US Open im Wandel:Mehr Show als Wettkampf

Von Feuervögeln, egomanischen Prinzen und einer neuen Generation, die für Etikette nicht viel übrig hat: Nirgendwo zeigt sich besser, wie es um das heutige Tennis steht, als in New York.

Von Jürgen Schmieder, New York

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Rod Laver

Rod Laver; Rod Laver

Quelle: Robert W. Klein/AP

"Er stürzte herab wie ein Feuervogel, er war ein Brandstifter mit seinen Schlägen. Die rothaarige Rakete aus Australien kam aus dem Hinterland von Queensland, um die Tenniswelt als Amateur zu erobern - und dann als Profi. Sein großartiger linker Arm produzierte sowohl heftigen Drall als auch gewitzte Volleys." Mit diesen poetischen Worten wird Rod Laver auf seiner Plakette im Court of Champions auf der Tennisanlage in Flushing Meadows beschrieben. Vor 50 Jahren gewann Laver als erster Profi alle vier Grand-Slam-Turniere in einem Jahr (1962 war ihm das schon einmal als Amateur geglückt). Am Jahrestag wird heuer das Männerfinale ausgetragen.

Eine Plakette bekommen nur Legenden, die ihre Karrieren bereits beendet haben - was zur Frage führt, was einmal über jene geschrieben stehen wird, die das Turnier in diesem Jahr geprägt haben. Im Folgenden ein paar Beobachtungen.

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Nick Kyrgios

2019 US Open - Day 6

Quelle: AFP

"Prinz mit malaysischen Wurzeln, sein Ballgefühl wird nur vom Ego übertroffen. Tollkühn und tollwütig, verfolgt von der Angst, bei Anstrengung erfahren zu müssen, doch nicht ganz so talentiert zu sein, wie er selbst glaubt." Das wäre nach derzeitigem Stand die Plakette für Nick Kyrgios, das Problem: Sie hinge nicht im Court of Champions, sondern im Keller der früh Gescheiterten. Kyrgios ist bei den US Open noch nie über die dritte Runde hinausgekommen, dennoch reden alle über ihn.

Landsmann Laver sagt: "Ich weiß nicht, ob es ihm um Aufmerksamkeit geht. Was ihm fehlt: Disziplin. Er steht seinem eigenen Talent im Weg." Boris Becker sagt: "Ich kann ihn erst dann ernst nehmen, wenn er bei großen Turnieren das Halbfinale erreicht." Bis dahin bleibt Kyrgios im Tennis-Wanderzirkus ein Pausenclown und Hofnarr.

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John McEnroe

Mc Enroe

Quelle: AP

John McEnroe, der große Pöbler, Proll und Plusterer dieses Sports, hat vor 40 Jahren in New York gesiegt, die Hommage auf der Plakette: "Er kombinierte eine samtene Spielweise mit dem Gemüt eines explosiven Hochofens."

Inzwischen ist der einstige Proll wortgewaltiger und selbsternannter Aufseher dieser Sportart und hat kein Verständnis für Kyrgios. Das Verhalten mag ähnlich wirken, die Gründe dafür indes könnten unterschiedlicher kaum sein. "Seine Angst zu versagen, ist derart groß, dass er lieber nicht hart genug trainiert, um niemals in diese Position zu kommen, verletzlich zu sein."

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Coco Gauff

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Quelle: AFP

In New York herrscht derzeit Cocomania, die Veranstalter vermarkten jede Nuance der 15 Jahre alten Spielerin. Coco Gauff muss auf den großen Plätzen zur besten Sendezeit antreten und danach noch auf dem Platz unter Tränen zu den Fans sprechen. Gauff trägt ein Kleid, bedruckt mit Bildern öffentlicher Tennisplätze in New York City - so etwas lieben die New Yorker. Federer, der hin und wieder auf so einem Platz trainiert, fordert eine Regeländerung, weil die Anzahl der Turniere für Gauff aus Altersgründen begrenzt ist: Der Druck sei zu groß, wenn sie nur große Turniere spiele.

Es ist noch nicht klar, ob Gauff mal in den Court of Champions aufgenommen oder eher in der Galerie mit Tracy Austin, Andrea Jaeger, Jennifer Capriati und Martina Hingis zu finden sein wird, den Siegerinnen, die früh ausbrannten.

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Dominik Koepfer

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Quelle: AFP

Ein paar kapitalistische Zahlen: Die Sieger im Einzel bekommen ein Preisgeld von jeweils 3,85 Millionen Dollar. Der Gewinner des gleichzeitig stattfindenden Challenger-Turniers in New Haven erhält 21 600 Dollar. Dominik Koepfer sagt die Teilnahme dort ab, der Qualifikant erreicht das Achtelfinale der Open und erhält 280 000 Dollar. Er wird nun nicht in Cary oder Columbus antreten (Gesamtpreisgeld je 54 160 Dollar), sondern bei Turnieren in den chinesischen Metropolen Zhuhai (eine Million), Peking (3,66 Millionen) und Shanghai (8,32 Millionen). Koepfer (Karrierepreisgeld vor den US Open: 332 732 Dollar) wird zur Symbolfigur der Debatte, ob die Preisgelder im Tennis ungerecht verteilt sind. Federer (Karrierepreisgeld: 126 Millionen Dollar) sagt: "Die Schere hat sich zu weit geöffnet."

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Serena Williams

TENNIS: US OPEN 1999; Serena Williams

Quelle: BoMark Sandten/Getty Images

Serena Williams verzeichnet beim 6:3, 6:1 im Halbfinale ihren 101. Sieg bei den US Open, sie kann an diesem Samstag (22 Uhr MEZ) ihren 24. Grand-Slam-Titel gewinnen, so viele hat nur Margaret Court geschafft. Die Hommage wird sich vermutlich aus Zitaten von Williams über Williams zusammensetzen: "Kleines Mädchen aus Compton mit einem Schläger und einem Traum, tennisspielende Mami, die außerhalb des Platzes eine Inspiration wie Muhammad Ali gewesen ist."

Gegnerin von Williams im Frauenfinale: Bianca Andreescu, 19, die nicht einmal geboren war, als Williams 1999 (Foto) erstmals triumphierte. Die Inschrift auf der Plakette der Kanadierin dürfte eine Liste aller Gründe für medizinische Auszeiten sein.

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Alexander Zverev

Tennis: Grand Slam Tournaments - US Open

Quelle: AFP

Alexander Zverev gibt den Elder Statesman der jungen Spieler, er kritisiert vor allem Stefanos Tsitsipas ("Er macht viel, um den Gegner rauszubringen"), Frances Tiafoe ("Ich weiß gar nicht, was man so lange auf einer Toilette machen kann") und Daniil Medwedew ("Was er hier gemacht hat, verstehe ich nicht so ganz"). Er sagt: "So ein Image möchte ich nicht haben. Ich bin auch emotional, aber bei mir geht es immer gegen mich." Einen Tag später knallt Zverev, der mal einen Schiedsrichter einen "verdammten Vollidioten" genannt hat, bei der Partie gegen Diego Schwartzman erst einen Ball in Richtung Tribüne, danach brüllt er: "Fuck you!" Zverev blickt dabei in Richtung Gegner und eigener Box. Sich selbst dürfte er damit also nicht gemeint haben.

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Daniil Medwedew

Tennis: US Open

Quelle: USA TODAY Sports

Daniil Medwedew legt sich mit dem New Yorker Publikum an, das Geniale daran: Er verwendet dabei die gleichen Floskeln wie viele andere Spieler bei den obligatorischen Interviews auf dem Platz. Kleines Experiment: Man möge sich bei Medwedews Worten vorstellen, Federer oder Gauff würden sie sprechen. "Zuallererst möchte ich mich bei euch allen bedanken, eure Energie hat mich heute zum Sieg geführt. Wenn ihr nicht hier gewesen wärt, Leute, dann hätte ich wohl verloren, weil ich so müde war. Ich will deshalb, dass ihr, wenn ihr heute ins Bett geht, daran denkt, dass ich nur wegen euch gewonnen habe."

Der Theorie von Becker zufolge muss man Medwedew ernst nehmen, er erreicht das Halbfinale, und nach dem Sieg gegen Stan Wawrinka sagt er zum Publikum: "Ich war ein Idiot, deshalb: Sorry und vielen Dank! Ich versuche nur, ich selbst zu sein. Ich habe das verdient, ich werde mich bessern." Was macht das Publikum? Es applaudiert. Auf der Plakette von Medwedew müsste dereinst stehen: "Lümmel aus Moskau, der einzige Sportler der Geschichte, der das New Yorker Sportpublikum sowohl verkohlt als auch begeistert hat."

© SZ vom 07.09.2019/dsz
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