Sloane Stephens:Nummer 66 lebt

Sloane Stephens: Geschmeidig wie eine Katze: Sloane Stephens, US-Open-Siegerin von 2017, die bisweilen auch sehr lustlos wirken kann.

Geschmeidig wie eine Katze: Sloane Stephens, US-Open-Siegerin von 2017, die bisweilen auch sehr lustlos wirken kann.

(Foto: John Minchillo/AP)

Weit hinten in der Weltrangliste und doch im Mittelpunkt: Sloane Stephens, US-Open-Siegerin von 2017, spielt sich nach einem schwierigen Jahr zurück ins Gedächtnis der New Yorker - und ihrer Gegnerinnen.

Von Jürgen Schmieder, New York

Es gibt einen witzigen Zeitvertreib für die Zuschauer bei den US Open. Sie können sich auf einen Mini-Tennisplatz stellen und gemeinsam mit einer virtuellen Version von Sloane Stephens an ihrer Vorhand feilen. Die Siegerin von 2017 gibt Tipps, sie führt eigene Schläge vor, sie verfügt über eine außerordentlich schöne Technik. Überhaupt ist sie ein großes Talent, gesegnet mit Spielfreude und eleganten Bewegungen, und genau das zeigte sie auch am Mittwoch gegen Landsfrau Cori Gauff.

Die 17-Jährige ist ebenfalls ein großes Talent, allerdings auf der anderen Seite des Tennisspektrums: geradlinig-aggressiv, eher wild-flink denn geschmeidig; oftmals noch eindimensional gegen erfahrene Kontrahentinnen. Am Ende siegte Stephens souverän 6:4, 6:2.

Während Stephens in Melbourne in Quarantäne fest hing, wurden daheim drei enge Verwandte Covid-Opfer

Angebote wie Serve like Sloane sind gewöhnlich ein Indiz dafür, dass Verantwortliche und Sponsoren eine Spielerin zur Favoritin erklären; auch Naomi Osaka, Karolina Pliskova und Ashley Barty sind in New York omnipräsent. Bei Stephens verwundert es zunächst, denn sie hat wahrlich keine grandiose Zeit hinter sich: Die vergangene Saison beendete sie mit fünf Niederlagen nacheinander, die aktuelle begann sie mit vier; in der Weltrangliste wird sie derzeit auf Platz 66 geführt.

Sloane Stephens: Übernimmt langsam wieder die Kontrolle: Sloane Stephens steht in New York in Runde drei.

Übernimmt langsam wieder die Kontrolle: Sloane Stephens steht in New York in Runde drei.

(Foto: John Minchillo/AP)

Schlimmer noch: Tante, Oma und Opa verstarben an Covid, sie verpasste jeweils die Beerdigungen, weil sie sich gerade in Quarantäne in Melbourne anlässlich der Australian Open befand. "Das bereue ich bis heute", sagt sie über ihre Entscheidung, nur per Video dabei sein zu können: "Es waren traumatische Monate für mich, aber ich habe auch über Gespräche mit Psychologen gelernt: Das war außerhalb meiner Kontrolle. Ich habe getan, was ich konnte."

Stephens' Weg in die zweite Turnierwoche ist extrem schwer

Was sie ebenfalls nicht kontrollieren kann: die Auslosung bei einem Turnier, und die ist als Nummer 66 der Welt hundsgemein für Stephens: In der ersten Runde musste sie gegen Madison Keys antreten, Gegnerin im Finale 2017, Trainingspartnerin und beste Freundin. Am Mittwoch nun die Partie gegen die 17 Jahre alte Gauff, der alle Experten zutrauen, die Sportart im kommenden Jahrzehnt zu dominieren. Eine Runde später wartet Angelique Kerber, die US-Open-Siegerin von 2016 und gerade gut drauf, sie gewann ihre Partie gegen Anhelina Kalinina (Ukraine), die wegen des Unwetters in New York auf den Donnerstag verlegt wurde, glatt in zwei Sätzen. Mögliche Gegnerin im Achtelfinale: Naomi Osaka, die 2018 und im vergangenen Jahr bei den US Open triumphiert hatte.

"Es ist nun mal schwieriger, wenn man nicht gesetzt ist", sagte Stephens nach dem Gauff-Match, so als würde jemand über den Hurrikan in New York sagen: Regnet ein bisschen, muss man sich halt dementsprechend kleiden. Sie trug Kapuzenpulli und Anglerhut und sah aus, als wolle sie trotz Unwetter zu den Basketballcourts in Queens gehen. Sie kennt eben die Höhen und Tiefen ihres Sports. Vor dem Triumph 2017 war sie ebenfalls abgerutscht, nach steilem Aufstieg zu Beginn der Karriere ging es ihr, wie es Gauff derzeit geht: Talent trägt einen in den ersten Monaten, wenn einen niemand kennt, doch dann lesen vor allem die erfahrenen Kontrahentinnen das Spiel, entdecken Schwächen, nutzen diese gnadenlos aus.

Stephens war damals genervt von der Stagnation, sie wirkte pampig, lustlos, ließ manche Partien einfach laufen - und dann verletzte sie sich auch noch am Fuß und musste elf Monate lang pausieren. Einen Monat vor dem US-Open-Sieg 2017 wurde sie in der Weltrangliste auf Platz 957 geführt.

Sie kennt die Wellenbewegungen ihres Sports nur zu gut

"Ich habe meine Prioritäten überdacht", hatte sie damals gesagt, und genau das sagte sie am Mittwoch wieder. Sie habe entschieden, Fröhlichkeit über Erfolg zu stellen. Damals war es jugendlicher Größenwahn, nun ist es gesundes Selbstbewusstsein einer Frau, die weiß, was sie kann und will - und es ist nun mal so im Leben, dass keiner alt und weise wird, der nicht jung und dumm gewesen ist.

Tennis: US Open

Kontrahentinnen auf dem Platz, Freundinnen nach dem Matchball: Cori Gauff (links) erhielt eine Lehrstunde von Sloane Stephens.

(Foto: Robert Deutsch/Reuters)

Diese Mischung aus Talent, Reife, positivem Verarbeiten von Traumata und dem Ehrgeiz, doch das Maximale aus der großen Begabung zu holen, ist eine, die schwer zu besiegen ist - wie Gauff einsehen musste, zum Beispiel beim letzten Spiel des ersten Satzes: Sie mühte sich, sie war die dominantere, die aggressivere Spielerin. Stephens tänzelte geduldig an der Grundlinie, nutzte die Winkel des Platzes, übernahm langsam, aber stetig die Kontrolle, erhöhte das Tempo; wie eine große Schwester (Stephens und Gauff sind seit vielen Jahren befreundet und üben häufig miteinander), die der Jüngeren ein paar Schläge erlaubt und dann sagt: Okay, nun zeige ich dir, was dir noch fehlt. Gauff wird fahrig und oft ratlos, wenn sie improvisieren muss.

"Es fügt sich gerade alles, die Richtung passt, und diese Welle muss man reiten", sagt Stephens später; und was das bedeutet, wenn sich ein paar Dinge fügen, auf dem Platz wie auch abseits davon, das zeigte sie, als der Arbeitstag für sie längst vorbei war. Es stürmte und regnete in New York, Bürgermeister Bill de Blasio rief den Notstand aus, nichts ging mehr. Viele Leute saßen fest auf der Tennisanlage in Flushing Meadows, und viele fürchteten, die Nacht in den Katakomben verbringen zu müssen. Einer Situation wie dieser kann man besorgt begegnen, furchtsam oder auch wütend - oder man kann tun, was Stephens tat: Sie holte sich eine wagenradgroße New-York-Pizza mit ordentlich Salami und Fleisch und schrieb bei Twitter, es sollte eine Warnung an alle künftigen Gegnerinnen sein: "Mach' das Beste draus!"

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