Umbruch bei Alba Berlin:Kette sich an, wer kann

FC Bayern Muenchen v Alba Berlin - BBL

Er ist einer der vielen Weggänge: Nihat Djedovic, der von Alba zu Bayern wechselt. 

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Vor allem der FC Bayern bediente sich: Das Basketball-Team von Alba Berlin hat einen beispiellosen Umbruch hinter sich. Aus der vergangenen Saison sind nur ein Spieler sowie das Maskottchen geblieben. Der Klub sieht das als Chance zum Neuanfang.

Von Boris Herrmann, Berlin

Die dicke Luft des Sommers muss jetzt endlich mal raus, da sind sich alle einig im Umfeld des Basketball-Bundesligisten Alba Berlin. Das Problem ist, es herrscht in dieser Sache sogar so viel Einigkeit, dass der große Veranstaltungssaal im Berliner Pfefferberg jetzt riecht, als habe jemand die dicken Lüfte der gesamten vergangenen Saison hineingepumpt.

Der Fanklub "Alba-Tross" hat zum "Sonderstammtisch" eingeladen - unter Beteiligung von Geschäftsführer Marco Baldi und Sportdirektor Mithat Demirel. Eine halbe Stunde bevor es losgehen soll, sind bereits die letzten Stühle vergriffen. Und selbst die Stehplätze werden schneller knapp als der Sauerstoff. Es gibt Redebedarf.

Um das Problem mit den Worten Baldis zu skizzieren: "Wir versuchen seit einigen Jahren einen festen Kern an Spielern aufzubauen. Das ist uns nicht gelungen." In diesem Sommer wurde das besonders offensichtlich. Die Berliner haben einen nahezu beispiellosen Umbruch hinter sich.

Von jenem Team, mit dem Alba im Mai in der ersten Runde der Playoffs am FC Bayern scheiterte, ist nur noch ein einziger Spieler da, der Kapitän Sven Schultze, 35. Acht Profis haben seither den Verein verlassen, elf sind dazu gekommen. "Es war schon ein besonderer Sommer", räumt Baldi ein.

Besonders war er auch deshalb, weil sich ausgerechnet der FC Bayern, das neue Schwergewicht der Bundesliga, nach Belieben beim Berliner Stammpersonal bediente. Nach Yassin Idbihi und Nihad Djedovic wechselten auch der Nationalspieler Heiko Schaffartzik sowie der Topscorer Deon Thompson nach München. Demirel fiel dazu am Ende nur noch der Scherz ein: "Zur Sicherheit haben wir das Maskottchen schon angekettet."

So weit ist es noch nicht, dass auch der Plüsch-Albatros lieber in München rumhampelt. Es ist allerdings schon so weit, dass die Berliner innerhalb der Liga an Grenzen stoßen, die es vorher nicht gab, oder nicht so deutlich zu erkennen waren. Alba hat sich zumindest im Fall von Idbihi und Thompson hartnäckig um eine Vertragsverlängerung bemüht. Vergeblich.

"Es ist für uns natürlich neu, dass ein Spieler wie Thomson für uns nicht zu finanzieren ist, obwohl er innerhalb der Liga wechselt", teilt Demirel den Fans im Pfefferberg mit. Zu allem Überfluss hat Alba auch noch seine fest eingeplante Wild Card für die Euroleague verloren, was die Transfergespräche mit den Spitzenkräften zusätzlich verkomplizierte. Der einstige Serienmeister lernt gerade, dass er nicht mehr den größten Einkaufskorb der Liga hat.

Über Alba sagt Baldi: "Wir müssen da am Ende mit einer schwarzen Null rausgehen. Wir können nicht mehr ausgeben als wir einnehmen." Zum FC Bayern merkt er an: "Die hauen da rein, da wird es einem schwindelig." Wobei der offizielle Vereinsname des neuen Erzfeindes erstaunlich selten fällt bei diesem Fan-Stammtisch. Baldi sagt vorzugsweise: "Unsere bayrischen Freunde".

Ein bisschen Häme

Oder: "Die da unten südlich des Weißwurst-Äquators". Das bisschen Häme gönnt er sich. Und das Publikum dankt es ihm jedes Mal mit Szenenapplaus. Die Stimmung ist, gemessen an den Zukunftssorgen und der Sauerstoffversorgung, ohnehin sehr gut. Bayern-Bashing verbindet. Bisweilen so sehr, dass Baldi daran erinnern muss: "Denkt daran, die letzten vier Meisterschaften hat Bamberg gewonnen!"

Wann Berlin mal wieder einen Meistertitel gewinnt (zuletzt 2008) vermag die Klubführung nicht vorherzusagen. In der kommenden Saison muss die Mannschaft das aber auch gar nicht schaffen, auch das ist neu. "Die Erwartungshaltung ist runter", sagt Baldi. Er sieht das positiv, als eine Chance für einen grundlegenden Neuanfang. "Um zwei Schritte nach vorne zu machen, muss man manchmal einen zurück gehen", findet er. Und: "Unser Weg ist jetzt eindeutig. Jetzt machen wir es anders!"

Der neue Weg klingt eigentlich recht simpel: Weniger Aktionismus in der Gegenwart, mehr Fokus auf die Perspektive. Solche Wege entstehen meist aus Notlagen, aber das muss nicht heißen, dass sie schlecht sind. Baldi und Demirel haben eingesehen, dass der Standort Berlin für die Besten der Liga im Moment nicht attraktiv genug ist. In ihrem Beuteschema sind jetzt talentierte deutsche Nachwuchskräfte sowie Ausländer mit Entwicklungspotenzial.

Zur ersten Kategorie gehören der aus Bonn gekommene Jonas Wohlfarth-Bottermann, der Deutsch-Israeli Bar Timor oder der Deutsch-Amerikaner Akeem Vargas. Zur zweiten Sparte sind etwa der kroatische Center Leon Radosevic zu rechnen oder die amerikanischen Guards Clifford Hammonds, Reggie Redding und David Logan.

Baldi glaubt: "Das wird nicht von Anfang an flutschen, aber das wird sich irgendwann auszahlen, weil diese Spieler hungrig sind." Er ist ihm im Übrigen auch nicht entgangen, dass sich selbst Bayerns Manager Marko Pesic lobend über Albas neuen Weg geäußert hat.

Auch die meisten Alba-Fans im Pfefferberg scheinen nach eineinhalb Stunden von diesem Weg überzeugt zu sein. Am Ende fragt ein einsamer Zweifler: "Brauchen wir nicht ein paar Identifikationsfiguren?" Baldi und Demirel versprechen, auch dafür Sorgen zu tragen. Immerhin haben sie in dieser Woche den gebürtigen Berliner Jan-Hendrik Jagla, 32, verpflichtet. Er kam vom FC Bayern. Und der Albatros ist schließlich auch noch da.

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