Süddeutsche Zeitung

US Open:Ich, Mama

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Tennisprofi Serena Williams inszeniert in New York ihren Wandel von der gefürchteten Gegnerin zur liebevollen Mutter.

Von Jürgen Schmieder, New York

Die US Open beginnen am Montag um 19 Uhr Ortszeit. Natürlich werden tagsüber einige Partien ausgetragen, Sloane Stephens zum Beispiel muss in der Nachmittagshitze gegen Jewgenija Rodina (Russland) antreten, im neuen Louis Armstrong Stadium, und es sagt schon etwas aus, dass die Vorjahressiegerin nicht am Abend spielen darf und nicht im größeren Arthur Ashe Stadium. Dort wird Sängerin Kelly Clarkson ein Kurzkonzert geben, ein paar Leute werden ein paar Worte sagen, Soulsänger Maxwell wird die Nationalhymne singen, dann wird sie auf den Platz kommen, die Attraktion des ersten Abends: Serena Williams, Sportlerin, Mutter, Frau.

Das ist das Selbstbild von Serena Williams, sie lässt alle daran teilhaben. Sie sagt: "Jeder Eintrag bei Twitter kann sich millionenfach verbreiten, das bin ich gewohnt. Alles andere ist neu, alles ist anders, ich spiele dieses Turnier zum ersten Mal als Mutter." Nach der Geburt ihrer Tochter Olympia schwebte sie kurzzeitig in Lebensgefahr, danach kämpfte sie mit postnataler Depression, kürzlich wurde der Mörder ihrer Halbschwester Yetunde Price aus dem Gefängnis entlassen: "Es ist meine Botschaft an alle Frauen. Wir werden mit Hindernissen konfrontiert, doch wir müssen an uns glauben, auch wenn die Dinge nicht immer so laufen, wie wir das wollen." Olympia feiert am 1. September ihr einjähriges Lebensjubiläum, und Williams würde die US Open ein paar Tage später gerne gewinnen. Für ihre Tochter und für alle Mütter auf der Welt.

In einem Essay zitierte Williams Nelson Mandela und aus dem Markus-Evangelium

Williams hat ihrem Tun stets größere Bedeutung beigemessen. Jahrelang stilisierte sie sich, wie sie sagte, als "kleines Mädchen aus Compton mit einem Schläger und einem Traum". Sie hat sich aus der Gangsterstadt im Süden von Los Angeles befreit und ein besseres Leben erreicht. Was sie jedoch gerne verschweigt: Sie kam erst im Alter von vier Jahren nach Compton, und als in Los Angeles die schlimmen Rassenunruhen begannen, da lebte die Familie bereits in Florida, wo Serena eine Tennisakademie besuchte. Mit neun Jahren war sie schon derart berühmt, dass sich Ronald Reagan zum Foto mit ihr aufstellte.

Williams hat seitdem Unfassbares geschafft, sie hat 23 Grand-Slam-Turniere gewonnen, hat sich Millionen an Preisgeld und Werbeeinnahmen verdient. Sie hat aber auch viel abseits des Tennisspiels erreicht. Sie nutzt ihre Stellung und positioniert sich gegen Rassismus und Sexismus. Es ist beeindruckend, wie sie wenige Monate nach der Geburt der Tochter auf die Tour zurückgekehrt ist und in Wimbledon das Finale (sie unterlag Angelique Kerber) erreichte. Man wird indes das Gefühl nicht los, dass es bei Williams meist doch weniger um die Botschaft geht als vielmehr um die Person, die diese Botschaft sendet. Sie spricht über viele Dinge, doch sehr oft kreist vieles um sie. Nicht immer sind alle begeistert. Bernard Giudicelli, Präsident des französischen Verbandes, kritisierte nun den schwarzen hautengen Catsuit, mit dem Williams im Mai bei den French Open medienwirksam angetreten war. "Ich glaube, dass wir manchmal zu weit gegangen sind", sagte Giudicelli: "Der Sport und der Platz müssen respektiert werden." Williams verwies auf medizinische Gründe. Sie litt an Durchblutungsstörungen.

Oder andere Beispiele: Als Williams nach 14 Jahren Abstinenz zum Turnier in Indian Wells zurückkehrte - sie hatte sich von den Zuschauern rassistisch beleidigt gefühlt, nachdem sie Williams wettbewerbsverzerrende Absprachen mit Schwester Venus vorgeworfen hatten -, schrieb sie einen Essay für das Time Magazine. Sie zitierte Nelson Mandela und aus dem Markus-Evangelium, schrieb über Vergebung und Großherzigkeit, also: über die großherzige Vergebung der Serena Williams.

In Runde drei könnte Williams auf ihre Schwester Venus treffen, im Achtelfinale auf Simona Halep

Als sie vor ein paar Jahren gefragt wurde, ob sie eine der besten Sportlerinnen der Geschichte sei, gab sie die unvergessene Antwort: "Einer der besten Sportler." Es war ein wunderbares Zeichen gegen unterschwelligen und oftmals offenen Sexismus im Sport, ihr Ausrüster erstellte Plakate mit Williams' Gesicht und der Botschaft: "Greatest Athlete Ever". Als Roger Federer gefragt wurde, wer der größte Spieler sei, nannte er nicht sich - sondern verwies galant auf den Namen Serena Williams.

Profis sind Egoisten, sie müssen das sein, nur so können sie erfolgreich sein in einem Sport, der einen auf dem Platz bisweilen einsam werden lässt. "Ich stehe immer unter Strom, bei mir ist immer alles gleich ein bisschen dramatischer", sagt die 36-Jährige: "Ich muss lernen, ein bisschen lockerer zu werden und netter zu mir selbst zu sein. Ich dachte, dass ich nun alles ein bisschen leichter sehe, aber das tue ich nicht. Ich habe noch immer dieses Feuer in mir und arbeite noch härter als vorher." Sie will es allen zeigen, das ist zu sehen, doch neben dem Wimbledon-Finale steht in den Statistiken das 1:6, 0:6 gegen die Britin Johanna Konta in San José. Allerdings hatte sie da auch erst von der Freilassung des Mörders ihrer Halbschwester erfahren.

Wer Williams in New York auf dem Platz mit Trainer Patrick Mouratoglou beobachtet, der sieht, dass sie eher gebremst als getrieben werden muss. Ihre Auslosung ist schwer: Sie beginnt gegen Magda Linette aus Polen, in der dritten Runde könnte es zum Duell mit Schwester Venus kommen, im Achtelfinale könnte die Weltranglisten-Führende Simona Halep (Rumänien) warten: "Das ist egal. Wenn ich wieder nach oben kommen will, dann muss ich die ohnehin alle schlagen."

Sie weiß: Diese Inszenierung ist ganz besonders wirksam, wenn sie als Mutter tatsächlich ein Grand-Slam-Turnier gewinnen kann. Sie will in New York unbedingt siegen. Für ihre Tochter, für alle Mamis auf der Welt, vor allem aber für sich selbst.

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SZ vom 27.08.2018
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