Na und? Das war die Frage, die sich Jan-Lennard Struff nach knapp dreieinhalb Stunden Spielzeit im Stadium 17 stellte. Völlig egal, dass er bislang seine schlechteste Saison seit einem Jahrzehnt absolviert. Völlig egal, dass er nur im Hauptfeld der US Open steht, weil ihn während der Qualifikation eine Regenpause vor dem Scheitern rettete. Völlig egal, dass der an elf gesetzte Gegner Holger Rune aus Dänemark ein Fitness-Freak ist – und Struff mit 35 Jahren der älteste deutsche Tennisprofi wäre, der je bei einem Grand-Slam-Turnier einen Top-20-Spieler besiegen würde. Alles egal. Das Motto von Struff: Wenn ich jetzt verliere, dann aber sicher nicht, weil ich ängstlich, nervös oder verkrampft agiere.
In diesen fünften Satz war Struff auch deshalb gekommen, weil Rune oft ängstlich, nervös und verkrampft agiert hatte, im dritten Durchgang sogar grottenschlecht. Die letzten beiden Spiele zum 7:6(5), 2:6, 6:3, 4:6, 7:5 spielte Struff so, als wäre er der Top-20-Spieler – der er nie gewesen ist, seine höchste Position war Weltranglistenplatz 21 im Juni 2023. Den Breakball zum 6:5 verwandelte Struff mit einer Inside-In-Vorhand, die man nicht einmal sehen musste, das Geräusch genügte: Niemand erreicht so einen „Waffff“-Schlag, nicht einmal Rune. Aufschlagspiel zum Sieg: Rückhand-Waffff, Ass, Vorhand-Waffff, und zum Abschluss noch ein Ass.

Deutsche bei den US Open:„Wir können nichts schönreden“
Nur drei Frauen und drei Männer: Bei den US Open sind so wenige deutsche Tennisprofis im Hauptfeld wie seit 1983 nicht mehr. Im Gegensatz zu anderen Nationen, Italien etwa, gelingt es hierzulande kaum, Talente zu mobilisieren.
„Schon verrückt manchmal“, sagte Struff beim Treffen mit Reportern danach. Der Regen habe geholfen, ganz klar: „Dann war schon in der ersten Runde die Stimmung toll. Heute war’s einfach nur geil: Holger hat die Zuschauer gepusht, da musste ich den Leuten zeigen, dass ich auch noch da bin. Dann hat er es wieder geschafft, das Publikum auf seine Seite zu ziehen, da musste ich wieder zeigen: Du, pass auf, ich geb’ auch noch Gas hier.“ Kurze Pause, dann sagte Struff: „Joa, das wird jetzt gegen Frances nicht so klappen.“ Frances ist der US-Amerikaner Frances Tiafoe, 27 Jahre alt, der an Nummer 17 gesetzte Lokalheld, sein nächster Gegner in der dritten Runde: „Wohl in einer noch größeren Arena.“
Das Momentum schwang dreieinhalb Stunden lang hin und her wie ein Metronom
Alexander Zverev hatte kürzlich genau beschrieben, was Struff gerade bei den US Open erlebt: „Ich muss ja keine 127 Leute schlagen – sondern die sieben, gegen die ich spielen muss.“ Wenn man diese wunderbare Erkenntnis weiterdenkt, dann genügt es freilich auch, wenn sieben Leute jeweils schlechter spielen als man selbst. Ein Pferd muss desto weniger hochspringen, je tiefer die Hürden aufgebaut sind.
Die erste Jahreshälfte von Struff ließe sich genau so beschreiben, nur: Er war für die Gegner der jeweils Schlechtere. Vom 13. Februar bis zum 8. Juni gewann Struff kein Match; die zweite Runde des Turniers in Madrid erreichte er, weil sein Kontrahent aufgeben musste. Ausgerechnet in Wimbledon, beim Grand-Slam-Turnier auf Rasen, gewann er dann zwei Partien, die zweite gegen den an Position 25 gesetzten Kanadier Felix Auger-Aliassime. Und dann lieferte er Carlos Alcaraz ein Gefecht, nach dem selbst der Spanier fragte: Wie kann das sein, dass dieser Typ so häufig verloren hat, dass er auf Platz 144 der Weltrangliste abgerutscht ist – und damit nicht mehr für das Hauptfeld der größten Turniere qualifiziert ist?
Das nämlich stellte eine Zäsur für Struff dar. „Wenn ich außerhalb der Top 100 wäre, müsste man mich vielleicht fragen, ob ich richtig Spaß dran hätte, Challenger-Turniere zu spielen“, hatte er inmitten der Formkrise gesagt. Es folgte das Unausweichliche: Bei den Masters-Turnieren in Nordamerika vor den US Open war er nicht dabei, in New York musste er sich durch die Qualifikation schlagen.
Und damit zurück zur Partie gegen Rune. Das Momentum schwang dreieinhalb Stunden lang hin und her wie ein Metronom, am Ende war es auf der Seite von Struff; der aber bereit war für diese körperliche wie mentale Herausforderung. Belohnung: Ranglistenpunkte, die ihn sicher auf Platz 113 hieven werden, vielleicht noch weiter, er ist ja noch dabei. Tiafoe übrigens betonte nach seiner Partie mehrmals, wie gut er sich fühle. „Muss ich mich drauf einstellen“, sagte Jan-Lennard Struff. Sein Gesichtsausdruck spiegelte seine Haltung angesichts der nächsten Aufgabe wider: Na und?

