Union Berlin:Zu lange im dunklen Tunnel

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Chancenlos, auch gegen einen wenig furchterregenden Gegner: Union Berlins Spieler verlassen ernüchtert den Rasen. (Foto: Maja Hitij/Getty Images)

Auch wenn Zugang Max Kruse Schwung ins Spiel bringt, so ändert dies nichts am alten Dilemma: Spielt die Abwehr ohne Mumm, geht das Spiel verloren - wie nun gegen den FC Augsburg.

Von Javier Cáceres, Berlin

Es zählt zu den Mantras der Unioner, dass bei ihnen alles passen muss, damit sie in der Bundesliga bestehen können. Das heißt: Es gibt im Grunde keine Situation, in der sie es sich erlauben könnten, nachzulassen. Und daran hat sich auch dadurch nichts geändert, dass sie ihre Debütsaison in der Bundesliga, die vergangene Spielzeit also, als Tabellenelfter abschlossen. Das erste Spiel der neuen Saison, am Samstag gegen den FC Augsburg, war dafür ein Beleg. Dreimal leisteten sie sich Unachtsamkeiten in der Abwehr, dreimal trafen die Gäste, am Ende stand es 1:3 für den FC Augsburg. Nichts Neues im Osten also? Mitnichten. Denn seit de Wochenende steht Max Kruse zur Verfügung.

Kruse, 32, hatte signalisiert, Luft für 20 oder 25 Spielminuten zu haben, berichtete Unions Trainer Urs Fischer später; und so hielten sie es auch. Zur 71. Minute schickte er den Bundesliga-Rückkehrer, der letztmals Ende März in der Türkei ein Punktspiel bestritten hatte, aufs Feld.

Kruse ist nicht Maradona, und die mit 4500 Menschen gefüllte Alte Försterei war nicht das Stadio San Paolo von Neapel, das einem Messias huldigte. Die Fans, sie nahmen ihn zur Kenntnis. Und dennoch: Als Fischer gefragt wurde, ob nicht auch er das Gefühl gehabt habe, dass durch Kruses Einwechslung so etwas wie ein Ruck durch die Mannschaft gegangen sei, verfiel der Schweizer in für seine Verhältnisse vesuvische Euphorie: "Empfand ich auch so."

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Union außergewöhnlich große Probleme gehabt, Chancen zu kreieren. Durch den letztlich überraschenden, fast schon letztminütigen Weggang von Sebastian Andersson nach Köln (und die verletzungsbedingte Absenz von Anthony Ujah) fehlten den Köpenickern Ziel und Orientierung im Angriff. Gegen eine Augsburger Mannschaft, die zwar solide, pflichtschuldig und effizient, aber eben auch anonym wie eine Postbehörde vor sich hin werkelte.

Dass der FCA in Berlin schließlich die ersten drei Punkte der Saison abstempeln durfte, lag vor allem daran, dass den Unionern die defensive Konsequenz des vergangenen Jahres fehlte - und Routinier Christian Gentner nach rund 20 Minuten mit Verdacht auf einen Muskelfaserriss in der Wade ausgewechselt wurde. Bestens zu beobachten war das schon bei Augsburgs Führung in der 40. Minute: Ob beim Pass des ehemaligen Schalkers Daniel Caligiuri an die Grundlinie, der Flanke von Raphael Framberger oder dem Kopfball von Ruben Vargas - die Defensive der Unioner war nicht sehr viel aggressiver als eine Gruppe aufblasbarer Trainingspuppen. Und bei den anderen Augsburger Treffern durch Michael Gregoritsch (82.) und André Hahn (89.) war das kaum anders.

"Wir waren in den entscheidenden Situationen nicht klar genug dran und haben als Team nicht gut verteidigt. Das ist natürlich sehr, sehr ärgerlich am ersten Spieltag, da brauchen wir nichts schönzureden", sagte Kruse und fand keine Argumente dafür, sich daran zu erfreuen, dass er für 20 Minuten ein Kerzenlicht in den dunklen Tunnel der Einfallslosigkeit gebracht hatte.

Es war kaum Zufall, dass Unions einziger Treffer durch Marius Bülter fiel (75.), als der aus Istanbul in die Bundesliga zurückgekehrte Ex-Nationalspieler auf dem Rasen stand. Die Unioner hatten zwar schon vorher gedrängt, doch mit Kruse waren erstmals Risse in den ansonsten firmen Augsburger Abwehrreihen zu sehen. Sogar Marcus Ingvartsen blühte auf, denn nachdem er zunächst fachfremd als Sturmspitze aushelfen musste, durfte er in sein angestammtes Habitat zurück, das offensive Mittelfeld, wo er mit Kruse gut harmonierte. "Man hat heute schon gesehen, dass es uns gefehlt hat, einen gelernten Stürmer auf dem Platz zu haben", klagte Unions Trainer Fischer später. Am Samstagabend gab Union die leihweise Verpflichtung des Nigerianers Taiwo Awoniyi bekannt, der beim englischen Meister FC Liverpool auf der Gehaltsliste steht und zuletzt für Mainz 05 stürmte. Union sucht freilich noch einen weiteren Stürmer.

Awoniyi saß am Samstag bereits in Köpenick auf der Tribüne. Und er sah noch, dass Augsburgs neuer Torwart Rafal Gikiewicz mit einer Glanztat einen weiteren Treffer von Union verhinderte - an seiner alten Wirkungsstätte. Gikiewicz hat ja den Arbeitsplatz mit dem früheren Augsburger Andreas Luthe getauscht. "Es war ein emotionales Spiel für mich", sagte der in Köpenick kultisch verehrte Gikiewicz hinterher, "beim Warmmachen hatte ich Gänsehaut, als 5000 Union-Fans meinen Namen gerufen haben. Aber ich habe ein neues Kapitel aufgeschlagen und gebe jetzt mein Herz für den FC Augsburg." Und so freute er sich über die drei Punkte wie sein neuer Trainer Heiko Herrlich, der daran erinnerte, dass schon ganz andere Teams an der Alten Försterei verloren hätten.

Seine Freude galt überdies dem Umstand, dass die Reservisten einschlugen. Torschütze Gregoritsch, der nach einer halbjährigen Leihe nach Schalke nun wieder in Augsburg spielt, sprach gar von der "wahrscheinlich besten Bank seit Jahren beim FCA". Das lässt die Schwaben hoffen, die sich das kleinste aller Ziele gesetzt haben: möglichst früh in der Saison dem Abstiegskampf zu entkommen.

© SZ vom 21.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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