Süddeutsche Zeitung

US Open:Allzu allein

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Sie muss gar nicht mehr schlecht spielen, um zu verlieren: Beim Erstrunden-Aus in New York scheitert Angelique Kerber wieder an einer klüger spielenden Gegnerin und muss sich grundlegende Fragen stellen.

Von Jürgen Schmieder, New York

Es gibt beim Tennis solche Partien, da erzählt das reine Ergebnis nur einen kleinen Teil der Geschichte, und manchmal, da fragt man beim Betrachten des Resultats: Was in aller Welt mag da nur passiert sein? Angelique Kerber und Kristina Mladenovic (Frankreich) hatten sich in der ersten Runde der US Open auf dem Grandstand eine packende und hochklassige Partie geliefert, einen taktischen Leckerbissen. Mladenovic streute immer wieder hohe Topspin-Bälle, langsame Slices und gefühlvolle Stopps ein, sie nervte Kerber, die ja gerne das Tempo der Gegnerin aufnimmt und dann präzise und wuchtig kontert.

Das Endergebnis: 7:5, 0:6, 6:4 für Mladenovic. Was in aller Welt ist da passiert?

Eine Erklärung: Mladenovic musste sich im zweiten Satz am Rücken behandeln lassen, ein Nerv war eingeklemmt, auch deshalb gab sie diesen Durchgang beinahe ohne Gegenwehr ab. Man könnte auch behaupten, dass es so eine Partie mit einem derart wahnwitzigen Ergebnis eben einmal im Leben geben würde - wenn es bei Kerber nicht gar so häufig passieren würde: Ein Drittel ihrer Spiele in diesem Jahr gingen über die volle Distanz, kürzlich in Toronto gegen Daria Kassatkina (Russland), das Ergebnis: 6:0, 2:6, 4:6.

Kerber hat aus ihren spielerischen Fähigkeiten die bestmöglichen Ergebnisse erzielt, sie hat drei Grand-Slam-Turniere gewonnen und diese Erfolge auch bestens vermarktet. Das Magazin Forbes führte sie im vergangenen Jahr mit Einkünften in Höhe von 11,8 Millionen Dollar (davon 6,5 Millionen Dollar von Sponsoren) auf der Liste der bestverdienenden Sportlerinnen auf Platz drei. Nicht nur im Tennis wohlgemerkt, sondern über alle Disziplinen hinweg. Nur Serena Williams und Naomi Osaka (Japan) haben noch mehr verdient.

Kerber ist eine der fittesten Spielerinnen auf der Tour, sie kontert präzise und wuchtig und gilt deshalb als eine der unangenehmsten Gegnerinnen, gerade für Top-Spielerinnen. Allerdings müssen bei Kerber viele, vielleicht sogar alle Aspekte ihrer Spielweise funktionieren und auch ineinander greifen, damit es mit größtmöglichen Erfolgen klappt - sonst droht eben sogar das frühestmögliche Scheitern wie zuletzt in Toronto und Cincinnati.

Sie kann sich zurückbeißen in Partien, hineingrooven ins Turnier, mit jedem Erfolg wächst das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und der Glaube daran, auch die größtmöglichen Erfolge feiern zu können.

Doch es haben zuletzt nicht besonders viele Dinge funktioniert, Kerber hat sich nach nur acht Monaten von Trainer Rainer Schüttler getrennt und ist ohne Coach zu den Turnieren nach Nordamerika gereist. Dort hat sie keine Partie gewonnen, es gab drei Niederlagen in der jeweils ersten Runde. Die Prognose des sechsmaligen Grand-Slam-Siegers Boris Becker klang schon vor Turnierstart fatalistisch. "Ich mache mir gerade Sorgen um Angie. Wie lange will sie noch Tennis spielen? So macht es keinen Spaß und keinen Sinn", sagte er dem TV-Sender Eurosport, und Bundestrainerin Barbara Rittner wurde noch deutlicher: "Sie ist ein Mensch, der trotz der Erfolge immer wieder zweifelt, sich hinterfragt, sich unwohl fühlt und alleine fast ein bisschen depressiv oder traurig wird. So, wie ich Angie kenne, ist sie niemand, der eine längere Zeit alleine sein sollte. Sie ist auf jeden Fall jemand, der Führung braucht."

Das Ergebnis erzählt nur einen kleinen Teil der Geschichte, in diesem Fall sendet die Art, wie es zustande gekommen ist, die deutlichere Botschaft. Die Gegnerinnen wissen nun, wie sie gegen Kerber agieren müssen, so sie spielerisch dazu in der Lage sind. "Ich hatte klare taktische Vorgaben", sagte Mladenovic, die nicht nur den Ball übers Netz prügeln kann wie so viele andere Spielerinnen, sondern variiert: "Es war nicht einfach, das so zu spielen, aber es hat funktioniert." Kerber ist derzeit nicht in der Lage, Lösungen für taktische Problemstellungen zu finden, während einer Partie Änderungen vorzunehmen - oder sich einfach mal einzureden, dass sie selbst stark genug ist, diese knappen Spiele in den frühen Runden trotz aller Probleme am Ende doch für sich zu entscheiden.

"Ich habe noch immer Spaß am Tennis, deshalb will ich nicht darüber nachdenken, in welcher Phase meiner Karriere ich mich befinde", hatte Kerber schon vor dem Turnierstart gesagt. Nach der Partie ergänzte sie: "Ich habe mich bewusst entschieden, diese Reise nun alleine zu machen. Ich werde mir Zeit lassen und keine emotionale Entscheidung treffen." Sie will erst mal nach Hause fahren und in aller Ruhe nachdenken. Über dieses Ergebnis und auch über die Geschichte, die es erzählt.

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Quelle:
SZ vom 27.08.2019
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