Union Berlin:Singen verboten, Lärm erlaubt

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Lang, kurz, kurz, lang: Das ist der Rhythmus, in dem am Samstag für Union die Hände und Topfdeckel zusammengeschlagen wurden. (Foto: Nico Fried/oh)

Das 1:1 gegen Freiburg sehen trotz hoher Infektionszahlen 4500 Zuschauer im Stadion an der Alten Försterei. Unions Trainer Fischer dankt ihnen für die "tolle Stimmung".

Von Nico Fried, Berlin

Den Fans von Union Berlin wurde ihr Schicksal im wahrsten Sinne des Wortes in die Hände gelegt. Sprechchöre und Chorgesänge verboten, Maskenpflicht im ganzen Stadion, das waren die Bedingungen, unter denen rund 4500 Zuschauer zum Heimspiel gegen den SC Freiburg ins Stadion an der Alten Försterei gelassen wurden. Die Konsequenz machte sich schon bei der Verlesung der Aufstellungen bemerkbar: Die Fans des FC Union durften die Namen ihrer Spieler nicht mit dem üblichen Zusatz "Fußballgott!" versehen. Statt dessen klatschten sie die drei Silben - mit den Händen oder auch mit Kochgeschirr, das auf Antrag eines Fanklubs ausdrücklich zugelassen worden war.

Dass die Berliner trotz massiv steigender Corona-Zahlen wieder vor Zuschauern antraten, war schon tagelang ein Politikum in der Hauptstadt. Bis zum Anpfiff war die sogenannte Inzidenz im Bezirk Treptow-Köpenick auf 61,5 gestiegen, also deutlich über die 50er Marke, die auf den Karten der pandemischen Topografie dunkelrote Flächen bedeutet und eigentlich verschärfte Maßnahmen gegen die Verbreitung des Virus verlangt. In keinem anderen Bundesland sind noch Veranstaltungen mit so vielen Teilnehmern gestattet. Das Land Berlin aber unternahm nichts. Und auch der Bezirk, vertreten durch einen Gesundheitsstadtrat der AfD, ließ die Unioner mit ihrem angereicherten Hygienekonzept gewähren. Müßig zu erwähnen, dass beide amtlichen Stellen die Verantwortung beim jeweils anderen sahen: das Land beim Bezirk, der Bezirk beim Land. Berlin eben.

Lang, kurz, kurz, lang. Das stand an diesem Tag als Klatschrhythmus für "Ei-sern Un-ioooon". Eingeübt unter Anleitung des Stadionsprechers. Und zu klatschen gab es einiges. Die Unioner erspielten eine halbe Stunde lang mit bemerkenswert geradlinigem Offensivfußball gegen eine konfuse Freiburger Abwehr Chance um Chance. Allein Joel Pohjanpalo nahm das Tor der Gäste ein gutes halbes Dutzend mal ins Visier, einmal sogar rückwärts und im Sitzen. "Zu viele einfache Passfehler", monierte Freiburgs Trainer Christian Streich nach der Partie: "Damit haben wir dem Gegner in die Karten gespielt." Das war eine hübsche Formulierung, hatte doch Max Kruse, der wiederholt von den Freiburger Fehlern profitierte, jüngst mit einer nächtlichen Poker-Runde in einer Berliner Shisha-Bar wieder einmal für Aufregung gesorgt.

Allein: Ein Tor erzielten die Unioner nicht. Und so geschah, was geschehen musste: In der 34. Minute passte der Freiburger Christian Günter links hinaus auf den frei stehenden Vincenzo Grifo, der den Ball via Innenpfosten zum 0:1 ins lange Eck drehte. Den habe er "gut erwischt", fasste Grifo später zusammen. Dem neuen Berliner Torhüter Andreas Luthe, der statt des verletzten, noch neueren Torhüters Loris Karius spielte, halfen da auch gestreckte 1,95 Meter Körpergröße nichts.

Unions Trainer Fischer dankt den Fans für die "tolle Stimmung"

Doch der FC Union ist in dieser frühen Phase der Saison schon erstaunlich gefestigt. Nicht nur kompensieren die Eisernen seit Wochen den Ausfall mehrerer Stammspieler und gegen Freiburg auch noch ihres defensiven Mittelfeldmannes Grischa Prömel, sie spielten auch nach dem Rückstand unbeirrt nach vorn. Und belohnten sich fast postwendend. Kruse erhielt den Ball auf linker Position, kurzer Querpass auf Robert Andrich, und der hämmerte den Ball flach ins linke Eck des Freiburger Tors. Der Jubel der Zuschauer fand seinen Weg durch 4500 Atemschutzmasken. Der Freiburger Dominik Heinz, der den Schuss abgefälscht hatte, kommentierte sein Pech nach dem Spiel lakonisch: "Ich kann mich ja nicht wegwerfen mit meinem Fuß."

Wie es sich mit der Kulisse spielen ließ, wurde Torschütze Andrich später gefragt. "Ein unruhiges Gefühl" hätte das Klatschen verursacht, berichtete er. "Das kennt man so nicht, normalerweise ist da noch Gesang dabei." Mit diesem Corona lerne man eben "immer wieder was Neues". Tatsächlich verhielten sich die meisten Fans auffallend diszipliniert. Coronaviren, die möglicherweise in manchem Rachenraum schon ihrer Verbreitung im Stadion harrten, erlebten eine unbefriedigende zweite Halbzeit. Auf beiden Seiten gab es kaum noch zwingende Chancen. Die Freiburger verteidigten jetzt konsequenter und gegebenenfalls auch mit der nötigen Härte. So waren lange Zeit nur einige Schiedsrichterentscheidungen Anlass für manchen Fan, die Textilie vor dem Gesicht intensiver zu durchfeuchten.

Andrich stellte hinterher zu Recht fest, dass seine Mannschaft schon in der ersten Hälfte "einfach noch eins mehr" hätte drauflegen müssen. Auch sein Kollege Marvin Friedrich haderte: 22 Torschüsse insgesamt, davon 13 in der ersten Halbzeit, "das muss mindestens für drei Punkte reichen".

Und das Pandemie-Politikum? Union-Trainer Urs Fischer dankte erst einmal den Zuschauern für ihre Disziplin und "eine tolle Stimmung". Allgemeinere Gedanken waren ihm nicht zu entlocken. "Ich befasse mich zu wenig mit Corona", lautete Fischers Satz, mit dem er darauf verzichtete, sich als Hobby-Virologe in Szene zu setzen. Er vertraue darauf, dass die Verantwortlichen letztlich vernünftig entschieden. Und er versuche, "sich an die Regeln zu halten".

Kollege Streich ging das Problem nachdenklicher an. Auf die Frage, ob wegen der steigenden Infektionszahlen nicht zu befürchten sei, dass große Teile der Saison wieder ganz ohne Zuschauer gespielt werden müssen, antwortete der Freiburger: "In diesem Tempo darf es nicht weitergehen." Er hoffe, "dass es durch die Disziplin der Menschen wieder weniger wird". Wenn allerdings nicht, so Streich, "haben wir ein richtiges Problem".

© SZ vom 26.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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