US Open:Tennis unter Krämpfen

Hitze? Welche Hitze? Zahlreiche Spieler müssen bei den US Open ihre Partien wegen Erschöpfung vorzeitig beenden, doch der US-Verband will nicht groß darüber debattieren, dass in New York die Sonne brennt.

Von Jürgen Schmieder, New York

Jack Sock humpelte an der Grundlinie, er wollte sich vom Balljungen bedienen lassen, doch dann blieb er stehen - der Körper krampfte, er stand da wie eine Statue mit starrem Blick und kassierte eine Strafe wegen Spielverzögerung. Es dauerte 57 Sekunden, bis endlich jemand zu ihm eilte und half. Sock sackte zu Boden, völlig erschöpft lag er in den Armen eines Arztes, musste seine Partie gegen den Belgier Ruben Bemelmans aufgeben und vom Platz geschleppt werden.

Es ist heiß in diesen Tagen auf der Tennisanlage in Flushing Meadows, doch wer sich beim Veranstalter nach der offiziellen Temperatur erkundigt, der blickt in ratlose und auch ein bisschen erschrockene Gesichter. Eine offizielle Temperatur gibt es offenbar nicht bei den US Open - zumindest will sie niemand verraten. Aus dem Umfeld des amerikanischen Tennisverbandes ist gar zu hören, dass über das Wetter nicht gesprochen werden darf, und dass bitte schön niemand der Welt mitteilen möge, wie heiß es nun wirklich ist.

An den ersten vier Tagen wurden 14 Partien vorzeitig beendet, zwölf bei den Männern

Nach Angaben des US-Wetterdienstes herrschte am Donnerstagnachmittag eine Temperatur von 34 Grad im Schatten, ein inoffizielles Thermometer des TV-Senders ESPN im Arthur-Ashe-Stadion zeigte 37,2 Grad. Auf den Tennisplätzen, wo es kaum Schatten gibt, seien laut Wetterdienst durchaus Temperaturen bis zu 50 Grad möglich gewesen. Dort verkrampften die Muskeln der Spieler, gerade bei längeren Partien. An den ersten vier Tagen des Turniers wurden 14 Partien vorzeitig beendet, zwölf bei den Männern. In den per Klimaanlage gekühlten Katakomben heißt es jedoch: Hitze? Welche Hitze?

2015 U.S. Open - Day 4

Technischer K.o. im vierten Satz: der entkräftete Jack Sock kurz vor seiner Aufgabe in New York.

(Foto: Al Bello/AFP)

"Es war so schlimm, ich fand es wirklich mega-heiß da draußen", sagte Andrea Petkovic. Während der Ballwechsel sei die Hitze erträglich gewesen, dazwischen jedoch kaum zu ertragen, so die Deutsche: "Die Sonne brennt einem auf den Kopf, weil man sich nicht bewegt - es ist extrem." Petkovic' Zweisatz-Duell gegen die Russin Jelena Wesnina endete am Donnerstag kurz nach 13 Uhr. Temperatur und Luftfeuchtigkeit laut Wetterdienst: 33 Grad, 50 Prozent - laut Reglement im Frauentennis sind das extreme Bedingungen. Anschließend, bei den Partien von Mona Barthel (Neumünster) und Angelique Kerber (Kiel), war es ebenso feucht, doch noch heißer. "Man muss irgendwie damit umgehen und sich durchkämpfen", sagte Kerber, eine der fittesten Spielerinnen auf der Tour.

Natürlich gewinnt beim Tennis nicht immer der mit dem härtesten Aufschlag oder der präzisesten Vorhand, sondern meist der, dessen Muskeln auch nach mehr als drei Stunden Spielzeit störungsfrei funktionieren - oder dessen Geist den Muskeln noch befehlen kann, dass sie gefälligst störungsfrei zu funktionieren haben. Der Fittere und der Willigere überlebt, im Reglement ist deshalb festgelegt, dass ein Akteur keine medizinische Auszeit wegen Krämpfen nehmen darf. Nur bei Symptomen eines Hitzschlags kann er eine Behandlung fordern, dann eilt eine Ärztin wie Melissa Leber herbei, die nach eigenen Angaben in New York gerade ein paar ziemlich stressige Tage hat.

Wer sich mit Melissa Leber unterhält, erfährt viel darüber, wie man sich auf ein Hitze-Duell vorbereitet, welche Maßnahmen bei Hitzschlag ergriffen werden können. Aber auch, dass es sich bei den Teilnehmern um professionelle Sportler handelt, die eigentlich wissen, was sie tun. Worüber die Ärztin nicht reden möchte oder nicht reden darf: Warum derart viele professionelle Sportler, die ja angeblich wissen, was sie tun, an dieser Hitze leiden oder gar kollabieren wie Jack Sock.

Sie gibt immerhin zu, dass die Frauen an manchen Tagen zwischen dem zweiten und dritten Satz eine Pause von zehn Minuten hätten nehmen dürfen. Das ist laut Reglement nur dann erlaubt, wenn nach einer exakt definierten Formel extreme Wetterbedingungen herrschen. Ganz offensichtlich war das bei diesen US Open wiederholt der Fall - doch zugeben will das niemand. Die Offiziellen reagieren defensiv auf Fragen nach dem Wetter, wohl auch wegen der grotesken Bilder aus dem Jahr zuvor. Die Chinesin Peng Shuai war mit Hitzschlag zusammengebrochen und im Rollstuhl vom Platz gefahren worden, erst zweieinhalb Stunden später konnte sie aufstehen, ohne von Krämpfen geschüttelt zu werden. Das Bild der erschöpften Chinesin ging um die Welt, auch damals wurde über Hitze und Luftfeuchtigkeit debattiert und über das Verhalten der Ärzte. Die dürfen zwar eine Partie abbrechen, wenn sie einen Teilnehmer für nicht spielfähig halten. Was sie nicht dürfen: Dem kompletten Turnier eine Pause verordnen.

Genau das jedoch wäre bei diesen US Open bisweilen ratsam. Die Temperaturen erreichen erst gegen 13 Uhr die 30-Grad-Marke, nach 17 Uhr wird es wieder etwas kühler. Warum also, und das fragten sich nicht wenige Besucher am Donnerstagabend, den Turniertag nicht eher beginnen als erst um 11 Uhr, dafür bei extremen Bedingungen die Nachmittags-Partien nach hinten verschieben? Oder den Spielern zumindest nach jedem Satz eine Pause gönnen? Doch 13 bis 17 Uhr, das gilt in Nordamerika als ordentliche, in Europa (19 bis 23 Uhr) gar als beste Sendezeit. Da müssen die Spiele weitergehen - und offiziell war es ja gar nicht so heiß am Donnerstagnachmittag in Flushing Meadows. Das Bild des kollabierten Jack Sock, das ist freilich nicht aus der Welt zu schaffen.

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