Union Berlin:Ein Tag für feuchte Augen

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Optische Täuschung: Freiburgs Janik Haberer springt höher, Michael Parensen gewinnt den Zweikampf. (Foto: Monika Skolimowska/dpa)

Für den Aufsteiger ist das 2:0 gegen Freiburg ein Befreiungsschlag.

Von Javier Cáceres, Berlin

An den Feierabend-Weg zu den eigenen Fans sind die Spieler von Union Berlin eigentlich gewöhnt. Sie treten ihn immer an, nach jedem einzelnen Spiel. Denn zu den ungeschriebenen und vielleicht deshalb besonders heiligen Gesetzen, die im "Stadion An der Alten Försterei" gelten, gehört auch jenes über die bedingungslose Unterstützung von den Rängen. Mit dem ebenso wichtigen Unterpunkt, dass der Support ergebnisunabhängig gilt - also auch und vor allem bei Niederlagen.

Zuletzt waren die Union-Profis vier Mal hintereinander mit gesenkten Köpfen in die Kurve gegangen. Jedes Mal versuchten ihre Anhänger nach Kräften, sie zu trösten oder gar aufzurichten. Mit Gesängen, mit Sprechchören, die von der Hoffnung getragen waren, dass es irgendwann wieder einen Sieg zu feiern gäbe. So wie am Samstag, als der SC Freiburg 2:0 geschlagen und der erste Sieg seit dem 3:1-Coup gegen Dortmund Ende August geschafft wurde.

Von Routine beim Gang in die Kurve konnte dennoch keine Rede sein. Und zwar nicht, weil es erst der zweite Bundesligasieg der Klubgeschichte war. Sondern deshalb, weil ein Unioner, Michael Parensen, später zugab, dass er "ein Tränchen" in den Augen gehabt habe, als er den Fans gegenübergestanden war. Er sagte das auf die Frage nach seinem seelischen Befinden; und die hatte sich aufgedrängt. Denn bei Parensen ging es nicht um mehr als 90 siegreich gestaltete Minuten. Es ging um die vorläufige Krönung seines ganzen Berufslebens: "Ich hab' mich wahnsinnig gefreut", sagte der Berliner Defensivmann.

Seit Januar 2009 ist Parensen bei Union angestellt, und der Samstag war für ihn ein ganz besonderer Arbeitstag, weil er nun, mit 33 Jahren, endlich sein Erstligadebüt gab. Als er in Berlin landete, war Union noch Drittligist - und so klamm, dass sogar Fans beim Umzug des Spieler aus Köln Hand anlegten. Parensen zweifelte - und blieb doch. Er stieg mit Union auf, wurde mit 207 Partien Zweitliga-Rekordspieler des Klubs und schloss nebenher noch ein BWL-Fernstudium ab. Als Union im Mai in die Bundesliga aufstieg, gab es nicht die leiseste Diskussion darüber, dass sein Vertrag verlängert wurde - weil er im Klub und in der Mannschaft eine absolute Identifikationsfigur geworden ist, und weil er auch fußballerisch gut genug ist, um in der ersten Liga mitzuhalten, wie nun zu sehen war. "Jeder, der weiß, wie lange ich hier bin, und dass ich sehr lange dafür gearbeitet habe", sagte Parensen, der wisse, dass es "schon etwas Besonderes" für ihn sei, "dass das heute so gut geklappt hat".

Dass dem so war, lag auch daran, dass sich die Umstände für Union so gut wie nie zuvor in dieser Saison fügten. Nach nur einer Minute traf Marius Bülter mit einem satten Distanzschuss zur Führung. Das gab dem Team ausreichend Sicherheit, um die zuletzt hochgelobten, aber diesmal recht fantasielosen Freiburger nie richtig ins Spiel kommen zu lassen. Spät, aber verdient, wurde der Sieg durch das 2:0 (84.) von Marcus Ingvartsen gesichert.

"Die Mannschaft hat sich endlich belohnt. Ich glaube, dass das für den weiteren Verlauf unserer Meisterschaft entscheidend ist", sagte Trainer Urs Fischer, der in den vergangenen Wochen viele Lobhudeleien der Kollegen ertragen musste, aber meist ohne Punkte dastand. Das war diesmal anders: Sein Freiburger Kollege Christian Streich räumte ein, Union sei in nahezu allen Belangen überlegen gewesen.

Dafür stand auch Parensen, und zwar exemplarisch. Erst am Freitag hatte er erfahren, dass er in der Startelf stehen werde - als Vertreter des sehr bundesligaerfahreneren Neven Subotic, der wegen Knieproblemen passen musste. Bedenken gab es weder im Kreis der Mannschaftskameraden ("Der ist so routiniert und erfahren, da muss man sich überhaupt keine Sorgen machen", sagte Kapitän Christopher Trimmel), noch bei Trainer Fischer: "Dass Micha immer bereit steht, ist für mich nichts Neues", erklärte der Schweizer. Mehr noch. Er attestierte Parensen, dass er "jünger gespielt hat als er schlussendlich ist".

Das Adjektiv jünger hätte Fischer durch unbekümmerter ersetzen können. "Ich habe mir vorgenommen, das Spiel zu genießen - egal wie's ist, egal wie's ausgeht, in welcher Situation wir sind", sagte Parensen. Am Ende aber war nur von Bedeutung, dass er mit seiner Einstellung beispielhaft dafür stand, dass kein Spieler im Team abfiel: "Wir hatten viele Spieler, die es genossen haben, gemeinsam auf dem Platz zu stehen, füreinander da zu sein, aufs Tor zu schießen, Fußball zu spielen, Zweikämpfe zu gewinnen, zu laufen, zu arbeiten. Und dann kommt so ein Ergebnis zustande."

Dieser Heimsieg war für Union vor allem von psychologischer Bedeutung. Auch wenn die Berliner es damit auch schafften, den Relegationsplatz zu verlassen - wichtig war der Sieg vor allem deshalb, weil die Serie von vier Niederlagen unterbrochen und die Gefahr abgewendet wurde, dass sich Negativerlebnisse im Kopf festsetzen. Das bedeutet aber nicht, dass man sich in Köpenick vom Abstiegskampf befreit wähnt. Man habe vorher gewusst, "wo wir uns in dieser Saison aufhalten werden", sagte Trainer Fischer mit Blick auf das untere Tabellendrittel. Daran hat sich nichts geändert.

© SZ vom 21.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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