Süddeutsche Zeitung

Unglückliches Berliner Pokal-Aus:Verschaukelt von der Nasen-Schwalbe

Hertha BSC fühlt sich nach dem verlorenen Pokalspiel gegen Gladbach von Borussia-Stürmer Igor De Camargo und vom Schiedsrichter betrogen. Besonders Roman Hubniks Platzverweis und der vorentscheidende Elfmeter erhitzen die Gemüter - für den gerade erst gekommenen Trainer Michael Skibbe wird es bereits jetzt eng.

Boris Herrmann, Berlin

Wenn man den Informationen von Hertha BSC glauben darf, dann hat der Schiedsrichter Felix Brych durchaus noch ein Weilchen darüber nachgedacht, ob er vor die Kameras, Mikrofone und Kugelschreiber treten solle. Nach Abwägung von Vor- und Nachteilen muss es Brych aber doch vorgezogen haben, dem Berliner Olympiastadion durch den Hinterausgang zu entschwinden. Und so ist lediglich durch den (nicht ganz unabhängigen) Mittelsmann Michael Preetz überliefert, wie der Referee seinen spielentscheidenden Pfiff bewertete.

"Er war einigermaßen entsetzt", ließ Preetz wissen. Vollends entsetzt, das lässt sich zweifelsfrei sagen, waren sämtliche Angestellte von Hertha, Manager Preetz inklusive. Sie sahen sich um den Lohn eines, für ihre Verhältnisse, guten Spiels betrogen. Und um den Traum vom Pokalfinale im eigenen Wohnzimmer. Nach 120 Minuten stand es in diesem Viertelfinale 2:0 für die Gäste von Borussia Mönchengladbach.

Geredet und gestritten wurde allerdings nur darüber, wie das 1:0 nach 101 Minuten zustande kam. Was da vor dem Elfmeter-Tor von Gladbachs Kapitän Filip Daems vorgefallen war, dürfte als die Nasen-Schwalbe von Berlin in die Pokalgeschichte eingehen. Drei Akteure waren unmittelbar beteiligt, keiner von ihnen gab eine besonders gute Figur ab. Herthas Verteidiger Roman Hubnik stürmte nach einem Zweikampf im eigenen Strafraum auf Gladbachs Angreifer Igor de Camargo zu und bremste erst geschätzte 0,3 Zentimeter vor dessen Stirn ab.

Das war (zumal beim Stande von 0:0 in der Verlängerung) grob fahrlässig, um nicht zu sagen "eine Dummheit", wie es Hubniks Kollege Andreas Ottl formulierte. De Camargo überbrückte seinerseits die fehlenden 0,3 Zentimeter zu Hubniks gefrorener Nasenspitze mit einer schnellen Vorwärtsbewegung und sank dann darnieder, als ob ihn alle leibhaftigen Klitschkos auf einmal vermöbelt hätten. Das war unsportlich, um nicht zu sagen unwürdig.

Und dann war da eben noch der bemitleidenswerte Schiedsrichter Brych, der das alles ohne Zeitlupe bewerten musste, der auf Platzverweis für Hubnik sowie auf Strafstoß für Gladbach entschied. Das war nicht mehr und nicht weniger als: falsch. Hertha Trainer Michael Skibbe bezichtigte de Camargo, sich eines "Bauerntricks" schuldig gemacht zu haben. Und er blieb der landwirtschaftlichen Sprachbilderwelt treu, als er Brychs Entscheidung dahingehend kritisierte, dass "sie auf keine Kuhhaut" gehe.

So ähnlich sahen das offenbar auch die glücklichen Halbfinalisten aus Gladbach, wobei Angreifer Mike Hanke an Hubnik adressiert schon herausstrich, dass sich die Berliner ein bisschen selbst ins Bein geschossen hätten. Torhüter ter Stegen bestätigte: "Bisschen doof gelaufen für Berlin." Es ist zuletzt häufiger ein bisschen was doof gelaufen in der Hauptstadt. Angefangen vom wahnwitzigen Abgang des halbwegs erfolgreichen Trainers Markus Babbel bis hin zum überaus erfolglosen Einstieg seines Nachfolgers Skibbe.

Der hat nun zweimal nacheinander recht unglücklich verloren, was für ihn spricht. Er hat aber auch zweimal nacheinander die Hauptschuld dem Schiedsrichter zugeschoben, was eher von Verzweiflung zeugt. Unterm Strich stehen vier Niederlagen in vier Pflichtspielen, der Übergang vom gefühlten in den real existierenden Abstiegskampf sowie das Ende aller stimmungsfördernden Pokal-Phantasien. Es wird langsam eng für Skibbe.

Die Fans haben ihn bereits vor Beginn des Pokalspiels nach Kräften ausgepfiffen. Immerhin hat er in diesen 120 Minuten seine Position nicht wesentlich verschlechtert. Die gemeinsamen Feinde (Brych, de Camargo) dürften einstweilen identitätsstiftend wirken. De Camargo hat in seiner Karriere übrigens erst einmal Rot gesehen.

Damals hatte er St. Paulis Schauspieltalent Matthias Lehman sanft touchiert, der später süffisant einräumte: "Das Geschenk habe ich dann angenommen." In der Vita von de Camargo steht es mithin 1:1 nach Nasen-Schwalben.

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Quelle:
SZ vom 10.02.2012/jbe/mike
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