US Open:Der Showman trifft auf den Zverev-Bezwinger

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Frances Tiafoe, 26, Sohn von Immigranten aus Sierra Leone, unterhält die Massen und hat wunderbare Sprüche parat. (Foto: Adam Hunger/dpa)

Ein US-Amerikaner im Finale eines Grand-Slam-Turniers? Das gab es seit 2009 nicht mehr. Und die US Open versuchen erst gar nicht, Neutralität als Ausrichter zu heucheln.

Von Gerald Kleffmann, New York

Vor langer Zeit, erzählte Frances Tiafoe in dieser Mittwochnacht von New York, hätten er und Taylor Fritz einmal gemeinsam im Flugzeug gesessen. Da hätte ihn Fritz, der ein etwas in sich gekehrter Typ sei, überrascht. Fritz hätte zu ihm gesagt: „Bro, ich denke, du und ich werden die Nummer eins und zwei der Amerikaner sein und den Weg weisen.“ Tiafoe sei erstaunt gewesen, „dass das von ihm kam ... ich dachte nur, verdammt, Junge, es ist sechs Uhr morgens, ich bin müde, aber machen wir es! Warum nicht?“

Tiafoe grinste, er hat oft diesen schelmischen Gesichtsausdruck. Er weiß vor allem jetzt genau: Das war kein Hirngespinst, was Fritz und er beschlossen hatten. An diesem Freitag kreieren die zwei schließlich ein nicht unbedeutendes Stück Tennisgeschichte. Zumindest aus Sicht des gastgebenden Landes der US Open.

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Exakt 5544 Tage nach Andy Roddicks Finalteilnahme 2009 in Wimbledon, das haben amerikanische Medien nachgezählt, wird nun also in New York wieder ein männlicher Vertreter dieser großen Tennisnation am Sonntag im Einzelendspiel eines der vier Grand-Slam-Turniere stehen.

Tiafoe, der Weltranglisten-20. und Sohn von Immigranten aus Sierra Leone, der die Massen wie ein Showman unterhält und wunderbare Sprüche parat hat; und Fritz, der Weltranglistenzwölfte, ein ruhiger Kalifornier, der Alexander Zverev die zweite Grand-Slam-Niederlage hintereinander zufügte, treffen im Halbfinale aufeinander. Damit ist garantiert, dass ein Amerikaner um den US-Open-Titel kämpfen wird. Das zweite Halbfinale bestreiten der Italiener Jannik Sinner (6:2, 1:6, 6:1, 6:4 gegen den Russen Daniil Medwedew) und der Brite Jack Draper (6:3, 7:5, 6:2 gegen den Australier Alex de Minaur).

Die US Open versuchen erst gar nicht, Neutralität als Ausrichter zu heucheln

„Das wird das größte Spiel des Lebens für mich und Taylor. Wir spielen gegeneinander, seitdem wir 14 Jahre alt sind“, sagte Tiafoe nach seinem Viertelfinalerfolg gegen Grigor Dimitrov. „Das wird jede Menge Spaß, und es wird elektrisierend“, sagte Fritz.

Nun ist es zwar nicht gleich so, dass diese Entwicklung zu Sondersendungen im US-Fernsehen führt. Innerhalb der Tennisblase ist das Ende der amerikanischen Grand-Slam-Trostlosigkeit bei den Männern aber schon ein großes Thema. Fachplattformen wie tennis365.com sprechen von einem „hell of a day“, der am Freitag die Tenniswelt erwarte. Die US Open versuchen erst gar nicht, Neutralität als Ausrichter zu heucheln und veröffentlichten auf X den ersten Finalisten, der feststehe – die US-Flagge.

„Das wird jede Menge Spaß, und es wird elektrisierend“, sagt Taylor Fritz zum Halbfinale der US Open. (Foto: Kirsty Wigglesworth/AP)

Die vergangenen zwei Jahrzehnte durfte der amerikanische Verband (USTA) tatsächlich als Schmach empfinden, was die Männer betraf. Die Demütigungen reichen noch weiter zurück als Roddicks legendäre Finalniederlage gegen Roger Federer vor 15 Jahren, als der Schweizer 16:14 im fünften Satz siegte. Roddick war auch 2006 der letzte Amerikaner, der bei den US Open im Endspiel war (natürlich siegte Federer). Der bisher letzte US-Triumph liegt 21 Jahre zurück: Roddick war es, der 2003 Juan Carlos Ferrero bezwang, den heutigen Trainer des Spaniers Carlos Alcaraz. Auch deshalb genießt Roddick immer noch einen besonderen Stellenwert, wenn er zum Beispiel im Fernsehen als Experte auftritt. Er gilt als der Last Man Standing, der die amerikanische Tennisseele verteidigt hatte.

Gerade die US Open waren viele Jahre Sperrgebiet für Spieler anderer Länder, zwischen 1974 und 1984 holten allein die Rowdies Jimmy Connors (fünf) und John McEnroe (vier) neun von elf Titeln. Ab den Neunzigerjahren räumten Pete Sampras (fünf) und Andre Agassi (zwei) ab. Seit 15 Jahren, auch ein bemerkenswerter Fakt, wurden bei den Männern generell nur Europäer Grand-Slam-Sieger, Juan Martín del Potro war 2009 der letzte Nicht-Europäer, der triumphierte. Der Argentinier beendete damals die fünfjährige Siegstrecke von Federer in New York.

Tiafoe sieht, wenig überraschend, ein Ende der US-Dürre in Sicht, vor zwei Jahren stand er bereits im Halbfinale der US Open, zudem tummeln sich neben ihm und Fritz weitere fähige Profis in der Weltspitze. Etwa Ben Shelton, den er in New York in der dritten Runde besiegte. Oder Tommy Paul, der gerade im Achtelfinale am revitalisierten Weltranglistenersten Jannik Sinner scheiterte. „Ich denke, wir klopfen alle an die Tür“, sagte Tiafoe. „Es ist nur eine Frage der Zeit, und das Spiel ist offen. Es ist nicht mehr so wie früher, als man das Viertelfinale erreichte, gegen Rafa (Nadal) spielen musste und sich vorher Flüge rausgesucht hat.“ Ab jetzt, wollte er sagen, sind die amerikanischen Tennismänner gekommen, um zu bleiben. Und zwar bis zum Finalwochenende.

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