Union Berlin:Am Boden angekommen

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Kleiner Dank an URS: Erst der Schweizer Trainer Urs Fischer fand einen Weg, die Unioner aus Köpenick in die erste Liga zu lotsen. (Foto: Britta Pedersen / dpa)

Der Aufsteiger rätselt nach dem 0:4 über das schwache Gesamtbild bei seinem Erstliga-Debüt gegen überlegene Leipziger.

Von Javier Cáceres, Berlin

Das Spiel war längst vorbei, doch die Menschen auf den Rängen waren nicht willens, zu gehen. Und sie waren auch nicht bereit, sich dem Defätismus zu ergeben, der Enttäuschung, der Ernüchterung.

Im Gegenteil.

"Union Berlin. . .", sangen sie im Stadion An der Alten Försterei, "unsre Liebe/unsre Mannschaft, unser Stolz/unser Verein/Union Berlin. . ." Da capo al fine ging das; so lange, bis den Männern in den roten Trikots gar nichts anderes mehr übrig blieb, als einen Gang anzutreten, der ihnen skurril vorgekommen sein dürfte. Eine Ehrenrunde im eigenen Stadion zu drehen, nach einer vollauf verdienten 0:4-Niederlage im ersten Bundesligaspiel der Vereinsgeschichte gegen RB Leipzig, auf die Idee muss man auch erst einmal kommen.

"Wir sind angekommen - am Boden", befand Trainer Urs Fischer später im Presseraum des Stadions. "Leipzig war sehr gefährlich, hatte eine unheimliche Dynamik, Wucht und Schnelligkeit. Am Ende müssen wir mit dem 0:4 zufrieden sein, die Niederlage hätte deutlich höher ausfallen können", fügte er hinzu. Auch in der Mannschaft leugnete niemand die Ernüchterung. "Wir müssen unsere Lehren daraus ziehen. Wir sind ja nicht in der Bundesliga, um uns abschlachten zu lassen", sagte Unions Mittelfeldspieler Grischa Prömel.

Zwar hatte auch er sich den Kampf um den Klassenerhalt nicht als Wochenendspaziergang ausgemalt. Doch eine so brutale Begegnung mit der Wirklichkeit hatte niemand erwartet. Den einzigen Trost fand Trainer Fischer anderntags darin, dass das multiple Organversagen, das seine Mannschaft offenbarte, nichts über ihre wahre Leistungsfähigkeit aussagt. Es waren so viele Spieler unter ihrer Normalform, dass das Potenzial nicht einmal annähernd abgerufen wurde. Aus unerklärlichen Gründen. "Auch die Jungs haben keine Antwort", sagte der Coach.

Die größte Sorge ist nun, dass die durch den Aufstieg erzeugte Euphorie verloren geht

Und es stimmt ja: Eine solch hohe Summe an individuellen und kollektiven Fehlern hat man selten gesehen. Sie führte, wie Fischer meinte, per "Kettenreaktion" zu einem Verlust an Selbstvertrauen, der fast mit Händen zu greifen war. "Wir müssen uns schnellstmöglich zurechtfinden", erklärte Fischer. "Es ist eine andere Liga, da kommt eine andere Geschwindigkeit, eine andere Qualität. Wenn du fehleranfällig bist, kriegst du die Quittung."

Gegen Leipzig fiel sie auch deshalb so hoch aus, weil den Toren durch Marcel Halstenberg (16.), Marcel Sabitzer (31.), Timo Werner (42.) und Christopher Nkunku (69.) eklatante statische Probleme ausgerechnet in der Defensive vorausgingen. Diese war in der Aufstiegssaison, neben der am Sonntag nicht wahrnehmbaren Heimstärke, die vornehmste Tugend Unions gewesen. Auch am Montag noch war es Fischer unerklärlich, wieso seine Mannschaft wirkte, als würde sie den Zweikämpfen ausweichen, anstatt sie zu suchen.

Die noch überschaubare, gleichwohl größte Gefahr, die Union droht, dürfte der Verlust jener Euphorie sein, die nach dem Aufstieg im Mai gar nicht mehr abebben wollte. Fußball ist ja auch eine Frage von Gemütszuständen, im Stadium der Hoffnung lässt es sich viel leichter kämpfen - auch ums Überleben. So gesehen erscheint wenig tröstlich, dass Union am Wochenende zum FC Augsburg reist. Dort steht Fischers Schweizer Landsmann und Kollege Martin Schmidt nach dem Pokalaus in Verl und einem 1:5 bei Borussia Dortmund vor der Notwendigkeit, einen Sieg zu erzielen.

Fischer zeigte sich genügsam. Es würde guttun, wenn die Bemühungen seines Teams mal mit einem Punkt belohnt würden. "Es geht aber erst mal darum, eine Leistung auf den Platz zu bekommen, mit der man leben kann", - Fischer weiß ja, dass das Leben auch nach peinigenden Auftaktpleiten weitergeht. Sein erstes Spiel als Profi des FC Zürich ging 1:6 verloren, gegen den FC Sion. Er habe dennoch Verteidiger in Zürich bleiben und eine dann 20-jährige Karriere erleben dürfen, scherzt Fischer. Den Humor, immerhin, hat ihm das 0:4 nicht geraubt.

© SZ vom 20.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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