US Open im Tennis:Selbst der Titelverteidiger verzichtet

Tennis: Grand Slam Tournaments - US Open

2019 der Gewinner in Flushing Meadows: Rafael Nadal.

(Foto: AFP)

Immer mehr Tennisstars sagen die Reise nach New York ab, erstmals seit 1999 findet ein Grand-Slam-Turnier ohne Federer und Nadal statt. Im Land mit den meisten Corona-Fällen gibt es zu viele ungeklärte Fragen.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es kommt ja immer auf die Perspektive an im Leben, und Han Solo, der große Philosoph in aussichtslosen Lagen, sagte im dritten Teil der Star Wars-Saga: "Was wir hier brauchen, ist ein bisschen Optimismus." So gesehen sind die beiden Mitteilungen, die der US-Tennisverband am Dienstag verschickt hat, durchaus nachvollziehbar. Die erste trägt den Titel: "13 Grand-Slam-Siegerinnen werden an den US Open teilnehmen." Die zweite: "Die Nummer eins der Welt, Novak Djokovic, und insgesamt sieben Top-Ten-Spieler haben für das Männerfeld gemeldet."

Klingt doch toll, zumal der dreimalige Grand-Slam-Sieger Andy Murray (Schottland) etwas zu Protokoll gegeben hat, das klingt wie eine Werbebotschaft für Tennis allgemein und die US Open speziell: "Ich vermisse es so sehr. Ich weiß nicht, wie viele große Turniere ich angesichts meiner Verletzungen noch werde spielen können. Ich fühle mich gut, und ich vermisse diese großen Events. Es wird anders sein ohne Zuschauer - aber ich bin bereit, dieses Risiko einzugehen." Murray wird in der Weltrangliste auf Platz 129 geführt, aber als Sieger von 2012 dürfte er sicherlich eine Wild Card bekommen.

Man könnte freilich auch ein paar Leute aufzählen, die bereits abgesagt haben, aus dieser Perspektive ergibt sich nämlich ein etwas anderes Bild: Ashleigh Barty (Australien, Nummer eins der Weltrangliste), Gaël Monfils (Frankreich, neun), Fabio Fognini (Italien, elf), Stan Wawrinka (Schweiz, 17), Nick Kyrgios (Australien, 40).

Erstmals seit mehr als 20 Jahren ohne Federer und Nadal

Am Dienstag kam Titelverteidiger Rafael Nadal (Spanien, zwei) hinzu, er schrieb bei Twitter: "Es ist eine Entscheidung, die ich nie treffen wollte - aber ich muss auf mein Herz hören und auf das Reisen derzeit lieber verzichten. Die Covid-Fälle steigen an, es sieht so aus, als hätten wir das noch nicht unter Kontrolle." Da auch Roger Federer aussetzt, der sich mit Blick in die Zukunft lieber operieren ließ als Gedanken an eine Reise nach Amerika zu verschwenden, wird dies das erste Grand-Slam-Turnier seit den US Open 1999 sein, an dem weder Nadal noch Federer teilnehmen.

Es ist: eine neue Zeitrechnung.

Das ist ein schwerer Schlag für die Organisatoren, zumal er zur Kernfrage führt: Sollen 256 Spieler aus aller Welt während der Coronavirus-Pandemie nach New York reisen, um an zwei Tennisturnieren teilzunehmen? Die gewöhnlich in Cincinnati abgehaltene Veranstaltung findet in der Woche vor den US Open ebenfalls auf der Anlage in Flushing Meadows statt. Die Sportart wirkt aufgrund ihrer Struktur wie für diesen Moment erfunden: Es gibt keinerlei Grund für direkten Kontakt, und selbst die indirekte Ansteckungsgefahr ließe sich weitestgehend eliminieren, wenn der retournierende Spieler die Bälle nicht berührt und die Filzkugeln nach einem Aufschlagspiel getauscht werden. Die Probleme jedoch liegen woanders.

Belinda Bencic (Schweiz, acht) brachte es auf den Punkt: "Es ist logisch, dass derzeit kein normaler Mensch in die USA reisen will." Das Land ist außer Kontrolle, viele Einwohner haben Angst davor, was der Präsident demnächst im Wahlkampf anstellen wird. In den USA gibt es täglich weiterhin etwa 60 000 positive Tests und mehr als 1000 Todesfälle, erst am Dienstag ist Oxiris Barbot, Gesundheitsministerin von New York, aus "tiefer Enttäuschung" über Bürgermeister Bill de Blasios Umgang mit der Pandemie zurückgetreten.

Die Liste gemeldeter Spieler und der damit verbundene Optimismus ist irreführend, weil bis zum geplanten Start am 31. August jeder noch absagen kann. Simona Halep (Rumänien, zwei) und Djokovic haben bereits mehrfach gesagt, dass ihre Teilnahme keineswegs sicher sei. Sie wollen die Situation in den USA, vor allem in New York, beobachten und erst kurzfristig entscheiden, ob sie wirklich anreisen.

Die Organisatoren frönen derweil dem Optimismus, selbst bei einer möglichen Ausdünnung des Feldes. Also: Statt über den Wert eines Männer-Grand-Slam-Titels in Abwesenheit der großen Drei zu debattieren, könne man das Turnier doch als Ausblick auf die Zukunft interpretieren und Leuten wie Dominic Thiem (Österreich), Daniil Medwedew (Russland), Matteo Berrettini (Italien) oder Stefanos Tsitsipas (Griechenland) beim Erwachsenwerden zusehen. Bei den Frauen heißt es - hinter vorgehaltener Hand freilich -, dass eine Absage möglichst vieler namhafter Spielerinnen aus Europa und Australien gar nicht so schlimm wäre, denn: Wäre das nicht eine wahnwitzig tolle Geschichte, wenn Serena Williams ihren 24. Grand-Slam-Titel in New York gewänne?

Alexander Zverev steht für sein Verhalten in der Krise in der Kritik

Es wird deshalb andauernd auf das Hygienekonzept verwiesen, das ein bisschen an die Blase der Basketballliga NBA im Bundesstaat Florida erinnert: Die Teilnehmer werden abgeschottet sein in Unterkünften, sie dürfen maximal drei Begleiter mitbringen und würden beim Verlassen der "Bubble" auch ohne positiven Test vom Turnier ausgeschlossen. Nur in den großen beiden Stadien werden Linienrichter eingesetzt (auf den anderen 15 Plätzen wird das Hawk-Eye-System live verwendet). Turnierdirektorin Stacey Allaster sagt: "Ich habe großes Vertrauen in die Profis." Nun, ganz offensichtlich ist Allaster mit Han-Solo-Optimismus gesegnet - oder sie hat tatsächlich nicht mitbekommen, was im Tennis so passiert ist zuletzt.

Symbol dafür ist der deutsche Profi Alexander Zverev. Nach der Teilnahme an der "Adria Tour" (bei der etliche Spieler, darunter Djokovic und Grigor Dimitrov, halbnackt feierten und dann positiv getestet wurden) veröffentlichte er eine Entschuldigung, die fast nur Floskeln enthielt. Als er dann erneut beim Feiern erwischt wurde, diesmal in einer Strandbar an der Côte d'Azur, sagte er wochenlang gar nichts; dann erklärte er seine Teilnahme an einem Show-Wettkampf in Nizza. Als er dort nach seinem Verhalten in den Wochen davor gefragt wurde, stand er auf und ging.

Die Antwort lieferte indirekt Nick Kyrgios, der seine New-York-Absage für einen Appell an die Kollegen nutzte: "Tennisspieler, ihr müsst euch jetzt im Interesse anderer verhalten. Ihr könnt nicht auf Tischen tanzen oder durch Europa tingeln und Geld abgreifen." Es ist schon ein Zeichen, was im Tennis gerade los ist, wenn gerade der selbst nicht immer vernünftige Kyrgios die Stimme der Vernunft geben muss.

Das wahre Problem der US Open ist doch, dass sie sich zu sehr auf den Erfolg der NBA bislang beruft, obwohl die Situation nicht zu vergleichen ist. Das Gehalt der NBA-Profis ist garantiert, Spiele können auch dann stattfinden, wenn einer ausfällt - ob es nun wegen einer Zerrung ist oder aufgrund eines positiven Corona-Tests. Die US Open dagegen verlangen gerade von denen, die nicht reich geworden sind durch ihren Sport, dass sie sich an alle Regeln halten, ohne Familie oder Freunde nach New York reisen, sich dort abschotten - und dann nach einer Niederlage schnell wieder nach Hause fahren, möglicherweise um die halbe Erdkugel herum. Dass sie ihre Gesundheit und die anderer gefährden für ein Preisgeld, von dem nach Abzug aller Kosten (die Spieler müssen etwa für Security selbst bezahlen, wenn sie nicht in US-Open-Hotels wohnen wollen) nicht besonders viel übrig bleiben dürfte.

Wohlgemerkt: Von den 256 Spielern werden schon nach zwei Runden 192 nicht mehr dabei sein, und laut US-Verband gibt es noch immer keine klare Regelung, was eigentlich mit den Akteuren passiert, die nach den US Open nach Europa wollen, um an den Turnieren dort teilzunehmen; das in Madrid wurde am Dienstag abgesagt, die French Open in Paris sollen am 27. September beginnen. Es gebe, findet Allaster, "positive Fortschritte". Han Solo hätte es nicht optimistischer formulieren können.

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