Süddeutsche Zeitung

US Open:New Yorks neue Königin

Die 19-jährige Bianca Andreescu gewinnt die US Open 2019 und damit ihr erstes Grand-Slam-Turnier. Serena Williams verpasst erneut ihren großen Triumph vor heimischer Kulisse - und kämpft weiterhin um den 24. Titel.

Von Jürgen Schmieder, New York

Wer am Samstag eine Stunde vor Beginn dieses Finales über die Tennisanlage in Flushing Meadows spazierte, der wunderte sich erst einmal, ob er wirklich am rechten Ort war. Die Leute waren schick angezogen, sie tranken Champagner und Cocktails und gönnten sich ein paar Austern. Es sah nicht so aus, als würden da später zwei Frauen um den Titel bei den US Open spielen - sondern eher, als würde ein Nachkömmling des britischen Königshauses heiraten, und tatsächlich gehörte Meghan, Herzogin von Sussex, zu den Ehrengästen.

Es ging um eine Aufführung, und für die Zuschauer ging es darum, bei einem historischen Ereignis dabei zu sein: Serena Williams sollte ihren 24. Grand-Slam-Titel gewinnen und die Rekordhalterin Margaret Court einholen. Der möglichen Krönung von Williams zur Königin dieses Sports wurde auch deshalb gesellschaftliche Bedeutung zugeschrieben, weil sich Williams seit Jahrzehnten gegen Rassismus und Sexismus einsetzt. Court dagegen hatte in den vergangenen Jahren mit homophoben und rassistischen Aussagen für Aufregung gesorgt.

Finalgegnerin Bianca Andreescu war als bezaubernde Nebendarstellerin auserkoren, die 19 Jahre alte Außenseiterin aus Kanada sollte für eine interessante Partie und womöglich ein wenig Dramatik sorgen - doch am Ende bitteschön verlieren. Die ganze Veranstaltung war, wie schon im Vorjahr, komplett darauf ausgelegt, dass Williams diesen Rekord bei ihrem Heimturnier brechen würde - doch damals gab es diesen Nervenzusammenbruch von Williams, die bis zu diesem Sonntag nach ihrer Babypause drei Endspiele verloren hatte, neben den US Open noch zwei Mal Wimbledon.

Vor einem Jahr war Andreescu noch in der ersten Runde der Qualifikation gescheitert

Nur: Andreescu wollte nicht mitmachen bei dieser Zeremonie, sie wollte nicht die Nebenfigur sein, sondern die Hautdarstellerin. Sie entriss Williams die Krone förmlich, sie gewann diese Partie mit 6:3, 7:5 und damit zum ersten Mal in ihrer noch jungen Karriere ein Grand-Slam-Turnier - im vergangenen Jahr war sie noch in der ersten Runde der Qualifikation gescheitert.

"Dieses Jahr war wie ein Traum für mich - und dann auf dieser Bühne gegen die Legende Serena zu spielen, ist einfach unglaublich. Es war wirklich nicht leicht, ich bin sehr stolz auf mich, wie ich mit der Situation umgegangen bin", sagte Andreescu danach. Williams sagte: "Ich habe gekämpft und habe versucht, ein bisschen besser zu spielen. Bianca hat ein unglaubliches Match gespielt. Ich bin stolz auf sie."

Das Arthur Ashe Stadium ist die größte Tennisarena der Welt, es ist ein gewaltiges, bisweilen auch einschüchterndes Gebilde, und nicht wenige Spielerinnen verlieren genau in dem Moment, in dem sie dieses Stadion betreten. Sie sehen die 23.771 Zuschauer, die vier riesigen Anzeigetafeln, diese futuristische Dachkonstruktion. Dann hören sie den Lärm, der nie aufhört und gerade bei Partien von Williams auch mal zu Flugzeugstart-Laufstärke anschwillt. Sie verkrampfen und implodieren, noch bevor die Partie beginnt.

Andreescu kam in dieses Stadion, zum ersten Mal in diesem Leben bei einem Grand-Slam-Finale, und ihr schien das überhaupt nichts auszumachen - ganz im Gegenteil: Sie spielte, als fände diese Partie auf Court 5 statt, sie agierte forsch und aggressiv, sie bewegte Williams an der Grundlinie und schaffte es auch bei defensiven Schlägen immer wieder, die Bälle lang und präzise zu halten. Was Williams davon hielt, war schon im dritten Aufschlagspiel zu bestaunen. Einen Netzangriff von Andreescu beantwortete sie mit einer auf den Körper geprügelten Vorhand, dem reaktionsstarken Volley der Gegnerin ließ sie einen Schmetterschlag folgen - wieder Richtung Körper.

So schüchtert Williams gewöhnlich ihre Gegnerinnen ein, und die meisten zerbrechen daran. Andreescu jedoch schien all das eher zu beflügeln, in knappen Situationen schlug sie zum Beispiel ein Ass und brüllte danach das Publikum an als Zeichen dafür, dass die ruhig weitermachen können mit dem Lärm. Die Herzogin von Sussex legte die Hände vor den Mund, Williams' Mutter Oracene schüttelte ungläubig den Kopf, Ehemann Alexis Ohanian spielte nervös mit den Fingern. Schwester Venus guckte, wie eine große Schwester nun mal guckt, wenn sie spürt, dass es der Jüngeren gerade gar nicht gut geht.

Wer nämlich schockiert, verkrampft, unruhig wirkte: Serena Williams. Sie, die schon alles gesehen hat in ihrer Karriere, gab Aufschlagspiele mit Doppelfehlern ab, gefährdete mit ihrer Rückhand die Gesundheit der Zuschauer in den ersten Reihen und wirkte von Mitte des zweiten Satzes an nicht mehr wie eine, die dieses Spiel verlieren würde - sondern wie eine, die es bereits verloren hat. Williams, das ist einer der roten Fäden in ihrer Karriere, besitzt jedoch die Fähigkeit, aus diesen scheinbar aussichtslosen Situationen zu befreien, zurückzukommen in eine Partie, und das gelang ihr auch diesmal. Sie glich aus zum 5:5 im zweiten Satz.

Es sah nun so aus, als würde Andreescu Probleme bekommen, nur, und es kann keinen größeren Beweis geben für die Nervenstärke einer Sportlerin: Andreescu blieb locker, cool, gelassen, sie gewann ihr Aufschlagspiel und schaffte danach ein Break - den dritten Matchball verwandelte sie. Es war tatsächlich eine Aufführung am Samstagnachmittag. Es war nicht so, wie die Leute sich das vorgestellt hatten, aber es war eine, an die sie sich lange erinnern werden. Die US Open haben eine neue Königin.

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Quelle:
SZ vom 08.09.2019
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