Urteil im Karlsruher Fanprojekt-Prozess:Ein hoher Preis fürs Schweigen

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Der Beginn einer langen Justizgeschichte: Karlsruher Fans zünden im November 2022 Pyrotechnik. (Foto: IMAGO/Jan Huebner/IMAGO)

In einem viel beachteten Prozess verurteilt das Amtsgericht Karlsruhe drei Fanprojekt-Mitarbeiter zu Geldstrafen. Der Vorwurf: Sie hätten die Ermittlungen behindert, weil sie sich weigerten, als Zeugen auszusagen. Das Urteil ist umstritten - und weitreichend.

Von Christoph Ruf, Karlsruhe

Es war gegen 19.30 Uhr am Montagabend, als Richterin Charlotte Scholtes am Karlsruher Amtsgericht das Urteil sprach: jeweils 90 Tagessätze (à 70, 60 und 45 Euro) für die drei Mitarbeiter des Karlsruher Fanprojekts. Ihnen war zur Last gelegt worden, nach einem Pyrotechnik-Vorfall im November 2022 keine Angaben über die möglichen Täter gemacht und damit die Ermittlungen verschleppt oder unmöglich gemacht zu haben. Die Angeklagten argumentierten über ihre Verteidigung indessen, sie hätten – ähnlich wie Streetworker in der Drogenarbeit – ein besonders schützenswertes Vertrauensverhältnis zu ihrer auch aus Ultras bestehenden Klientel. Sie wollten, so die Sozialarbeiterin Sophia Gerschel in einem früheren Interview, durch ihr Schweigen „nicht die Täter schützen, sondern unsere Arbeit“. Gegen das Urteil vom Montagabend wollen sie nun erneut Rechtsmittel einlegen. Das letzte Wort in dieser Causa ist also noch nicht gesprochen.

Vor der Urteilsverkündung war ein Raunen durch den Saal gegangen, als Staatsanwalt Thomas Röber in seinem abschließenden Plädoyer sogar 160 Tagessätze gefordert hatte. Das wären  40 mehr als in der Instanz zuvor gewesen. Unter den Zuhörern, darunter „Fanprojekt-Kollegen von Kiel bis Freiburg“ (Anwältin Angela Furmaniak), Gewerkschafter, Wissenschaftler und Vertreter der Sozialen Arbeit, hatte die strenge Forderung auch deshalb für Erstaunen gesorgt, weil Röber zuvor viel Verständnis für die „besondere Lage“ der drei Fanprojekt-Mitarbeiter gezeigt hatte: „Ich kann mir durchaus vorstellen, dass das hier ihre Arbeit beeinträchtigt.“ Er könne auch nachvollziehen, dass es belastend sei, wenn man als Familienvater „auf gepackten Koffern“ sitze, weil zwischenzeitlich sogar Beugehaft im Raum gestanden hatte. Das Recht der elf Verletzten nach der Pyro-Aktion auf eine angemessene Strafverfolgung sei jedoch höher zu bewerten.

Schließlich habe man sechs Verfahren mangels Beweisen einstellen müssen, und es sei nicht auszuschließen, dass das bei Aussagen der Fanprojektler anders gekommen wäre. Zudem hätten sie selbst in mehreren Presseveröffentlichungen durchblicken lassen, wie bewusst es ihnen war, dass sie sich nicht auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen dürfen.

Dieser Argumentation folgte die Richterin bei ihrer Urteilsbegründung dann auch weitgehend. Die Verteidigung habe den Strafverfolgungsaspekt zwei Tage lang völlig außer Acht gelassen, so Scholtes, „dabei reden wir hier nicht von einer Lappalie“. Sie sei aber unter der Forderung der Staatsanwaltschaft geblieben, weil alle drei nicht vorbestraft seien und sie das „Spannungsfeld“ berücksichtigt habe, in dem sich die drei aufgrund ihres Berufsethos befunden hätten.

Es bleibt der Eindruck, dass beide Seiten mit ihren Argumenten kaum zueinander durchdringen

Der Eindruck, dass die Verteidigung einerseits und Richterin und Staatsanwaltschaft andererseits in den inklusiven Sitzungspausen 18 Stunden wechselseitig kaum mit ihren Argumenten durchdringen konnten, blieb indes bestehen. Die Verteidigung hatte wiederholt nach Belegen gefragt, welche Ermittlungen genau ihre Mandanten „vereitelt“ haben sollten. „Sie hatten doch schon alle Namen“, so Anwalt Alexander Schork. „Und die Haupttäter kennt niemand, die waren alle vermummt.“ Die Verteidigung hatte am Nachmittag außerdem beantragt, die Richterin Scholtes als Zeugin vorzuladen. Dadurch hätte sie den Vorsitz abgeben müssen – ein Befangenheitsantrag light also, da sie in einem vorherigen Verfahren zwei an der Pyro-Aktion beteiligte Ultras zu Haftstrafen ohne Bewährung verurteilt hatte. Scholtes lehnte ab, die Verhandlung ging unter ihrem Vorsitz weiter.

„Ich finde es erstaunlich, dass die Richterin sich nicht für befangen erklärt hat, an dem Punkt, als ihr angeboten wurde, als Zeugin aufzutreten“, sagt der Freiburger Soziolgieprofessor Albert Scherr, der an beiden Verhandlungstagen in Karlsruhe war und jüngst ein Gutachten zum Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit veröffentlicht hat. „Aus meiner Sicht war das auch ein Ausdruck von Voreingenommenheit, einer sehr starken Gewissheit mitten im Verfahren, dass eigentlich klar ist, wo es hingehen muss.“ Für Scherr war zudem „nicht erkennbar, dass eine Aussage der Angeklagten in irgendeiner Weise einen substanziellen Beitrag zur Strafverfolgung erbracht hätte“. Er sehe deshalb weder „die Notwendigkeit, so ein Verfahren überhaupt einzuleiten“ noch „es dann bis zum Ende durchzuziehen“.

Die Justiz veweist in der Urteilsbegründung auch auf die Politik

Schwerwiegende Folgen für die Soziale Arbeit befürchtet auch Michael Gabriel von der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) in Frankfurt, der ebenfalls vor Ort war: „Ich bin ganz schön geschockt. Einmal natürlich mit Blick auf meine Kolleginnen und Kollegen in Karlsruhe, andererseits aber auch, weil das Urteil, wenn es denn Bestand hat, extrem negative Auswirkungen auf die Arbeit der Fanprojekte, nein, der ganzen sozialen Arbeit in schwierigen Milieus haben wird.“ Die Botschaft, die von dem Karlsruher Urteil ausgehe, sei fatal: „Es gibt keinen Schutz des unerlässlichen Vertrauensverhältnisses, deswegen werden die Kontakte zu den Jugendlichen leiden, und man kann sich, überspitzt gesagt, von der Gewaltprävention verabschieden.“

Ob die Karlsruher Justiz hier der richtige Ansprechpartner ist, sei dahingestellt. Auch Scholtes warf jedenfalls in der Urteilsbegründung die Frage auf, ob die Politik nicht gut beraten sei, ernsthaft darüber zu diskutieren, ob das Zeugnisverweigerungsrecht nicht auf weite Teile der Sozialen Arbeit ausgedehnt werden müsste.

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