Tennisprofi Amanda AnisimovaSie redet ihrem Gehirn ein, dass sie gewinnen kann

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Ende eines Thrillers:  Amanda Anisimova bezwingt die Japanerin Naomi Osaka im Halbfinale der US Open nach Rückstand in drei Sätzen.
Ende eines Thrillers:  Amanda Anisimova bezwingt die Japanerin Naomi Osaka im Halbfinale der US Open nach Rückstand in drei Sätzen. (Foto: Mike Segar/Reuters)
  • Amanda Anisimova steht nach einem 6:7, 7:6, 6:3-Halbfinalsieg gegen Naomi Osaka im Finale der US Open und hat die Chance auf ihren ersten Grand-Slam-Titel.
  • Die 24-jährige Amerikanerin kassierte im Juli in Wimbledon eine 0:6, 0:6-Finalniederlage gegen Iga Swiatek, revanchierte sich aber bei den US Open mit einem 6:4, 6:3-Viertelfinalsieg.
  • Im Finale am Samstag trifft Anisimova auf die Weltranglistenerste Aryna Sabalenka, die ihr Halbfinale gegen Jessica Pegula 4:6, 6:3, 6:4 gewann.
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Amanda Anisimova verlor das Wimbledon-Finale 0:6, 0:6. Bei den US Open hat sie nun erneut die Chance auf einen Grand-Slam-Sieg. Es wäre die Krönung einer rührenden Comeback-Geschichte.

Von Jürgen Schmieder, New York

Das Hundsgemeine an der ohnehin häufig sonderbaren Sportart Tennis ist: Man muss auch den letzten Punkt gewinnen. Man kann keinen Vorsprung über die Zeit schaukeln, keine Führung austrudeln lassen, keine letzte Runde überstehen, ohne in den Ringstaub geschickt zu werden. Man muss es selbst vollenden, nichts und niemand hilft dabei. Sogar Iga Swiatek hätte zum Beispiel im Juli das im Finale in Wimbledon noch verlieren können beim Stand von 6:0, 5:0 und 40:30. Ein vergebener Matchball hätte alles wenden können. Sie verwandelte ihn aber und beendete ein spektakulär einseitiges Endspiel nach gerade einmal 57 Minuten 6:0, 6:0.

Die Gegnerin damals hieß Amanda Anisimova. Und die US-Amerikanerin hat nun, sieben Wochen später, vor einer ähnlich kniffligen Aufgabe gestanden im Halbfinale der US Open. Sie hatte sich Matchbälle gegen Naomi Osaka aus Japan erspielt, nur stand es zu diesem Zeitpunkt 6:7 (4), 7:6 (3), 5:3 und 40:15 für sie. Ein spannendes, körperlich wie mental intensives Match also. Und Anisimova vergab bald beide Matchbälle zum Sieg, ehe sie sich auch noch einen Doppelfehler leistete. Jetzt hatte Osaka einen Breakball – und man muss kein Sportpsychologe sein, um zu ahnen, was in solchen Momenten auch den Besten passieren kann: Die Hand beginnt zu zittern, das Feld auf der anderen Seite des Netzes schrumpft zu einem mikroskopisch kleinen Viereck.

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Aber die 24-jährige Anisimova behielt die Nerven, sie wehrte den Breakball mit krachender Rückhand-Vorhand-Vorhand-Kombination ab, und einen zweiten Breakball nach einem Netzroller beim zweiten Aufschlag per Rückhand-Knaller. Dann wendete sich das Ganze wieder ihren Gunsten. Mit einem glänzend herausgespielten Punkt Anisimovas, gefolgt von einer donnernden Vorhand die Linie runter. Sie vollendete um kurz vor ein Uhr morgens in der größten Tennisarena der Welt, was sie in den knapp drei Stunden davor erschaffen hatte: ein körperliches und mentales Meisterwerk gegen eine viermalige Grand-Slam-Siegerin, die nach der Geburt ihres Kindes und einigen sportlichen Krisenzeiten in New York wieder auf der Höhe ihres Schaffens war.

„Die meiste Zeit über habe ich tatsächlich gedacht, dass mir diese Partie entgleiten und ich es nicht ins Finale schaffen würde“, sagte Anisimova, als sie um zwei Uhr morgens die Fragen der Reporter beantwortete: „Ich war sowieso von Beginn an nervös und ließ diesen Stress quasi die komplette Partie über zu, weil es permanent auf und ab ging.“ Die Lösung: „Ich habe mir dann immer wieder gesagt, was ich mir schon den ganzen Tag lang eingeredet hatte: Ich kann das schaffen! Immer und immer wieder.“

Als sie 17 Jahre alt war, kurz nach ihrem ersten großen Turnier, starb Anisimovas Vater

Das führt zurück zu jenem für sie so schrecklichen Wimbledon-Finale vor zwei Monaten: Sie hatte in England eine rührende Comeback-Geschichte erzählt. Von ihrer Familie, die vor ihrer Geburt aus Russland in die USA ausgewandert war. Von einem Talent, das mit 17 Jahren im Halbfinale der French Open stand und zwei Monate später den Vater, Konstantin, verlor, der plötzlich an einem Herzinfarkt starb. Verständlicherweise warf sie das aus der Bahn, 2023 nahm sie eine siebenmonatige Pause wegen Burnouts. Dann war sie zurück, gewann in Wimbledon eine Runde nach der anderen und besiegte dort im Halbfinale überraschend die Nummer eins der Welt, Aryna Sabalenka aus Belarus. „Ich war damals selbst verblüfft – vielleicht habe ich aber genau deshalb nicht so recht geglaubt, auch das Finale gewinnen zu können.“

Ihr Werk blieb unvollendet. Anisimova kassierte auf der berühmtesten Bühne dieser Sportart eine der schlimmsten Niederlagen ihrer Karriere: null und null. Das kann einen brechen.

Sie galt vielen Beobachtern als stärkste Spielerin des Turniers: Naomi Osaka aus Japan.
Sie galt vielen Beobachtern als stärkste Spielerin des Turniers: Naomi Osaka aus Japan. (Foto: Kena Betancur/AFP)

„Die negativen Gedanken sind viel intensiver als die positiven“, sagt der spanische Tennisspieler Carlos Alcaraz dazu. Auch das ist eine Eigenheit des Tennis, gerade für junge Spieler: Man gewinnt und gewinnt und gewinnt – und dann schießt einen jemand vom Platz und führt einem vor, dass man doch nicht so gut ist, wie man gedacht hatte. Die Geschichte dieses Sports ist reich an jenen, die nach der Begegnung mit der Realität nicht mehr an sich glauben und sich keine zweite Chance erspielen.

Die Lösung kann so aussehen, wie es Osaka vor der Partie gesagt hatte: „Es ist wie ein Computerspiel: Du lernst es, und wenn du an einem Level scheiterst, fängst du eben von vorn an und machst so lange weiter, bis du es am Ende schaffst.“ Optimismus muss lauter sein als Zweifel, will man es zu etwas bringen im Tennis.

Das Schöne im Tennis ist, dass sich bisweilen eine zweite Chance ergibt. Im Viertelfinale der US Open revanchierte sich Anisimova für die krachende Wimbledon-Pleite gegen Swiatek: mit einem brillant herausgespielten 6:4, 6:3 gegen die Polin, derzeit die Nummer zwei der Welt. Nächstes Level dann: Osaka, die zahlreiche Beobachter für die bislang beste Spielerin des Frauentableaus in New York gehalten hatten. „Ich glaube jetzt einfach an mich“, sagte Anisimova nach der gewonnenen Partie gegen die Japanerin: „Ich glaube daran, dass man seinem Gehirn was einreden kann. Also manifestieren oder visualisieren; sich selbst immer wieder davon überzeugen. Nur dann kann es auch wirklich wahr werden.“

Und nun ist die Finalgegnerin Aryna Sabalenka, die Nummer eins der Welt, die ihr Halbfinal-Nervenduell gegen Jessica Pegula in drei Sätzen (4:6, 6:3, 6:4) gewann. Sabalenka ist eine herausragende Tennisspielerin, aber auch eine Person, die mit der Lautstärke negativer Gedanken vertraut und ebenfalls große Niederlagen zu verkraften hatte – zuletzt in den Finals von Melbourne und Paris.

Beide können also etwas vollenden am Samstag: Sabalenka den ersten Grand-Slam-Finalsieg in diesem Jahr, Anisimova den ersten ihrer Karriere. Wie sie das schaffen will, verriet die 24-Jährige auch noch: „Ich stelle mir einfach vor, wie ich gewinne und den Pokal hochhalte – das war nämlich schon immer die Vision, die ich hatte.“ Manchmal ist es auch sehr einfach, dieses Tennis.

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