In den Katakomben des Berliner Olympiastadions wurde Unions Präsident Dirk Zingler von einem guten Bekannten abgepasst, und was ihn dann übermannte, ist mit Emotionen nicht hinreichend beschrieben. Zingler hatte noch gut vor Augen, dass die Hertha-Fans in ihrer Kurve mit einer Choreo einen imperialistisch anmutenden Gesamtanspruch auf Berlin kundgetan hatten, dem die Fans seines Klubs ein schlichtes "1. FC Union Berlin" entgegengehalten hatten. Doch das nur am Rande: Was ihn stolz machte, war die Mannschaft an sich, die soeben einen 4:1-Sieg herausgespielt hatte; und weil er dem Verein seit nahezu 20 Jahren vorsteht, kann er sich historisch vergleichende Urteile erlauben.
"Die Jungs hier, das sind die besten, die wir je hatten...", sagte Zingler, ehe er seine Ausführungen abbrach, um sich kurz hinter einer Säule zu verstecken. Niemand sollte sehen, was seine brüchige Stimme verriet. Dass er mit Tränen der Rührung zu kämpfen hatte, und dass er diesen Kampf offenkundig verloren gab.
Auch von Hertha-Trainer Magath gibt es viel Lob
Unter der Woche hatte Union nach dem Erreichen des ursprünglichen Saisonziels ("40 Punkte plus x") den Zweck der laufenden Spielzeit umgewidmet. Nun soll "Europa" erreicht werden, in welcher Form auch immer. Die Art und Weise, wie der Sieg gegen die Hertha erzielt wurde, hat diesen Traum katalysiert. "Ich habe auf dem Platz gesehen, dass dieser unbändige Willen da ist, nicht aufzuhören, dranzubleiben", sagte Trainer Urs Fischer.
Unrealistisch ist es nicht, dass sich Union im kommenden Jahr wieder auf kontinentaler Bühne zeigen darf. Allein dass sich die Tore auf Genki Haraguchi, Grischa Prömel, Sheraldo Becker und Sven Michel verteilten, lässt aufhorchen, denn von den vier genannten Spielern ist am ehesten noch Prömel für Torgefahr bekannt.
Das Eigentor von Timo Baumgartl, das immerhin den zwischenzeitlichen Ausgleich bedeutete (49.), ließ Union nicht einmal ansatzweise wackeln und taugte allenfalls für launige Kommentare: "Im Endeffekt gehe ich mit einem Tor und einem Assist raus. Das ist auch okay", scherzte Baumgartl. "Tolles Ergebnis, toller Sieg, tolles Spiel, tolles Publikum", sagte wiederum Fischer und genoss die Lobeshymnen seines Kollegen Felix Magath: "Gegen bessere Mannschaften kann man verlieren."
Magath hatte sich schon vor der Partie auffallend positiv über Union geäußert ("klare Linie"), nun adelte er Fischers Mannschaft als ein Team, das Hertha von der ganzen Spielstruktur her überlegen war, weil "im Grund ein Rädchen ins andere greift". Was nicht ganz selbstverständlich ist in Anbetracht der Tatsache, dass viele Schlüsselspieler - zum Beispiel Friedrich, Schlotterbeck, Andrich oder Kruse - Union in den letzten Monaten verlassen haben.
Der nächste Traum: zum Pokalfinale ins Olympiastadion zurückkehren
Es habe durch die verschiedenen Fortgänge tatsächlich Anpassungsprobleme gegeben, sagte Kapitän Christopher Trimmel, aber nun sei man zu einer "sehr, sehr guten Mannschaft geworden". Unter anderem deshalb, weil "die Automatismen und Abläufe sehr klar sind, das spürt man auch auf dem Feld". Bestätigt wurde dies von Mittelfeldspieler Rani Khedira. "Wir waren im Flow", sagte er. Die Folge: einer dieser Siege, "die sich auf der Festplatte einbrennen", wie Prömel sagte.
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Entsprechend verriet sich auch ein gewisses Eigeninteresse, als die Unioner die Hoffnung äußerten, dass die Hertha in der Liga bleibt. "Solche Derbys machen etwas mit der Stadt", sagte Trimmel und fügte mit Blick auf die eines Pokalfinales würdige Kulisse von fast 75 000 Zuschauern hinzu, dass es schade wäre, verlöre Berlin dieses Stadtduell. "Für solche Spiele wird man Fußballer", sagte Trimmel.
Ob es dazu kommt, liegt nicht in der Hand der Unioner. Sie freuen sich draüber, dass sie durch das neue Saisonziel offenkundig "neue Energie freigesetzt" haben, wie Fischer bekannte. Doch das ist nicht das einzige, das ihnen verbleibt. Am 20. April können sie sich gegen Leipzig fürs DFB-Pokalfinale qualifizieren, auf dem Spiel steht nicht weniger als eine Rückkehr ins Olympiastadion, in dem sie in dieser Saison ihre Europa-Conference-League-Heimspiele austragen mussten. "Das Ziel wird sein, noch mal ein Spiel hier zu absolvieren diese Saison", sagte Niko Gießelmann.