauernd ans Netz. Dieser erfolgreiche Wechsel der Strategie ist in anderen Disziplinen nur jenen gelungen, die heute als Legenden bezeichnet werden. Michael Jordan etwa legte sich einen Sprungwurf zu, als er bemerkte, dass im Basketball die Gesetze der Schwerkraft auch für ihn gelten. Muhammad Ali besiegte George Foreman einst mit einer Taktik, bei der er sich in die Seile fallen ließ und den Gegner ermüdete. Federer beendet die Punkte nun möglichst rasch, um seinen Körper zu schonen.

Nadal spricht nicht von Fehden. Sondern von respektvollen Rivalitäten

Nadal dagegen ist, das beschreibt der Autor David Epstein in seinem Buch "The Sports Gene", mit einer beinahe übermenschlichen Sehstärke gesegnet. Wer ihm also außerweltliche Reaktionen unterstellt, der liegt damit gar nicht mal so falsch. Er ist in der Lage, anhand der Schlägerbewegung des Gegners Geschwindigkeit, Richtung und Spin eines Balles noch vor dem Treffpunkt zu antizipieren. Es heißt nun, dass Nadals neuer Trainer Carlos Moya diese Fähigkeit viel stärker in die Gestaltung der Ballwechsel einfließen lässt. Nadal ist nun nicht mehr nur der athletische Stier, er spielt nicht mehr so arg kraftraubend, sondern baut Punkte gewissenhafter auf. Im Finale gegen Anderson spielte er sogar zehn Mal Serve-and-Volley - und gewann alle zehn Punkte. "Ich war 2014 und 2016 verletzt, 2015 war ich eher mental nicht bereit", sagt Nadal lapidar: "Jetzt kann ich wieder auf höchstem Niveau spielen."

Für diese Willenskraft, seine Spielweise im fortgeschrittenen Alter noch einmal zu verfeinern, braucht es jemanden, der einen seit 15 Jahren an eine Grenze treibt, die man ohne ihn niemals erreicht hätte. Die beiden Besten können sich darauf verlassen, dass der andere niemals aufgeben oder abhauen wird, sondern mit neuen Waffen zurückkehrt. Dass es noch weitere An-die-Grenze-Treiber (Novak Djokovic, Andy Murray, Stan Wawrinka) gibt, und dass da mittlerweile neue Rivalen (Alexander Zverev, Denis Shapovalov, Andrej Rublew) aufgetaucht sind. "Natürlich sind diese Rivalitäten wichtig, auch die mit Novak zum Beispiel", sagte Nadal am Sonntagabend: "Es sind keine Feindschaften, sondern von Respekt geprägte Rivalitäten. Es ist eine erstaunliche Ära in der Geschichte unseres Sports."

Nadal hat nun 16 Grand-Slam-Titel gewonnen, Federer 19. "Das ist ein großer Unterschied", sagt Nadal: "Er geht seinen Weg. Ich gehe meinen Weg. Lassen Sie uns doch zählen, wenn wir beide aufgehört haben. Und Novak steht auch bei zwölf Titeln, oder?" Djokovic dürfte zur kommenden Saison zurückkehren wie auch Murray und Wawrinka. Federer wird seine Rückenprobleme auskurieren und hat bereits angekündigt, danach wieder angreifen zu wollen. Die Botschaft an all die jungen Spieler, die auf ein rasches Ende dieser so erstaunlichen Ära hoffen: Die prägenden Akteure dieser Zeit, vor allem Nadal und Federer, sind noch lange nicht bereit, ihre Waffen niederzulegen.

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