Unterhaching:Talente in Bonbonpapier

Präsident Manfred Schwabl Mitte und seine Spieler SpVgg Unterhaching bejubeln den Sieg Fussbal

Die Kindergärtner überrumpelt: Der Unterhachinger Talentschuppen feiert den Pokalsieg gegen den Zweitligisten RB Leipzig.

(Foto: imago/Lackovic)

Die tief gefallene SpVgg Unterhaching will die Einnahmen aus dem DFB-Pokal für eine Rückkehr in den Profifußball nutzen.

Von Christoph Leischwitz, Unterhaching

Es war ausnahmsweise mal wieder halbwegs voll im Unterhachinger Sportpark, rund 5000 Zuschauer waren gekommen, und so ging der Stadionsprecher ein ungewöhnliches Wagnis ein: "Es wäre schön, wenn ich den Vornamen sage und ihr, liebe Zuschauer, dann den Nachnamen des Spielers ruft." Wer nicht so oft hierher komme, der könne ja einen Blick in die ausgedruckte Aufstellung des Sitznachbarn werfen. Der Plan wurde umgesetzt, wenn auch nicht gerade lautstark.

Doch nach dem DFB-Pokalspiel gegen RB Leipzig am Dienstagabend war der eine oder andere Spieler schon gleich etwas berühmter als zuvor. So hallten etwa ab der 59. Minute "Stefan Marinovic"-Rufe durch das Stadion, weil der Torwart mit seinen Paraden die Führung des Viertligisten gegen den ambitionierten Zweitligisten erfolgreich verteidigte. Dann wäre da der umjubelte Schütze zum 2:0, Marco Rosenzweig, ein 19-Jähriger aus der eigenen Jugend, mit der Erfahrung von 44 Spielminuten im Profibereich. Oder der bei seiner Auswechslung (64.) umjubelte Mittelfeldspieler Alexander Piller, in der U23 der SpVgg Greuther Fürth ausgemustert, in Unterhaching plötzlich einer der Wichtigsten. "Eigentlich eine Jugendmannschaft", sagt Trainer Claus Schromm über sein Team. Er hatte der Unbekümmertheit vertraut und den einzigen Spieler im Kader mit Zweitliga-Erfahrung, Maximilian Nicu, bis zur zweiten Hälfte auf der Bank gelassen.

Das Stadion mit dem architektonischen Charme der 1990er Jahre und einem Kastanien-Biergarten hinter der Südtribüne ist schon seit langem ein guter Ort für sportliche Überraschungen. Michael Ballack weiß davon zu berichten, nachdem er im Mai 2000 mit Bayer Leverkusen hier spielte. Und von den namenlosen Nervensägen zu einem Eigentor gezwungen wurde, ohne das es den Begriff "Vizekusen" heute gar nicht gäbe. Denn Leverkusen verspielte an jenem Nachmittag die deutsche Meisterschaft. Vor vier Jahren, als Drittligist, besiegte Haching den Bundesligisten SC Freiburg mit 3:2 in der ersten Pokalrunde. Die SpVgg war in jeder Liga klein genug, um in wichtigen Spielen unterschätzt zu werden.

Bis 2015 handelte es sich allerdings noch um oft unterschätzte Profis, mittlerweile aber ist aus der SpVgg ein reiner Amateurklub geworden, der für den Vorstoß ins Pokal-Achtelfinale 527 000 Euro erhält und damit seinen Etat von 400 000 Euro mehr als verdoppelt. Wenn nicht gerade DFB-Pokal gespielt wird, ist der Rasen nicht einmal mehr komplett mit Werbebanden begrenzt. Beim offiziellen Hauptsponsor namens Alpenbauer handelt es sich um einen in Bonbonpapier gepackten Freundschaftsdienst, der in erster Linie die Peinlichkeit einer blanken Trikotbrust verhindern sollte. Präsident Manfred Schwabl, als ehemaliger Bayern-Profi das einzige bekannte Gesicht des Vereins, wird für seine erfolglose Marketing-Strategie offen von den Fans kritisiert. Das fehlende Geld hat vorige Saison auch unmittelbar dazu beigetragen, dass man aus dem Profifußball abstieg; in Form eines Punktabzugs nämlich.

Was Schwabl allerdings sehr gut kann: seine tief verwurzelten Kontakte in den bayerischen Fußball dafür zu nutzen, unbekannte Talente mit Nachnamen wie Taffertshofer, Welzmüller oder Einsiedler zum Verein zu holen. Obwohl die Leistungszentren des FC Bayern und des TSV 1860 München nur wenige Kilometer entfernt sind - manche Talente bekommt Schwabl sogar von dort. Trainer Schromm hilft bei der Suche mit und macht die jungen Spieler taktisch fit für höhere Aufgaben. Die komplett neue Mannschaft ist zwar nervös und überfordert in die Regionalliga-Saison gestartet, auch weil Leistungsträger wie Jonas Hummels, der Bruder des Nationalverteidigers Mats, verletzt fehlten. Doch innerhalb weniger Wochen ist die SpVgg auf Rang fünf in der Tabelle geklettert, immer häufiger tritt sie dominant auf.

Noch in der ersten Halbzeit wirkten die Profis von RB Leipzig wie Kindergärtner am ersten Arbeitstag: überrumpelt von der Spielfreude, der Laufbereitschaft und auch der Frechheit, mit der die teilweise noch nicht mal ausgewachsenen Spieler auftraten. Unterhaching kombinierte sich in ein Spieltempo hinein, das man selbst nicht mehr drosseln konnte, aber Leipzig oft vom Hachinger Tor fernhielt. "Ich hatte schon nach zehn Minuten die Sorge, dass uns am Ende die Luft ausgeht", sagte Schromm. Dass der Einbruch nicht kam, dass die Mannschaft schlicht besser spielte als RB Leipzig, schien dem Trainer nach der Partie sogar feuchte Augen zu bereiten.

Wegen der geringen Sponsoren- und Zuschauereinnahmen ist der Verein seit Jahren gezwungen, die besten Talente zu verkaufen. Mit der unverhofften Pokal-Einnahme soll das Team nun zusammengehalten werden und ab der kommenden Saison den Weg in den Profifußball zurückfinden. Sollte das klappen, wäre die Mannschaft zum wahren Hauptsponsor des Vereins geworden.

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