Urteil:Pechstein fühlt sich schlechter behandelt als Flüchtlinge

Lesezeit: 3 min

In Dienstuniform vor dem Bundesgerichtshof: Eisschnellläuferin Claudia Pechstein vor ihrem Prozess. (Foto: AFP)

Der Bundesgerichtshof lässt keine Schadensersatzklage der Eisschnellläuferin gegen den Weltverband vor deutschen Zivilgerichten zu. Pechstein reagiert mit einem zweifelhaften Vergleich.

Von Johannes Aumüller, Karlsruhe

Claudia Pechstein wirkte sichtlich mitgenommen. Sie war wieder in der blauen Dienstuniform der Bundespolizei erschienen, die Mütze hatte sie vor sich abgelegt, und jetzt blickte sie starr nach vorne zum Kartellsenat des Bundesgerichtshofes (BGH) mit der Vorsitzenden Richterin Bettina Limperg in der Mitte. Fast jeder Satz der Urteilsbegründung traf Pechstein, irgendwann schien sie den Tränen nahe zu sein, aber an einer Stelle lachte sie kopfschüttelnd.

Seit sieben Jahren befindet sich die fünfmalige Eisschnelllauf-Olympiasiegerin Claudia Pechstein, 44, in einer juristischen Auseinandersetzung mit dem Eislauf-Weltverband (ISU). Sie verlangt von der Föderation Schadensersatz von 4,4 Millionen Euro, weil sie von dieser zu Unrecht wegen auffälliger Blutwerte für zwei Jahre gesperrt worden sei. Doch an diesem Dienstagmorgen in Karlsruhe muss Pechstein ihre bisher schwerste Niederlage in diesem prozessualen Marathon verkraften: Der BGH erklärt ihre Schadensersatzklage vor deutschen Gerichten für unzulässig.

Dieses Urteil hat eine konkrete und eine allgemeine Folge. Die konkrete betrifft Pechstein persönlich, weil es nun keine neue Aufarbeitung der Dopingvorwürfe und der Sperre vor einem deutschen Zivilgericht gibt. Sie zeigte sich entsprechend empört. "Wir Sportler sind scheinbar Menschen zweiter Klasse", sagte sie. Jeder Flüchtling genösse Rechtsschutz, Sportler nicht, so lautete ihr Vorwurf.

Urteil
:Claudia Pechstein scheitert am Bundesgerichtshof

Die Eisschnellläuferin erleidet im Prozess-Marathon eine Niederlage: Der BGH erklärt ihre Schadenersatzklage für unzulässig. Pechstein wirkt geschockt.

Von Johannes Aumüller, Karlsruhe

Medizinisch und juristisch kompliziert

Allgemein wiederum bedeutet der Karlsruher Spruch eine Stärkung des schon seit Jahren schwer kritisierten Sportrechtssystems mit dem Internationalen Sportgerichtshof (Cas) an der Spitze: Deutsche Athleten müssen in Streitfragen mit Verbänden in der Regel weiter vors Sportgericht - und dürfen sich nicht an zivile Gerichte wenden.

Die Causa Pechstein ist längst nicht nur medizinisch, sondern auch juristisch eine hochkomplizierte Angelegenheit. Die ISU sperrte die Athletin 2009 wegen auffälliger Blutwerte. Pechstein bestritt Doping stets, sie erklärt die Werte inzwischen mit einer vererbten Blutanomalie. Unmittelbar nach der Sperre zog Pechstein vor den Cas, die höchste Instanz in der Sportgerichtsbarkeit. Dieser bestätigte die Sperre, Einsprüche Pechsteins vor dem Schweizer Bundesgericht hatten keinen Erfolg.

Die Struktur und die Regularien des Cas - das war der Kern in Pechsteins Argumentation in den verschiedenen Instanzen bis zum BGH. Pechstein prangerte an, dass der Cas nicht nach rechtsstaatlichen Kriterien funktioniere und nicht neutral sei, sondern Verbände bevorzuge. Das liegt vor allem an einem Gremium mit dem Namen Icas. Dieses stellt die Richterliste zusammen, aus der sich bei Verfahren vor dem Cas die Parteien je einen Vertreter aussuchen können.

Das Icas selbst wiederum besteht aus 20 Personen - und das Gros davon benennen internationale Sportverbände. Diesem System, so Pechsteins Argumentation, habe sie sich unterwerfen müssen, indem sie eine Schiedsvereinbarung unterschreiben musste, nach der für sie der Gang vor ein ordentliches Gericht ausgeschlossen war und sie sich dem Urteil des Cas final zu beugen hatte. Ohne Unterschrift kein WM-Start, das sei ein Zwang gewesen. Und wegen all dieser Defizite des Sportrechts wollte sie vor ein Zivilgericht.

Es war im kompletten Verfahren bemerkenswert, dass ihr diese Kritik am Cas erst nach dessen für sie negativen Urteil gekommen war. Das Landgericht München folgte Pechstein 2014 in Teilen, wies die Schadensersatzklage aber ab. Das Oberlandesgericht wiederum erklärte sie 2015 für zulässig. Der BGH sah es nun völlig anders als die Vorinstanzen.

Erstens sei das Cas ein echtes und hinreichend neutrales Schiedsgericht: Die verbandsdominierte Auswahl der Richter führe nicht zu einem strukturellen Ungleichgewicht bei der Besetzung eines konkreten Schiedsgerichtes. Athleten und Verbände hätten in der Dopingbekämpfung keine grundsätzlich gegensätzlichen Interessen. Und zweitens sei Pechsteins Unterschrift freiwillig erfolgt. "Ich habe mich heute gefühlt wie vor dem Cas", sagte Pechstein, die in den vergangenen Monaten stets die deutsche Justiz gepriesen hatte. Jetzt sagte sie: "Mein Vertrauen hat einen Dämpfer erhalten."

Womöglich ist der Fall noch nicht vorbei

Es ist in der Tat auffällig, wie Cas-freundlich der BGH urteilte. Die Schwächen des Sportgerichtshofes sind seit Jahren dokumentiert - nicht nur mit Blick auf die Zusammensetzung der Richterliste, sondern auch auf mangelnde Transparenz, uneinheitliche Entscheidungen und manches mehr. Es war erwartet worden, dass bei einer Abweisung der Pechstein-Klage zumindest einige Kritikpunkte formuliert würden. Stattdessen sagte die Vorsitzende Richterin nur, beim Cas gebe es zwar "keine idealen Zustände", konkret etwas auszusetzen hatte sie aber nicht.

Den organisierten Sport freut dieses Urteil. Es gehört ja zu seinen großen Zielen, die Sportgerichtsbarkeit aufrechtzuerhalten und den Einfluss staatlicher Instanzen zu minimieren. Auch dank seiner Lobbyarbeit ist die Schiedsgerichtsbarkeit im seit Jahresbeginn gültigen Anti-Doping-Gesetz verankert worden - wobei sich viele Experten fragen, was sie rechtssystematisch dort verloren hat. Für viele wirkte es so, als sei dies das Zugeständnis der Politik gewesen, damit der Sport seine Agitationen gegen das Anti-Doping-Gesetz als Ganzes unterlässt. Umso bemerkenswerter war, dass der BGH in seiner Begründung darauf hinwies, der Gesetzgeber habe mit dem Anti-Doping-Gesetz den Cas als fähiges Schiedsgericht anerkannt.

Womöglich ist der Fall Pechstein noch nicht vorbei. Sie kündigte an, vors Bundesverfassungsgericht ziehen zu wollen.

© SZ vom 08.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: