Vor dem Düsseldorfer Rathaus stand am Freitag ein Metallgerüst mit 21 zerfetzten gelben und blauen Plastiksitzen. Der ukrainische Fußball-Verband stellt diesen im Krieg zerstörten Teil einer Tribüne aus dem Stadion von Charkiw an jedem seiner EM-Spielorte in Deutschland aus. Am vergangenen Montag hatte man das als Mahnmal deklarierte Tribünenstück in München gezeigt. Dort verlor die Ukraine ihr Auftaktspiel gegen Rumänien 0:3. Der Krieg in der Heimat begleitet die Fußballer auch während der Europameisterschaft überallhin.
Am Freitag spielten die Ukrainer ihre zweite Partie in Düsseldorf gegen die Slowakei und schafften etwas Befreiendes: Sie gewannen trotz eines frühen 0:1-Rückstands durch ein Tor in der 80. Minute noch 2:1 (0:1). Damit wahrten sie ihre Chancen aufs Achtelfinale, allerdings müssen sie am Mittwoch noch gegen die starken Belgier spielen. Dann wird sich entscheiden, ob die zerstörten Plastiksitze in Stuttgart schon letztmals zu sehen sein werden.
„Der Krieg ist ein Albtraum, den wir irgendwie ausblenden müssen“
In Düsseldorf sitzt die Firma Rheinmetall, die Munition für die ukrainische Verteidigung herstellt. Überall in Europa begegnen den Ukrainern Erinnerungen an den Krieg. „Der Krieg ist ein Albtraum, den wir irgendwie ausblenden müssen“, hatte Verteidiger Oleksandr Sintschenko vor dem Spiel gegen die Slowakei gesagt, „aber es ist schwer, sich zu motivieren“. Diesmal ist es ihnen gelungen. Gerade noch rechtzeitig. Das dürfte auch in der Heimat für Jubel sorgen, Präsident Wolodimir Selenskij nahm die Vorlage in jedem Fall auf: Der Sieg sei das, was die Ukrainer jetzt brauchten, was sie zusammenhalte und ihnen trotz aller Rückschläge die Möglichkeit zum Sieg gebe, zog er in den sozialen Netzwerken Parallelen zum Abwehrkampf gegen die russische Invasion: „Das ist genau das, was die Nationalmannschaft der Ukraine heute tut. Weiter so, Männer!“
Fußball spielen, während daheim die Menschen sterben – das ist ein dramatisches Unterfangen, und dieses Gefühl macht einen entweder stark oder es zermürbt einen. Gegen Rumänien im ersten Spiel und gegen die Slowaken in der ersten halben Stunde wirkten die Ukrainer zermürbt. Nationaltrainer Serhij Rebrow war mit der Leistung seiner Mannschaft im ersten Spiel trotzdem unzufrieden gewesen, ganz unabhängig von allem, was die Spieler belastet. Also brachte er gegen die Slowakei vier Spieler neu in die Startelf. Am bemerkenswertesten war gewiss, dass Rebrow den Torwart Andrij Lunin von Real Madrid auf die Bank gesetzt und dafür den 22 Jahre jungen Anatolij Trubin von Benfica Lissabon hereingenommen hatte. In der ersten Viertelstunde parierte Trubin gleich drei Bälle, doch beim 0:1 durch den Slowaken Ivan Schranz von Slavia Prag per Kopfball in der 17. Minute wirkte er machtlos.

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Die Ukrainer waren wie schon im ersten Spiel in blau-gelbe Fahnen gehüllt ins Stadion eingelaufen. Auf der Tribüne waren die ukrainischen Fans deutlich in der Überzahl, entsprechend hatte auch früh in diesem Spiel zunächst die Enttäuschung eine Mehrheit. Doch nach 17 Minuten hatten die Ukrainer nichts mehr zu verlieren, und so spielten sie fortan viel offensiver und aggressiver – mit dem Mut der Verzweiflung. Sie bekamen nun viele Chancen, doch es dauerte bis zur 54. Minute, ehe Mykola Schaparenko von Dynamo Kiew das erste Tor für die Ukraine bei dieser EM und den Ausgleich zum 1:1 erzielte.
Fortan herrschte bei den blau-gelb beflaggten Fans auf der Tribüne emotionaler Ausnahmezustand. Ihre Fußballer drunten bekamen Wind unter die Flügel. In der 80. Minute erzielte Roman Jaremtschuk vom FC Valencia den umjubelten und verdienten Siegtreffer.
Die Slowaken, die im ersten Spiel Belgien überraschend 1:0 bezwungen hatten, müssen nun um den Einzug ins Achtelfinale bangen. Für die Mannschaft des italienischen Trainers Francesco Calzona geht es am Mittwoch in Frankfurt gegen Rumänien.