Union Berlin:Baumgart hält schon die ersten Wutreden

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„Da brauchen wir nicht drum rumreden“: Steffen Baumgart beim 0:2 gegen Augsburg. (Foto: Andreas Gora/dpa)

Nach dem 0:2 gegen Augsburg ruft Unions Coach deutlich den Abstiegskampf aus. Der Trainerwechsel hat bislang keinen positiven Effekt - und mit einer Systemumstellung fremdeln die Spieler noch.

Von Javier Cáceres, Berlin

Das Stadion An der Alten Försterei des 1. FC Union Berlin hebt sich unter anderem deshalb von anderen Spielstätten des modernen Fußballs ab, weil es eine Form der Singularität pflegt. Zum Beispiel durch „DJ Wumme“, der bei den Spielen als „Stadionmucker“ firmiert und eine sog. „Playlist“ aufführt. Genauer: einen kleinen, aber passioniert gelebten Akt des Widerstands gegen die Eventisierung des Fußballs. Die meisten Lieder, die er spielt, kennt man nicht von den Mainstream-Partyhit-Samplern, sondern im Zweifel aus der Kulturgeschichte des internationalen Punkrocks.

Nicht immer liegt der Bezug der Lieder, die der Schallplattenunterhalter aussucht, zur Aktualität der Mannschaft auf der Hand; zur Halbzeit der Partie Unions gegen Augsburg war das der Fall. Der Spielstand, der auch am Ende der Partie Bestand haben sollte, war schon hergestellt (2:0 für Augsburg), und durch die Boxen erklang die Mariachi-Trompetenouvertüre des „Ring Of Fire“ von Johnny Cash: „I fell into a burning ring of fire/I went down, down, down/And the flames went higher/And it burns, burns, burns“. Der Bezug? Nun, Union ist fürwahr in einen brennenden Feuerring gefallen, es geht immer weiter hinab, die Flammen werden höher – und es brennt, brennt, brennt: „Wir sind im Abstiegskampf, das muss jedem klar sein, da brauchen wir nicht drum rumreden“, brummte Steffen Baumgart, der neue Trainer, als er nach der Partie gefragt wurde, was er der Mannschaft in der Kabine gesagt hatte, als er sie noch vor der Körperpflege eilends zu einer am Ende gut zehnminütigen Mannschaftssitzung einberief – und sie noch vor der Dusche föhnte, sozusagen.

Überraschend war die Ausrufung des Abstiegskampfs insofern, als man hätte meinen sollen, der Mannschaft sei das längst bekannt. Zum Jahreswechsel hatte Union den Trainer nicht ohne Grund gewechselt, „aus Bo Svensson wurde No Svensson“, hieß es am Mittwoch bitterbös im Stadionheft. Der Trainerwechsel ging bislang auf bizarre Weise nach hinten los: Erst verlor Union das Testspiel gegen den Abstiegskampfrivalen Holstein Kiel, schließlich die Pflichtspiele in Heidenheim und nun gegen den FCA – jeweils mit 0:2. Bizarr ist das vor allem, weil Union gemäß einem Richterspruch des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) sogar einen Punkt weniger hat als vor Baumgarts Amtsantritt.

Als Strafe für einen Feuerzeugwurf aus dem Union-Fanblock hat das DFB-Sportgericht die Partie gegen den VfL Bochum, die ursprünglich mit 1:1 geendet hatte, mit 2:0 für den Verein aus dem tiefen Westen der Republik gewertet. Wäre das Urteil rechtskräftig – Union hat Einspruch angekündigt –, betrüge der Abstand Unions auf den Relegationsplatz 16 (Heidenheim) nur noch zwei Zähler. Der erste direkte Abstiegsplatz (Kiel) wäre nur fünf Zähler entfernt. Augsburg wiederum schob sich an den Köpenickern vorbei auf Platz zwölf.

Er habe sich für ein System entschieden, sagte Baumgart, und werde nicht nach zwei Spielen „eine Kehrtwende“ vollziehen

Berlins missliche Lage ist eine Folge einer Serie, die nicht unter Baumgart begann, sondern Ende Oktober mit einem 1:1 gegen Eintracht Frankfurt: Union hat nun elf Bundesligaspiele ohne Sieg addiert. Gleichwohl steht Baumgart im Zentrum von Debatten. Seine erste Amtshandlung bestand in einer Änderung der leidlich funktionierenden Grundordnung. Statt mit einer Fünfer-Abwehrkette zu verteidigen, wie es Union seit Jahren tut, reiht Union unter Baumgart in der letzten Reihe nur noch vier Spieler auf – mit dem Ziel, einen Spieler für den von Baumgart propagierten Offensivdrang zu befreien. Fragen dazu wies Baumgart nachgerade pikiert zurück. „Ich habe mich für ein System entschieden“, rief er, und auch wenn das „nicht in Stein gemeißelt“ sei, so werde er „nicht nach zwei Spielen die Kehrtwende“ machen.

Die zweite Halbzeit lieferte Argumente dafür, dass sie auch nicht zwingend notwendig ist. Union stand nach der verletzungsbedingten Auswechslung des linken Innenverteidigers Kevin Vogt stabiler als in den ersten 45 Minuten. Da hatte man insbesondere auf der linken Seite, wo Jérôme Roussillon ein Zeugnis seines akuten Mangels an Spielpraxis lieferte, mehr Elend begutachten können als in der Berliner U-Bahnlinie 8. Das war vor allem bei den Gegentoren durch Augsburgs Mittelfeldspieler Alexis Claude-Maurice (9./30.) der Fall, der in seinem 75-minütigen Auftritt allein mehr Fußball zeigte als Union im ganzen bisherigen Jahr.

Und dennoch: Das vordringliche, akute Problem der Umstellung bei Union scheint zu sein, dass die Köpenicker mit der Positionierung beim Aufbauspiel fremdeln. Die Folge: viele unnötige Ballverluste. Dass die Unioner, wenn sie sog. „zweite Bälle“ eroberten, „zu sehr darüber nachdachten, was sie falsch machen können“ und/oder mitunter „den Überblick verloren“, wie Baumgart diagnostizierte, kam obendrauf, genauso wie einige vergebene Torchancen.

Jenseits davon, dass es ratsam wäre, den Ball „mal ins Tor“ zu schießen und nicht bloß daneben, wie Baumgart anklingen ließ, hat Union gerade auch mit atmosphärischen Spannungen zu kämpfen. Der kroatische Nationalspieler Josip Juranovic war nicht im Kader, Yorbe Vertessen auch nicht, dem belgischen Angreifer hat Baumgart dieser Tage offenbar einen Einlauf verpasst. Er habe ihm gesagt, dass er von ihm erwarte, „jeden Tag“ abzuliefern. Er habe das so deutlich ausgedrückt, dass er guter Dinge sei, dass Vertessen es verstanden habe.

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