Erster Aufstieg:"Union und Bundesliga - das hört sich komisch an"

  • Union Berlin steigt erstmals in die Bundesliga auf und erlebt eine besondere Party-Nacht.
  • Die Fans stürmen den Rasen, die Spieler sind tief gerührt. "Wie sich das anfühlt? Einfach geil", sagt Trainer Urs Fischer.
  • Beim VfB Stuttgart, der absteigen muss, ist die Trauer dagegen groß.

Von Saskia Aleythe, Berlin

Als hätten die Wildschweine daran genagt. Ausgefranst liegt der Rasen im Stadion "An der alten Försterei", als weit nach Mitternacht die Fans von Union Berlin den Platz wieder freigeben. Noch einmal schießt Feuerwerk in den Himmel, wer noch singen kann, singt noch immer "Eisern Union", die Hymne. Nicht fassbar ist dieses Glück, sagen die Spieler. Ein bisschen was zum Anfassen wollen die Fans. Manche tragen Rasenstücke in den Händen nach Hause, andere Teile des Tornetzes. Relikte eines Abends, an dem in Berlin-Köpenick die Art Geschichte geschrieben wurde, die es nicht noch einmal geben kann.

Mit dem Abpfiff des Aufstiegsspiels in die Bundesliga, des ersten Aufstiegs in die Bundesliga von Union Berlin, fließt auf dem Rasen alles zusammen, was Rot trägt. Wie ein Dammbruch, alles läuft zusammen und wird zu einem großen Ganzen: Trainerbank und Spieler, Fans und Spieler. Auf dem Rasen kugelnd, in den Armen liegend, Tränen, Kreischen. "Dem Morgengrauen entgegen ziehen wir gegen den Wind", singen die Unioner nach dem 0:0 gegen den VfB Stuttgart, da sieht es im Stadion schon mehr nach Konzert aus, als dass es hier vorher ein Fußballspiel gegeben hat.

Spieler werden wie beim Stagediving auf den Händen durch die Masse getragen, Kinder sitzen auf Schultern, auf einer kleinen Bühne begießen sich die Berliner Spieler mit Bier. "Wenn man das sieht, bekommt man Gänsehaut", sagt Mittelfeldspieler Robert Zulj im Stadioninneren, von draußen dröhnt der Gesang durch die Glasscheiben: "Ich könnte zu heulen beginnen."

Ein 1:0 hätte den Stuttgartern gereicht - doch das Tor fiel nicht

Erschütterung, man sieht sie am Montagabend in Köpenick in unterschiedlichster Ausprägung: Während der ehemalige DDR-Oberligist Union zum ersten Mal nach der Wende wieder erstklassig spielt, erwischt den VfB Stuttgart der endgültige K. o. Urs Fischer, der Aufstiegstrainer, ist keiner, der gleich aus sich herausgeht, auch nach so einem Erlebnis nicht. Pressekonferenz, Analyse zum Spiel, Fischer knetet die Hände, dreht den Ehering, bedankt sich bei allen im Verein, von "der Wäschefrau bis zur Marketingabteilung". Es dauert ein bisschen, dann wird der Schweizer doch noch emotional, zumindest mit Worten. "Wie sich das anfühlt? Einfach geil", sagt er: "Wenn du da auf der Bank sitzt, es geht noch eine Minute, du fragst, wie lange geht es noch und dann pfeift er endlich ab - das sind Gefühle, die kannst du in Worte nicht fassen."

Nur zwei Meter weiter ringt Nico Willig mit seiner Enttäuschung, wirkt konsterniert. "Für uns war es von Anfang bis Ende eine Horrorsaison", sagt der VfB-Trainer auf der Pressekonferenz und muss schlucken, "dass es so endet, ist brutal, das ist der Tiefpunkt für uns." Er wirkt wie einer, der schnell abschließen möchte mit dem Fußball in diesem Verein. "Mein Projekt war, fünf Wochen hier drin zu arbeiten und den Klassenerhalt zu gewinnen. Das ist mir nicht gelungen"; sagt er, "für alles Weitere stehe ich nicht zur Verfügung."

Ein 1:0 hätte den Stuttgartern gereicht, um den Klassenerhalt zu schaffen und nach neun Minuten lag der Ball ja auch im Tor der Unioner - doch per Videobeweis wurde der Treffer für ungültig erklärt, weil VfB-Spieler Nicolás González beim Schuss von Dennis Aogo im Abseits stand und den Union-Keeper verwirrte. "Ich habe die Videoszene nicht gesehen. Ich werde sie mir glaube ich auch niemals in meinem Leben angucken", sagte Willig noch. Mit Abpfiff war aus dem Gästeblock der Stuttgarter Fans schwarzer Rauch in die Arena gezogen. Sie waren auf das Schlimmste schon vorbereitet. Und Union auf das Schönste.

Union-Klubpräsident Dirk Zingler ist völlig fertig

Zwei Hände, die ein Herz halten, hatten sie vor dem Anpfiff als Choreo auf der Waldseite der Tribüne nach oben gezogen, die Liebe zum Verein wogte das ganze Spiel über durch das Stadion, welches seinen ganz eigenen Charakter hat. 2008 haben 2000 Freiwillige beim Neubau mitgeholfen, es ist ja auch ein Teil von ihnen. Die Anzeige wird noch per Hand umgeklappt und bei einer Kapazität von 22 012 Zuschauern ist kein Fan den Spielern wirklich fern. "Die ganze Bundesliga kann sich drauf freuen, in ein sehr, sehr schönes Stadion zu kommen mit sehr besonderen Fans", sagt Sebastian Polter, im Aufstiegsshirt und mit Schal um den Kopf gebunden. Und in der Hand die Keule von "Ritter Keule", das Maskottchen mit eisernem Herzen.

"Es ist ein Klub mit einem Geist", sagt Urs Fischer und meinte damit wohl auch Charakter und Herz. Für die Berliner war nach zehn Jahren in der zweiten Liga an diesem Abend nur noch Feiern angesagt, klar. Als Union-Profifußball-Geschäftsführer Oliver Ruhnert gerade über die Planungen für die Bundesliga-Saison spricht ("Wir haben das Ziel, in den nächsten Tagen die ersten Verpflichtungen zu tätigen"), kommen Felix Kroos und Florian Hübner von der Seite an. "Wo ist das Bier", fragt Hübner an Ruhnert gerichtet, "hör auf, so seriös zu sein, wo ist das Bier?"

Völlig fertig ist am Abend Klubpräsident Dirk Zingler, der schon seit 2004 der mächtigste Mann im Verein ist. Völlig fertig von der Freude, die Arme hängen schlaff herab, die Erschöpfung ist ihm schon vor Mitternacht anzusehen. "Union und erste Bundesliga - das hört sich für mich komisch an", sagt er, "obwohl ich 40 Jahre lang auf diesen Tag gewartet habe, aber wenn es dann so weit ist, hört es sich total komisch an." Und dann erzählt er die Anekdote des Abends: Den Abpfiff hat er nicht im Stadion, sondern auf der Toilette erlebt. Geschichte schreiben nach Union-Art.

Die Köpenicker sind nun der fünfte Verein aus der ehemaligen DDR-Oberliga, der es in die Bundesliga geschafft hat, nach Dynamo Dresden, Hansa Rostock, dem VfB Leipzig und Energie Cottbus, die zuletzt 2009 in der höchsten deutschen Spielklasse vertreten waren. "Die Mauer muss weg", haben sie früher gesungen, als die Gegner bei Freistößen die Gegentore verhindern wollten. Alte Geschichten, jetzt beginnen die neuen. Am Mittwoch will die Mannschaft über die Spree von der East Side Gallery aus bis nach Köpenick schippern, sich dann dort am Rathaus feiern lassen. "Jetzt ist das Vergnügen da, die nächsten 72 Stunden, 500 Stunden", sagte Spieler Polter noch, "ich habe jetzt schon keine Stimme mehr. Ich weiß nicht, wie es werden soll." Heiser Union.

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