Süddeutsche Zeitung

Union Berlin:Im ICE aus dem Schatten

Aus der Bundesliga wurde Jens Keller vertrieben, auch weil ihm angeblich das Charisma fehlte. Mit Union liegt er auf Platz 3. Sie hoffen auf den Aufstieg - und der Trainer auf die Chance, es den Kritikern zu beweisen.

Von Christopher Meltzer, Berlin/München

Jetzt, da Jens Keller wieder behutsam an der Pforte zur Bundesliga anklopft, darf man sich schon fragen, warum er überhaupt so lange weg war. Natürlich sind die Bilder aus dem Herbst 2014 haften geblieben, als Keller, damals Trainer des FC Schalke, meist ein wenig bedröppelt schaute und seine Mundwinkel stets ein wenig nach unten gebogen waren. Und als Teile der Fußballgemeinde beschlossen, dass diesem Jens Keller das Charisma fehle, um einen Bundesligaklub zu verantworten. Die Schalker sahen das dann wenig später genauso.

Heute darf man sie daran erinnern, dass Keller, bevor er aus dem Pott verjagt wurde, ihnen zweimal die Champions League servierte. Daran wird der Klub in dieser Saison wohl erneut scheitern. Schalke ist Elfter. Und Keller? Der könnte mit Union Berlin in die Bundesliga aufsteigen. Vier von fünf Spielen hat Union im neuen Jahr gewonnen, zuletzt am Freitagabend 2:0 gegen den TSV 1860 München. Berlin ist Dritter. Schon vor dem Freitagsspiel hat Keller gesagt: "Wer 13 Spieltage vor dem Ende auf dem Relegationsplatz steht, will sich dort nicht mehr vertreiben lassen."

Irgendwo zwischen modernem Laptoptrainer und erfahrenem Einheizer

Im Schatten der Bundesliga tut sich Keller wieder als feiner Fußballtrainer hervor. Er muss sich nicht mehr dafür rechtfertigen, dass sich seine Mundwinkel manchmal nach unten biegen. Vor allem aber bleiben ihm die Widerstände im eigenen Verein erspart. "In der Tat ist es so, dass hier im sportlichen Bereich nur einer redet, und das bin ich als Trainer", hat Keller kürzlich zum Magazin 11Freunde gesagt. Er ist ein erfrischender Vertreter einer Branche, in der gerade ein Kulturkampf tobt zwischen modernen Laptoptrainern und erfahrenen Einheizern. Keller ordnet sich selbst irgendwo dazwischen ein.

Und irgendwie fusioniert das ganz gut mit Union Berlin. Einerseits widersetzen sie sich dort ein wenig den Standards des pompösen Profifußballs. Ihr Stadion ist nicht nach einer Versicherungsfirma benannt, sondern noch nach der Straße, in der es steht. Andererseits liebäugeln sie auch an der Alten Försterei mit der Bundesliga. Dafür haben sie Jens Keller angestellt. Er will dem Verein austreiben, mit wenig zufrieden zu sein. "Es ist quasi als selbstverständlich hingenommen worden, dass man schlecht startet, dass man im Pokal rausfliegt", erzählt Keller, "Sachen, bei denen ich gesagt habe: 'Seid ihr wahnsinnig?'"

Gerade versucht Keller Union beizubringen, ein Spitzenteam zu sein. "Dazu gehört auch, mit Drucksituationen umgehen zu müssen", sagt er. Die Verantwortung hat der Trainer Spielern übertragen, die nicht immer Verantwortung tragen mussten: Toni Leistner, 26, der die Abwehr zusammenhält. Felix Kroos, 25, der im Mittelfeld dirigiert. Steven Skrzybski, 24, Simon Hedlund, 23, und Sebastian Polter, 25, die im Angriff wirbeln.

"Man darf nicht auf die Bremse drücken"

"Wir haben nicht den Kader, den Hannover und Stuttgart haben", sagt Keller. Beide stehen in der Tabelle noch vor Union. Doch dort widersetzen sie sich mit dem beliebten Konzept aus Pressing und Gegenpressing. Die Berliner Zeitung hat festgestellt, dass Union gerade in der Lage ist, "Ergebnisse zu erzwingen". Eine Fähigkeit, die gute von sehr guten Mannschaften unterscheidet.

"Wenn ein Express fährt und schnell sein soll, darf man nicht auf die Bremse drücken", hat Keller am Freitagabend gesagt. Bei Union sitzen sie im ICE und glauben an ihre Aufstiegschancen. Nur wollen die auch alle wahrnehmen? Keller hat gegenüber 11Freunde zugegeben, dass "viele unserer Fans mit der zweiten Liga zufrieden sind". Er selbst ist das aber nicht. Das will er jetzt auch dem aufmüpfigen Traditionsverein vermitteln. Und wenn es tatsächlich mit der Bundesliga klappt? "Ich glaube", sagt Keller, "ich bin der erste Trainer, der entlassen wird, wenn er aufsteigt."

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Quelle:
SZ vom 26.02.2017
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