Ukraine unterliegt Frankreich:"Sollen sie mich doch auspfeifen"

Nach der Niederlage gegen Frankreich muss Gastgeber Ukraine das letzte Gruppenspiel gegen England gewinnen, um ins Viertelfinale einzuziehen. Trainer Oleg Blochin reagiert genervt auf die Pfiffe der Fans und die Fragen der Journalisten - und schimpft auf seine Mannschaft.

Johannes Aumüller

Jetzt war er also wieder, der echte Oleg Blochin. Der Trainer der ukrainischen Nationalmannschaft hatte bei seinen seltenen Auftritten in den vergangenen Tagen eine kleine Charmeoffensive gestartet, die seinen Status bei vielen Beobachtern von kauzig auf mindestens kultig gedreht hatte. Doch nun, nach dem 0:2 seines Teams gegen Frankreich im zweiten Gruppenspiel, trat wieder Oleg, der Mürrische auf.

Euro 2012: Ukraine - Frankreich

Enttäuscht nach der Niederlage gegen Frankreich: Ukraines Oleg Gusew.

(Foto: dapd)

Erst schimpfte er über seine Mannschaft: "Einige Spieler haben nicht das gemacht, was wir abgemacht hatten. Wenn einige von uns geglaubt haben sollten, wir seien schon im Viertelfinale, dann war das ein großer Fehler." Dann blökte er in Richtung eines Journalisten: "Natürlich bin ich nicht glücklich. Tanze ich hier auf den Tischen, oder was?"

Und schließlich motzte er auch noch wegen der Zuschauerpfiffe in den letzten Spielminuten: "Wenn wir gewinnen, schreien allen Hurra, hurra, wenn wir verlieren, kommt so etwas: Das finde ich nicht in Ordnung. Sollen sie mich doch auspfeifen, aber nicht die Spieler."

Aber wenigstens eine Sache blieb von seinem Rundumschlag ausgenommen: der Platz. Es hatte zu Beginn des Spiels ja übel ausgesehen, als es über Donezk so sehr blitzte und donnerte und schüttete, dass Schiedsrichter Björn Kuipers die Mannschaften nach gerade einmal vier Minuten und 17 Sekunden wieder in die Kabine schickte. Auf dem Platz bildeten sich riesige Pfützen, und zwischendurch sah es so aus, als sollte erstmals in der Geschichte der Fußball-Europameisterschaft eine Partie nicht am vorgesehenen Tag ausgetragen werden können.

Doch als der Regen nachließ und die Servicekräfte mit ihren Harken den Platz bearbeiteten, war dieser erstaunlich schnell wieder in einem bespielbaren Zustand. Von den 350 Millionen Euro, die der Neubau des schicken Donezker Fünf-Sterne-Stadions gekostet hatte, war offenbar genügend für ein gescheites Drainage-System abgezwackt worden, so dass hier ausnahmsweise nicht Geld, sondern Wasser im Boden versickerte. Frankreichs Trainer Laurent Blanc jedenfalls war zufrieden: "Trotz des Regens war der Rasen in einem guten, wenn auch nicht überragendem Zustand. Wir haben unsere Strategie deshalb nicht ändern müssen."

Aussetzer der ukrainischen Abwehr

Blanc hatte ja auch mit dem Auftritt seiner Mannschaft sehr zufrieden sein können. Die Offensive, die beim 1:1 gegen England vier Tage gegen einen dichten Abwehrverband zuvor noch esprit- und phantasielos gewirkt hatte, zeigte sich deutlich verbessert. Dabei profitierte sie zwar vor allem in der zweiten Hälfte von einigen Aussetzern der ukrainischen Abwehr.

Aber Franck Ribéry, der zurecht die Auszeichnung "Spieler des Spiels" erhielt, und Jeremey Menez, der gegenüber dem England-Spiel für Florent Malouda ins Team gerückt war, wussten diese auch gut zu nutzen. Menez (53.) und Johan Cabaye (56.) erzielten die Tore, Cabaye hatte zudem noch Pech bei einem Pfostentreffer in der 65. Minute. "Wir wollten den Ukrainern das Selbstbewusstsein nehmen, standen hoch und waren aggressiv", sagte Blanc. "Wir haben über die Flügel gespielt, denn dort sind die Ukrainer anfällig. Sie konzentrierten ihre Abwehrarbeit auf das Zentrum."

Gewiss kann die Équipe Tricolore nach dem durchwachsenen Auftakt nun von sich behaupten, irgendwie in dieser EM angekommen zu sein. Was dieser Sieg gegen die Ukraine allerdings für den weiteren Turnierverlauf bedeutet, ist noch unklar. Als zu schwach und zu labil erwiesen sich die Gastgeber, nachdem ihnen mit dem zweiten Gegentor das Adrenalin und die Widerstandskraft genommen worden waren.

Jetzt spielt Frankreich gegen Schweden, das neben Griechenland und Irland bisher den schwächsten Eindruck bei diesem Turnier hinterlassen hat, und dann wird wahrscheinlich erst das Viertelfinale gegen Spanier, Italiener oder Kroaten zeigen, ob die Mannschaft von Laurent Blanc das Prädikat "Geheimfavorit" wirklich verdient hatte.

Für die Ukrainer wiederum ist die Situation denkbar einfach: Gewinnt die Mannschaft nicht, ist sie ausgeschieden. "Jetzt müssen wir eben gegen England voll auf Sieg spielen", sagte Mittelfeldspieler Anatolij Timoschtschuk, der gegen Frankreich nicht zu überzeugen musste und vor dem 0:1 das entscheidende Laufduell gegen seinen Münchner Vereinskollegen Ribéry verlor.

Mit welcher Auf- und mit welcher Einstellung der Gastgeber in dieser entscheidenden Partie antritt, ist allerdings noch unklar. "Wir haben jetzt ein paar Minuten nach Spielende. Welche Schlussfolgerungen soll ich jetzt schon gezogen haben?", grummelte Blochin und widersprach sich in bester Blochin-Manier gleich selbst. "Aber ich habe einige Ideen."

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