US Open:Genie gegen Genie

US Open: Gesegnet mit unendlich viel Ballgefühl: Nick Kyrgios.

Gesegnet mit unendlich viel Ballgefühl: Nick Kyrgios.

(Foto: Danielle Parhizkaran/USA TODAY Sports)

Das Duell zwischen Daniil Medwedew und Nick Kyrgios könnte das Tennis die nächsten Jahre prägen: Zwei Ebenbürtige, die grundverschieden sind - und sich doch sehr ähneln.

Von Jürgen Schmieder, New York

Irgendetwas stimmt nicht bei dieser Partie, die ja nun wirklich alles verspricht, was es für ein legendäres Duell braucht: zwei Kontrahenten auf Augenhöhe; beide genial, aber so sehr auf ihre eigene Art, dass sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Beide verrückt, auch das auf komplett gegensätzlichen Seiten des Spektrums, wie der von Rami Malek verkörperte Bond-Bösewicht Lyutsifer Safin und Heath Ledgers Joker aus dem Batman-Film The Dark Knight. Was in aller Welt stimmt also nicht beim Duell zwischen Daniil Medwedew und Nick Kyrgios?

Es soll ja auch ein sportlicher Leckerbissen werden: der Stratege gegen den Proll-Punk, beide auf ihre eigene Art spektakulär. Medwedew plant Ballwechsel, wie Boris Spassky Schachpartien geplant hat: technisch scheinbar unsauber, bisweilen wild, mit fragwürdigen Zügen und nicht nachvollziehbaren Opfern; stets bereit zur Attacke, weil er ein paar Schläge/Züge weiter denkt - wobei es ihm freilich hilft, dass Wasser 71 Prozent der Erdoberfläche abdeckt und Dauerläufer Medwedew den Rest. Er weiß genau, wo er, Gegner und Ball sind, und er hat die Beine, wie die Dame beim Schach fast jedes Feld erreichen zu können - und dann einen unfassbaren Gegenschlag zu vollbringen.

Medwedew findet: "Es ist nicht leicht, mich als Tennisspieler zu mögen"

Kyrgios gilt als der Intuitive, Kreative, Dynamische. Der Aufschlag-Stopps einstreut, Volley-Lobs, Durch-die-Beine-Halbvolleys. Der von der Natur mit so viel Ballgefühl gesegnet ist, dass man es als Beweis werten kann, wie unfassbar ungerecht das Leben ist. Der Gegner ausguckt und sie mit Samthand-Schlägen und folgendem Luftgitarre-Jubel zur Verzweiflung bringt. Der aber auch plötzlich explodieren kann, weil ihn irgendeine Nebensächlichkeit stört - wie Bobby Fisher, der große Spassky-Rivale. Der dann in Richtung seiner Gefolgschaft motzt und auch spuckt wie in der zweiten Runde.

US Open: Schachspieler mit Tennisschläger: Daniil Medwedew.

Schachspieler mit Tennisschläger: Daniil Medwedew.

(Foto: Grace Schultz/ZUMA Wire/Imago)

Das Interessante an diesem Duell ist aber: So unterschiedlich sie einem vorkommen mögen, so ähnlich sind sie sich in Wirklichkeit. Das bemerkt man, wenn man die Partien der beiden mal parallel auf zwei Bildschirmen gleichzeitig guckt; zum Beispiel die von Kyrgios gegen J.J. Wolf (USA) am Freitagabend im Louis Armstrong Stadium, die er 6:4, 6:2, 6:2 gewann - und daneben die von Medwedew gegen Yibing Wu (China) im Arthur Ashe Stadium: 6:4, 6:2, 6:2.

Plötzlich bemerkt man, wie intuitiv Medwedew agiert und mit wie viel Ballgefühl am Netz, wie er seine Gegner auch mal ausguckt. Es ist dann auch viel Augenzwinkern dabei, wenn er sagt: "Es ist nicht leicht, mich als Tennisspieler zu mögen. Meine Technik ist ein bisschen verschroben, mein Stil ist jetzt nicht der spektakulärste." Wenn man sich mal eine Partie komplett ansieht und nicht nur Höhepunkte, dann bemerkt man: Es ist wahnsinnig spektakulär, wie Medwedew spielt, aufregend, mitreißend.

Und dann blickt man rüber auf den Bildschirm mit Kyrgios - und realisiert, wie viel harte Arbeit dahintersteckt, um so spielen zu können. Nein, das sind nicht nur Talent und Ballgefühl, und das Leben ist nicht ungerecht. Wie er in strategisch wichtigen Momenten bewusst zu Höchst-Risiko-Tennis wechselt, dann aber wieder für acht, neun, zehn Punkte Repetitions-Tennis spielt.

Der nicht ausrastet, weil er verrückt ist - sondern weil er es als Perfektionist nicht erträgt, nicht perfekt zu sein. "Es ist mental schwer, weil ich nach fünf perfekten Punkten einen dummen Schlag mache und dann verrückt werde." Damit rückt er freilich eher in die Nähe von Sport-Savants wie Ronnie O'Sullivan (Snooker), Marcel Hirscher (Alpin Slalom) und Ayrton Senna (Formel 1) denn in die Nähe wirklich Verrückter wie Dennis Rodman (Basketball) oder so genannter schlampiger Genies.

Vier Mal spielten die beiden bislang gegeneinander, drei Mal siegte Kyrgios

Genau das macht dieses Duell am Sonntag aus: zwei Gleichwertige, augenscheinlich verschieden, bei naher und intensiver Betrachtung einander doch ähnlich. Vier Mal haben die beiden bislang gegeneinander gespielt, drei Mal hat Kyrgios gesiegt, und nun erkennt man auch, was nicht stimmt mit dieser Partie: Nur eines der Duelle war ein Finale, Kyrgios siegte 2019 in Rom. Dieses Jahr: zweite Runde bei den Australian Open (Medwedew gewann) und dritte Runde kürzlich in Montréal (Kyrgios siegte). Nun: Achtelfinale.

Das Duell Medwedew/Kyrgios ist eines, das diesen Sport prägen kann; damit es das wird, muss es aber ein Endspiel oder wenigstens ein Halbfinale sein. Die Leute bei den US Open sagen zum Achtelfinale "vierte Runde", was freilich eher nach einer Bestellung an der Bar klingt als nach unvergesslichem Ereignis im Tennis. Medwedew ist die Nummer eins der Welt; es liegt an Kyrgios, diese Partien zu Endspielen zu machen.

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