Süddeutsche Zeitung

Union Berlin auf Europa-Kurs:Ein Gespenst geht um in Köpenick

Der 2:1-Sieg gegen die starke TSG 1899 Hoffenheim liefert eine Reihe von Argumenten dafür, Union Berlin als Kandidaten für die Europapokalplätze ernst zu nehmen.

Von Javier Cáceres, Berlin

Das Wort im Presseraum im Stadion Alte Försterei erging an einen Journalisten, der so aussieht, wie sich Karikaturisten Karl Marx vorstellen: wallendes weißes Haar, dichter Philosophenbart. Und was er zu fragen hatte, das klang, als wäre er drauf und dran, Marx zu paraphrasieren, genauer: dessen berühmten Einstiegssatz aus dem Kommunistischen Manifest. Nach dem Motto: "Ein Gespenst geht um in Köpenick, ein Gespenst namens Europa ..."

Seine Frage lautete natürlich anders. Und ging an Sebastian Hoeneß, den Trainer der TSG 1899 Hoffenheim: "Bei Union weicht man keinen Millimeter vom Ziel Klassenerhalt ab. Als ein Gegner, der hier gerade in der Alten Försterei verloren hat: Sehen Sie Union als einen ernsthaften Kandidaten für einen Europapokalplatz?" Solange die Frage formuliert wurde, hatte sich Unions Trainer Urs Fischer offenkundig köstlich darüber amüsiert, dass sie nun also seine Trainerkollegen zu kompromittieren suchen, weil sie bei ihm in solchen Dingen immer auf Granit stoßen, und stets nur die Auskunft erhalten, dass "das Ziel 40 Punkte" gelte. Nun aber sagte er bloß ein Wort.

"Sebastian ...!"

Was bei aller Freundlichkeit mahnend und schneidend klang: Sieh dich bloß vor, Sebastian, schwafel mich hier jetzt ja nicht in die Grütze. Und Sebastian Hoeneß, der als Trainer von Hoffenheim soeben in Köpenick mit 1:2 verloren hatte, er holte aus, überhäufte die Unioner mit Lob ("Keiner fährt so richtig gern hierher") und sah sie deshalb auch "zu Höherem" berufen - um am Ende seines Vortrags der Hoffnung Ausdruck zu verleihen, dass Union "hoffentlich einen Platz hinter uns" landen möge. Was Fischer mutmaßlich unterschreiben würde.

Union ist jetzt schon der Meister im Mund abputzen

Dafür, dass Union unbedingt zu den Europapokal-Kandidaten gezählt werden muss, lieferte der Samstag eine Reihe von Argumenten. Allen voran die Kategorie des Gegners Hoffenheim, der ein wirklich gutes Spiel bot und zuletzt sieben Spiele nacheinander ohne Niederlage geblieben war. Auch in Köpenick war die TSG über größere Zeiträume überlegen und sogar nach einer guten Viertelstunde in Führung gegangen - durch ein Kopfball-Eigentor von Timo Baumgartl, das TSG-Angreifer Ihlas Bebou mit einer scharfen Hereingabe heraufbeschworen hatte (16.). Derlei gelingt in dieser Kombination nicht vielen Mannschaften.

Der 1. FC Union aber brachte es in der Rubrik Mundabputzen zur neuen Meisterschaft - und kam nur sechs Minuten danach zum Ausgleich, und später dann zum Siegtor, wobei Fischer nicht unterschlagen wissen wollte, dass da ein Faktor namens Glück eine Rolle spielte: "Wir hatten die Momente auf unserer Seite, das haben wir auch gebraucht."

Immer wieder hatte er die taktische Formation umgestellt; und als er einsah, dass alles Reden nichts nützte, schickte er sogar ein einkaufszettelgroßes Stück Papier auf die Reise, vollgeschrieben mit taktischen Instruktionen, die von den Spielern gelesen wurden, ehe Mittelfeldspieler Grischa Prömel es zerknüllte. Später, als die Partie beendet war, befand Prömel, dass es spielerisch nicht das beste Spiel Unions gewesen sei. Woran es freilich nichts auszusetzen gab, das war die Machart der beiden Treffer, die auf ihre Weise Geschichten dieser Mannschaft erzählten.

Das Ausgleichstor war vor allem das Werk des Bastian Oczipka. Der Linksverteidiger hat in dieser Saison kaum gespielt und nun, da man fast vergessen hatte, dass er existiert, war er mit einer überzeugenden Vorstellung präsent. Oczipka nun schlug eine präzise Flanke auf Stürmer Andreas Voglsammer, und der Ersatzmann des zurzeit beim Afrika-Cup weilenden Toptorjägers Taiwo Awoniji traf per Kopf die Unterkante der Querlatte. Mit dem Glück, dass der Ball an die Schulterpartie von Hoffenheims Torwart Oliver Baumann sprang und von dort ins Tor.

Der Siegtreffer wiederum war ein klassischer Treffer Made in Köpenick, ein Konter der gehobenen Schule. Dominique Heintz, der gerade aus Freiburg nach Berlin gestoßen ist, lockte die Hoffenheimer mit Rückpässen aus der Deckung, und als Torwart Andreas Luthe das sah, schlug er einen langen Ball ins Mittelfeld, der die Gäste traf wie ein mysteriöser Blitz: Voglsammer leitete den Ball zu Max Kruse, der wiederum Sheraldo Becker auf der linken Seite bediente. Der Niederländer passte den idealen Moment ab, um Kruse zu assistieren - und nachdem dessen Schuss abgefälscht an der Querlatte landete, prallte er in den Fünfmeterraum zurück. Prömel kam angerauscht und drückte den Ball per Flugkopfball zum 2:1-Sieg über die Linie (73.).

Hätte Mönchengladbach kurz darauf nur einen Punkt gegen Leverkusen gewonnen, so wäre Union zwar auch nur noch neun Punkte von der magischen 40-Punkte-Marke entfernt, von der Coach Fischer immer spricht. Union stünde jedoch auf einem Champions-League- und nicht, wie jetzt, auf einem Europa-League-Platz.

Doch daran, an Europa, verschwenden sie gerade keinen Gedanken. "Er predigt uns, wo wir herkommen - vor drei Jahren haben wir hier noch Zweitligafußball gesehen", sagte Prömel, der Matchwinner, über Fischer. Und auch auf den Rängen galt diesmal die Fischer-Doktrin, der zufolge es immer nur ums nächste Spiel geht. Wobei das nächste Spiel dieses Mal von besonderer Natur sein wird. Denn Union muss im DFB-Pokal zur Hertha reisen. Die Unioner schickten beste Grüße in den Westend: "Stadtmeister, Stadtmeister, Berlins Nummer eins", sangen sie auf den Tribünen, was sie im Grunde seit dem Derby-Sieg aus dem Ligaduell vom November singen. Aber diesmal doch so klang wie eine freudige Aufforderung, den Titel zu verteidigen.

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