Unfall auf Sizilien:Letzte Reise nach Süden

Axel Schulz, ehemaliger Boxer

"Ich kannte drei Seiten von ihm. Den Boxer, den Menschen und den Freund. Alle drei Seiten waren beeindruckend. Ich habe selten so eine ehrliche Haut wie ihn erlebt."

Auf Sizilien, wo Graciano Rocchigiani bei einem Verkehrsunfall starb, hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen.

Von Benedikt Warmbrunn

Graciano Rocchigiani sagte nicht, wohin genau er reisen werde, er sagte nicht, wen er dort besuchen werde, er sagte auch nicht, wie lange er bleiben werde. Vielleicht hätte man ihn all das fragen können, vielleicht hätte er dann ein bisschen erzählt. Aber Graciano Rocchigiani war keiner, der Typen schätzte, die zu viel labern. Also laberte auch er selbst nicht gerne zu viel. Er werde jetzt erst einmal ein paar Tage lang Urlaub machen. Rocchigiani sagte: "Italien." Das musste reichen.

Mitte September, eine Hotelbar im Münchner Norden, einer dieser Spätsommerabende, an denen es auch auf der Terrasse noch angenehme Temperaturen hatte. Graciano Rocchigiani war in der Stadt, um die ersten Folgen einer neuen Castingshow zu drehen, "The Next Rocky", ausgestrahlt von Sport1, dem Fernsehsender, für den der frühere Preisboxer seit dem Jahresanfang als Experte arbeitete. Auf der Terrasse saß er an diesem Spätsommerabend, weil ein Kennenlerntreffen ausgemacht war, für eine Geschichte über den späten Rocky, über einen Mann, der einmal wild war, der vielleicht immer noch unangepasst war, der jetzt aber auch ein gereifter Mann war. Was denn für ihn bei dieser Geschichte rausspringe, fragte Rocchigiani als erstes, er rieb dabei den Daumen gegen Zeigefinger und Mittelfinger. Er lächelte nicht. Schweigen. Dann sagte er: "Könn' wir machen."

Rocchigiani sprach dann über das gegenwärtige deutsche Boxen, im Wesentlichen schimpfte er. Eigentlich schimpfte er über das deutsche Boxen nur nicht, als er darüber schimpfte, dass all die Gerichte auf der Karte auf Englisch beschrieben wurden. Er trank eine Cola ohne Zitrone und ohne Eis, er rauchte, er schimpfte. Schließlich bestellte er sich ein Steak mit Spiegelei, "eher durch, bitte". Knapp eineinhalb Stunden lang saß Rocky auf der Terrasse, danach wollte er im Hotel noch trainieren. Dann die Drehtage für die Castingshow. Dann der Urlaub in Italien.

Es sind traurige Details, die nun von dieser letzten Reise des Graciano Rocchigiani zu erfahren sind. Es sind viele Details, so viele, wie Rocchigiani selbst wohl nicht ohne Weiteres erzählt hätte. Er, den auch eineinhalb Jahrzehnte nach seinem Karriereende alle weiter nur Rocky nannten, war auf Sizilien, er hatte dort eine Freundin, zwei kleine Kinder. Die Freundin, so schrieb die Bild-Zeitung, komme aus "wohlhabendem Haus, ihr Vater ist Kaffeefabrikant". Seine Mutter sagte der BZ: "Er war so glücklich dort unten."

Am Montagabend, teilte die italienische Polizei mit, war Rocchigiani dann auf der Schnellstraße SS121 unterwegs gewesen, als Fußgänger. Bei Belpasso, einer Ortschaft in der Nähe von Catania, sei er gegen 23.30 Uhr von einem Auto erfasst worden, erklärte ein Polizeisprecher der Deutschen Presse-Agentur. Die Bild berichtete, dass es sich bei dem Auto um einen Smart gehandelt habe, und auch, dass bei dem Aufprall die Windschutzscheibe durchgeschlagen worden sei. Rocchigiani sei sofort tot gewesen.

Warum er auf dieser Straße unterwegs war, das blieb auch am Mittwoch ungeklärt. Er habe die Straße, an der entlang kein Fußgängerweg führt, im Dunkeln überqueren wollen. Den Fahrer des Smarts trifft laut Angaben der Polizei keine Schuld, bei ihm sei alles "ordnungsgemäß" gewesen, zitiert die dpa aus Polizeikreisen. Der 29 Jahre alte Mann sei nicht alkoholisiert gewesen, er stand nicht unter dem Einfluss von Drogen, er habe gegen keine Verkehrsregeln verstoßen.

Ermitteln will die italienische Polizei nun, ob Rocchigiani selbst alkoholisiert gewesen sei. Dies sollen Augenzeugen, die den 54-Jährigen kurz vor dem Verkehrsunfall beobachtet haben, den Polizeibeamten berichtet haben. Gesehen wurde Rocchigiani von mehreren Menschen an einer Tankstelle, wo er sich am späten Abend länger aufgehalten haben soll. Um Gewissheit über seinen Zustand zu erlangen, müssten die Ergebnisse der Obduktion abgewartet werden, erst danach könne die Leiche nach Deutschland überführt werden. Auch die Staatsanwaltschaft hat Untersuchungen aufgenommen. Rocchigianis Mutter sagte, dass ihr Sohn in Berlin beerdigt werden soll.

An dem Spätsommerabend im September hatte Rocchigiani am Ende angekündigt, dass er nach seinem Urlaub anrufen werde, irgendwann in den ersten Oktobertagen. "Ich habe", sagte er, "noch viel zu erzählen."

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