US-Nationaltrainer:Klinsmann auf der Suche nach sich selbst

U.S. head coach Juergen Klinsmann reacts at the sideline during an international friendly soccer match against Azerbaijan in San Francisco

Warm angezogen ist er schon mal: Jürgen Klinsmann trifft mit den USA bei der WM auf Deutschland.

(Foto: REUTERS)

Berti Vogts als Scout, Landon Donovan nicht dabei - dazu ein Social-Media-Eklat in der Familie: Die USA wundern sich über Jürgen Klinsmann und seine sportlichen Entscheidungen. Seine Mannschaft wirkt wenige Wochen vor dem WM-Duell gegen die DFB-Elf noch konfus.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Fußballtrainer und hässliche Gebäude haben eines gemeinsam: Wenn sie nur lange genug da sind, hat man sich derart an sie gewöhnt, dass man sie vermissen würde, wenn sie plötzlich fehlten. Der Candlestick Park in San Francisco etwa ist ein unansehnliches und unpraktisches Gebäude. Seit mehr als 50 Jahren stellt der Bau eine schreckliche Arena für Sportler und Zuschauer dar.

Nur: Hier haben eben die Baseballspieler Willie Mays und Barry Bonds den Großteil ihrer Homeruns aus dem Stadion geknüppelt, hier haben Joe Montana und Jerry Rice mit den 49ers eine Football-Ära geprägt. Hier haben die Beatles - zählt man den Auftritt auf dem Dach von Apple Records nicht hinzu - ihr letztes Live-Konzert gegeben.

In wenigen Monaten wird der Candlestick Park abgerissen, die Partie zwischen der amerikanischen Nationalelf und Aserbaidschan war eine der letzten Veranstaltungen in der Arena. "Diese Geschichte!", schwärmte der Fußballtrainer Berti Vogts ein paar Tage vor dem Spiel, das die US-Elf durch späte Treffer der eingewechselten Mix Diskerud und Aron Jóhannsson mit 2:0 gewann. Ja, so ist das eben, wenn man über hässliche Gebäude und Fußballtrainer aktuell nicht viel sagen kann: Man preist das, was früher einmal gewesen ist.

Das führt direkt zu Vogts, wobei sogleich erwähnt werden soll, dass es über diesen Fußballtrainer nicht nur wunderbare historische Dinge, sondern auch aktuell herausragende Sachen zu berichten gibt. Zum einen nämlich ist er Nationaltrainer von Aserbaidschan und damit einer der wichtigsten Männer dieses Landes.

Zum anderen ist Vogts einer der Assistenten von Jürgen Klinsmann, dem Trainer der amerikanischen Elf. "Special Advisor" lautet sein offizieller Titel, sein Spitzname: "US Soccer's International Man of Mystery". Es klingt jedenfalls recht geheimnisvoll, wie Vogts seine Aufgabe beschreibt: "Ich bin kein Trainer. Vielleicht hat Jürgen einige Fragen zu speziellen Dingen, ich gebe ihm eine deutliche Antwort." Na dann.

Vogts' Engagement wiederum hat natürlich mit Geschichte zu tun. Viele von Klinsmanns Entscheidungen vor der WM in Brasilien werden in den USA derzeit mit heftigem Kopfschütteln registriert, lassen sich letztlich aber recht schlüssig historisch begründen. Klinsmann ist ein sowohl bei Zuneigung als auch Abneigung recht konsequenter und konsistenter Mensch; wer sich ein wenig mit seiner Vergangenheit beschäftigt hat, der kann zumindest ahnen, was er für die Zukunft plant.

In der vergangenen Woche hat Klinsmann Landon Donovan aus dem WM-Kader gestrichen. Das sorgte für heftige Diskussionen, befeuert vor allem durch den Spieler selbst. Der Soccerhero war nicht gerade begeistert über seine Nichtnominierung ("Ich habe es verdient, dabei zu sein.") und wurde von Klinsmanns Sohn Jonathan auch noch per peinlicher Twitter-Nachricht ("HAHAHAHAHAHAH DONOVAN HAHAHAHAA") vorgeführt. Es stellte sich unweigerlich die Frage: Steckte mehr dahinter als rein sportliche Gründe?

Problemfall Landon Donovan

Auch hier hilft die Geschichte: Zum einen erinnert der Fall Donovan durchaus ein wenig an den grotesken Torwart-Zweikampf zwischen Oliver Kahn und Jens Lehmann vor dem WM 2006, der natürlich kein Zweikampf war, sondern nichts anderes als eine Schrittweise Demontage von Kahn. Auch jetzt gab es ein Jahre dauerndes Gedöns - und Donovan war einst der einzige Akteur gewesen, den der Vereinstrainer Klinsmann damals zum FC Bayern geholt hatte. Bei seiner Entlassung in München wurde ihm unter anderem auch die Erfolglosigkeit Donovans vorgeworfen.

Vogts begibt sich nun erst einmal auf eine ausgedehnte Dienstreise für den amerikanischen Verband. Er wird zuerst nach Deutschland zurückfliegen und von dort aus nach Rotterdam fahren, um sich am Samstag die Partie zwischen den Niederlanden und Ghana anzusehen. Am Sonntag dann wird er im Stadion von Mönchengladbach sein, wo die deutsche Elf auf Kamerun trifft. Danach geht es zurück in die Staaten - in der Nähe von Boston spielt Portugal gegen Mexiko. Er wird also alle drei Gruppengegner der Amerikaner innerhalb weniger Tage live erleben.

Zurück in Florida wird er dann Klinsmann Bericht erstatten, die amerikanische Elf bestreitet dort am 7. Juni gegen Nigeria ihren letzten Test vor der Abreise nach Brasilien. Vogts bleibt dann zunächst in den USA, schließlich testet Ghana zwei Tage später in Miami noch gegen Südkorea. Erst dann wird auch er ins Land des WM-Gastgebers reisen. "Das wichtigste Spiel wird die Partie gegen Ghana sein", sagt Vogts, dessen Aufgabe nun doch deutlich weniger mysteriös wirkt. Er ist ein Gegnerbeobachter.

Was jedoch lässt sich über diese amerikanische Elf sagen, nach diesem Spiel gegen Aserbaidschan und drei Wochen vor dem Spiel gegen Ghana? Nicht besonders viel. Auch Vogts blieb recht vage: "Sie sind noch in der Vorbereitung - aber wenn man sie spielen lässt, sind sie sehr gefährlich." Aha.

Es war ein recht mühevoller und teils konfuser Auftritt gegen einen überaus harmlosen Gegner, viele Torgelegenheiten erspielten sich die Amerikaner nicht. Es lassen sich auch nicht allzu viele Hinweise herauslesen, wie eine mögliche Startelf gegen Ghana oder später gegen Deutschland aussehen könnte. Klinsmann befindet sich, das ist deutlich zu erkennen, noch in der Experimentierphase. Er selbst sagt: "Wir haben noch sehr viel Arbeit vor uns, da besteht überhaupt kein Zweifel."

Gesetzt für die Startelf dürften lediglich Torwart Tim Howard, Verteidiger Matt Besler sowie die Mittelfeldspieler Michael Bradley und Jermaine Jones sein. Alle anderen Plätze sind noch zu vergeben. In der Verteidigung wählte Klinsmann in den vergangenen elf Partien elf verschiedene Varianten, die Formation am Dienstagabend wurde von Aserbaidschan nicht geprüft.

Zudem befindet sich Klinsmann derzeit auf der Suche nach sich selbst - also nach einem Angreifer, der Tore erzielt. Clint Dempsey ist noch angeschlagen, Chris Wondolowski agierte gegen Aserbaidschan unglücklich, Jozy Altidore stellte erneut seine erschreckende Ungefährlichkeit im US-Trikot unter Beweis. Immerhin traf der eingewechselte Jóhannsson.

"Ich mache mir überhaupt keine Sorgen über Jozy, er wird wieder treffen: Je eher, desto besser", sagte Klinsmann nach der Partie. Ganz böse Menschen jedoch behaupten nun, dass die Mannschaft einen wie Landon Donovan durchaus gebrauchen könnte.

Der nämlich erzielte bei seiner Rückkehr zu seinem Klub Los Angeles Galaxy zwei Treffer und ist nun der erfolgreichste Torschütze in der Geschichte der amerikanischen Liga MLS. Es könnte durchaus sein, dass Donovan auf eine Stufe mit hässlichen Gebäuden und Fußballtrainern gestellt wird: Wenn sie weg sind, vermisst man sie plötzlich gar schrecklich.

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