Süddeutsche Zeitung

Unions 2:0 gegen Dortmund:Im Köpenicker Erfolgslabor

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Auch die Ballartisten aus Dortmund finden kein Rezept gegen die Zermürbungstaktik des 1. FC Union. Die Berliner setzten ihren Siegeszug fort - weil sie Qualitäten haben, die dem BVB fehlen.

Von Jens Schneider, Berlin

Es ist ein groteskes Missgeschick, das Gregor Kobel früh im Spiel passiert. Niemand ist in seiner Nähe, der Torwart von Borussia Dortmund hat alle Zeit, den Rückpass seines Kollegen anzunehmen. Das wird für einen Dortmunder Spieler eine Ausnahme an diesem Abend in Berlin sein, ständig werden sie später vom 1. FC Union unter Druck gesetzt. Keeper Kobel aber ist in dieser achten Minute noch allein, als er wegrutscht und die Kugel vor das leere Tor trudelt, während er hinfällt. Janik Haberer hat gar keine Chance, das Geschenk auszuschlagen und so liegt Berlin mit einem Tor vorn, bevor das Spiel für die Dortmunder überhaupt richtig begonnen hat.

Es ist der Auftakt zu einem 2:0-Sieg und zu einer außergewöhnlichen ersten Halbzeit in Köpenick, deren Verlauf exemplarisch für den aktuellen Erfolg der Berliner wie für die Misere der Dortmunder steht. Würde Fußball im Labor ausgetragen, so könnte man die Anordnung des Abends als ideales Experiment ansehen: Spielhärte gegen zumindest potenziellen Spielwitz, unermüdlicher Kampfgeist gegen leichtfüßige Kombinierer - wer setzte sich durch?

Das Geheimnis von Union Berlin liegt nicht erst seit dieser Saison in der unerbittlichen Disziplin, mit der die Mannschaft von Urs Fischer sich an taktische Vorgaben hält, den Gegner zermürbt und schnell angreift, wenn sich die Gelegenheit bietet. Sie führen einen Kampf Eins-gegen-eins über das ganze Feld, mit jedem Spieler, so hat es Neven Subotic gerade in einem SZ-Interview erläutert. Jener robuste Abwehrspieler, der jahrelang für Borussia Dortmund spielte und vor seinem Karriereende noch eine Saison bei Union dranhängte. Er beschrieb diese Spielweise als leicht durchschaubar, und doch schwer zu verteidigen. Die Dortmunder wussten vor diesem Spiel sicher, wie es laufen könnte, und wirkten doch bald perplex wie ratlose Artisten.

Den Dortmundern wird nachgesagt, dass ihre Mannschaft genau von dem zu wenig aufs Feld bringt, was Union ausmacht, nämlich Konsequenz und Entschiedenheit - und so gestaltet sich auch dieser Abend. Es sieht erst einmal souverän aus, wie der BVB auch nach dem ersten Gegentor den Ball hin und her schiebt, mal kurz, dann wieder lang, solange er in der eigenen Hälfte ist. Aber nur fünf Meter weiter vorn ist es vorbei mit der Ruhe. Da läuft einer aus der Berliner Kette genau im richtigen Moment den Dortmunder an, erobert den Ball oder erzwingt einen Fehler.

So wie in der 21. Minute, als der junge Karim Adeyemi an der Mittelline in Bedrängnis gerät, und das Problem elegant mit der Hacke lösen will. Die Berliner erlaufen den Ball, passen in die Mitte, wo Jordan Siebatcheu mit dem Rücken zum Tor für Haberer ablegt. Ein scharfer Flachschuss, sein zweites Tor.

Spätestens ab diesem Moment wirken die Dortmunder überfordert angesichts der Präsenz der Berliner. Beispielhaft ist das Geschehen in der 43. Minute, als der zuletzt oft so großartige Aufbauspieler Jude Bellingham einen Pass halbhoch nach vorn schlägt, wo er keinen seiner Mitspieler erreichen kann. Es fühlt sich an, als wäre das Spiel in diesem Moment beendet.

Dortmunds Trainer Edin Terzic darf das nicht so sehen, wechselt zur Hälfte drei offensive Spieler ein, auch Marco Reus kommt ins Spiel. Dortmund kommt nun näher ans Tor der Berliner, aber mehr Chancen hat zunächst weiter der Gastgeber mit Kontern, die er nicht geschickt zu Ende spielt.

Zu jedem Union-Spiel gehört, dass die Konsequenz, mit der die Berliner ihre Gegner unter Druck setzen, viel Kraft kostet. Also hat Dortmund am Ende noch einige Chancen. Reus und Youssoufa Moukoko scheitern an Torwart Frederik Rönnow. Fünf Minuten vor dem Ende singen die Berliner Anhänger, deutscher Meister werde nur ihr Verein - Fan-Gesänge halt, aber nun sind sie weiter Tabellenführer, und wer das verstehen will, hat die Gründe in diesem Laborversuch unter Begleitung eines frenetisch feiernden Publikums vorgeführt bekommen.

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