US Open:Läuft nicht, macht nichts

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Kohlschreiber verliert gegen den Japaner Kei Nishikori glatt in drei Sätzen. (Foto: AP)
  • Philipp Kohlschreiber scheidet im Achtelfinale der US Open glatt in drei Sätzen aus.
  • Er war der letzte verbliebene Deutsche im Turnier.
  • Seine DTB-Kolleginnen und Kollegen haben ihr Ausscheiden eher entspannt hingenommen.
  • Hier geht es zu allen Ergebnissen der US Open.

Von Jürgen Schmieder, New York

Wer wissen möchte, wie es Philipp Kohlschreiber gerade geht, der muss ihn während eines Seitenwechsels betrachten. Er verfügt über das ausgefeilteste Minenspiel aller Tennisprofis, er kann einem innerhalb weniger Sekunden mit Mundwinkeln und Augenbrauen die Geschichte einer Partie erzählen. Bei seinem überraschenden Sieg gegen Alexander Zverev am Samstag zum Beispiel saß er Mitte des vierten Satzes auf seiner Bank, den Kopf zur Seite geneigt, die Lippen zum vergnügten Schmollmund geformt, die Augenbrauen klimperten. Die Botschaft an sich und die Welt: Jetzt habe ich ihn geknackt, und das macht mir gerade ordentlich Spaß hier!

Zwei Tage später, am Ende des zweiten Durchgangs im Achtelfinale gegen Kei Nishikori (Japan), da blies Kohlschreiber während einer Spielpause die Backen auf und kippte sich Wasser über den Kopf, wie ein Mensch das nur tut, wenn er sich selbst aufwecken möchte. Dann zog er die rechte Augenbraue nach unten und die linke nach oben, in Kombination mit den aufeinander gepressten Lippen bedeutete das: Himmelherrgottnocheinmal, da läuft überhaupt nichts bei mir - aber was soll ich machen? Ein paar Minuten später hatte er diese Partie mit 3:6, 2:6, 5:7 verloren.

Bei den deutschen Teilnehmern lässt sich ein roter Faden erkennen

Kohlschreiber hat in seiner Karriere immer wieder mal gezeigt, dass er die Großen dieses Sports auch bei Drei-Gewinnsatz-Partien besiegen kann - Andy Roddick bei den Australian Open 2008, Novak Djokovic bei den French Open 2009 oder nun Zverev bei den US Open. Es gibt da aber auch diese Auffälligkeit, dass er direkt nach solchen Erfolgen gegen vermeintlich schwächere Gegner verliert, bisweilen sehr deutlich. Das führt dazu, dass in der Grand-Slam-Bilanz von Kohlschreiber sehr häufig "dritte Runde" und nun auch elf Mal "Achtelfinale" steht, aber eben nur ein Mal "Viertelfinale": 2012 in Wimbledon.

Kohlschreiber kann vielen Gegnern gefährlich werden mit seiner varianten- und fintenreichen Spielweise, er hat Zverev am Samstag regelrecht auseinandergenommen. Nun allerdings spielte er gegen einen, der anders agierte als Zverev - nicht unbedingt besser, aber derart anders, dass es nicht zu Kohlschreiber passte. Nishikori beherrscht ebenfalls Varianten und Finten, zudem ist er mit stabilen Nerven gesegnet, die er regelmäßig stählt: Sein Trainer ist Michael Chang, der als Spieler im French-Open-Achtelfinale 1989 seinen Gegner Ivan Lendl mit einem Aufschlag von unten und anderen Sperenzchen übertölpelte. Diese Mätzchen wendet er bei Übungseinheiten immer wieder an und lehrt seinen Schützling, dass sich beim Tennis nicht immer alles planen lässt. Nishikori kann seine Kontrahenten ordentlich nerven, und so wurde die Nervensäge Kohlschreiber zum Genervten.

Um 13.32 Uhr Ortszeit war Kohlschreiber der letzte der 16 deutschen Hauptfeld-Teilnehmer, der bei den US Open ausschied. Wohlgemerkt: Dieses Turnier dauert noch knapp eine Woche, das Frauenfinale wird am Samstag ausgetragen, das der Männer am nächsten Tag. Moment mal: Hatte es nicht vor Beginn geheißen, dass sich auch Deutsche unter den Teilnehmern befinden könnten? Zverev? Julia Görges? Wimbledon-Siegerin Angelique Kerber? Nun lautet die sogenannte deutsche Bilanz: neun Erstrunden-Niederlagen, jeweils drei in der zweiten und dritten Runde und ein Aus im Achtelfinale.

So eine Bilanz ist natürlich völliger Blödsinn in einer Sportart der weltumreisenden Ich-AGs, die Akteure schauen zunächst einmal auf sich selbst, dann auf sich selbst und am Ende noch einmal auf sich selbst. Sie müssen das tun, sonst können sie nicht überleben in dieser bisweilen brutalen Individualdisziplin - und doch lässt sich bei diesem Turnier tatsächlich ein roter Faden bei den deutschen Teilnehmern entdecken. Görges hat diesen roten Faden nach ihrer Niederlage gegen Ekaterina Makarowa (Russland) in Worte gefasst: "Es gibt Tage, an denen man gewinnt - und es gibt Tage, an denen man verliert."

Niemand läuft jubelnd über einen Tennisplatz, wenn er gerade verloren hat, und natürlich haben sich die deutschen Teilnehmer geärgert über ihre Niederlagen. Sie haben diese Niederlagen aber auffallend gleichmütig kommentiert, selbst der nach Misserfolgen gewöhnlich kolossal genervte Zverev sprach relativ ruhig über diesen Prozess, den er nun gemeinsam mit seinem neuen Trainer Ivan Lendl durchlaufen müsse und der ohnehin erst auf die kommende Saison ausgelegt sei. Angelique Kerber sagte nach ihrer vermeidbaren Niederlage gegen Dominika Cibulková (Slowakei): "Ich habe in diesem Jahr Wimbledon gewonnen, das kann mir keiner mehr nehmen."

Die deutschen Tennisspieler scheinen doch sehr zufrieden zu sein mit sich und der Welt, und das sei ihnen auch gegönnt. Um die Pokale bei den US Open und um die Siegprämie von jeweils 3,8 Millionen Dollar, da spielen aber diesmal die anderen. Am Montag verließ Kohlschreiber das Louis Armstrong Stadium, er warf den Zuschauern sein Handtuch zu, hob den Daumen, und ein kleines bisschen lächelte er sogar. Er sagte: "Es war ein tolles Turnier, was soll ich mir groß vorwerfen? Ich habe drei Partien gewonnen, war im Achtelfinale und habe gegen einen verloren, der mir nun mal nicht so besonders liegt." Himmelherrgottnocheinmal, das war seine Botschaft: Das war nicht so toll heute, aber Achtelfinale bei den US Open, das ist ziemlich in Ordnung.

© SZ vom 04.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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