Süddeutsche Zeitung

Nationalelf der Ukraine:Am Rande der Herdenimmunität

Drei Tage nach dem Länderspiel in Leipzig fällt die ukrainische Elf mit neuen positiven Coronatests auf. Schweizer Behörden schicken das Team in die Isolation - der DFB gerät unter Rechtfertigungsdruck.

Von Javier Cáceres

Ein Torwart fehlt noch. Ansonsten hätte die ukrainische Fußball-Nationalmannschaft am Dienstag eine vollwertige Elf mit aktuell auffälligen Corona-Tests zusammengehabt.

Denn drei Tage nach der Niederlage gegen das deutsche Team am Samstag in Leipzig schlug, nun in Luzern in der Schweiz, bei drei weiteren ukrainischen Spielern ein Test an. Die Betroffenen diesmal: Ruslan Malinowski, Sergei Krywtsow und Junior Moraes. Das Trio gesellte sich zu jenem Septett, das am Freitag in Leipzig (vier Spieler) und am Montag ebenfalls in Luzern (drei) als coronapositiv gemeldet worden war. Die Luzerner Gesundheitsbehörde ordnete eine zehntägige Quarantäne für die ukrainische Delegation an, Spieler und Betreuer durften ihr Mannschaftshotel nicht verlassen. Damit war die Austragung der für Dienstagabend geplanten Partie in der Nations League zwischen der Schweiz und der Ukraine, bei der für beide der Abstieg aus der Gruppe A auf dem Spiel stand, faktisch untersagt. Am Abend bestätigte die europäische Fußballunion Uefa die endgültige Absage der Partie.

Immerhin: Von den positiven Tests des Dienstags sei nur einer auf eine frische - und damit ansteckende - Infizierung zurückzuführen gewesen, hieß es. Die anderen beiden Betroffenen, die schon Anfang Oktober positiv getestet worden waren, wiesen Antikörper auf.

Sie sind die einzigen Akteure aus dem Team, die sich in der Schweiz frei bewegen dürfen.

Der Kampf um eine Verlegung erklärt sich aus dem Reglement

Der Rest muss entweder bis zum Ablauf der Quarantänefrist im Luzerner Hotel bleiben oder aus dem Land abreisen. Schon für das Verlassen der Herberge gelten strenge Hygieneauflagen. Unklar war am Dienstag zunächst, wie die Partie gewertet wird, die Uefa rang um eine Lösung. Die Idee einer 24-stündigen Verschiebung des Duells, das dann von einer Nachwuchself der Ukrainer bestritten worden wäre, wurde verworfen. Der Kampf des ukrainischen Verbandes um eine Verlegung erklärt sich auch aus dem Reglement. Sollte eine Partie nicht stattfinden können, würde die Mannschaft, die für die Absage einer Nations-League-Partie "verantwortlich" ist, wie es heißt, das Spiel automatisch mit 0:3 verlieren. Ein Präzedenzfall ließ die Schweizer hoffen: Mitte August war die Elf von Slovan Bratislava auf den Färöern gegen KI Klaksvik vor einem Qualifikationsspiel der Champions League wegen diverser Corona-Fälle aus dem Verkehr gezogen worden. Die Slowaken verloren am Grünen Tisch. Sollte sich dieser Modus operandi wiederholen, wäre das für die Schweizer - neben den allesamt negativen Tests vom Dienstag - eine positive Nachricht: Sie würden sich den ersten Sieg seit dem 6:1 gegen Gibraltar vor fast genau einem Jahr sichern. Nur halt, ohne zu spielen. Dass die Behörden in Luzern die Ukrainer unter Quarantäne stellten, ist nur auf den ersten Blick ein Widerspruch zu der Entscheidung des Leipziger Gesundheitsamtes vom Samstag. Die Leipziger hatten eine "Kontaktnachverfolgung" angeordnet - die Ukrainer also befragt, ob es unmittelbare "Face-to-face"-Kontakte der Infizierten vom Freitag zu weiteren Delegationsmitgliedern gab. Die Ukrainer verneinten dies, die Nachtests vom Samstag auf deutschem Boden ergaben keine weiteren positiven Befunde, die Ukrainer waren so frei, gegen das DFB-Team von Joachim Löw zu spielen - und mit 1:3 zu verlieren.

Der Luzerner Kantonsarzt Roger Harstall erklärte am Dienstag, dass die Entscheidung für eine Gruppenquarantäne ohne weitere Befragungen getroffen wurde, weil nun ein offenkundig dynamisches Infektionsgeschehen vorliege: Den vier Positivfällen vom Freitag seien am Montag drei weitere gefolgt; am Dienstag dann die neuen Auffälligkeiten. In der Fußballbranche führten sie zu Sarkasmus. José Mourinho, Trainer von Tottenham Hotspur, schwärmte spöttisch von einer "großartigen Fußballwoche", die sich biete: "Tolle Emotionen bei den Länderspielen, super Freundschaftsspiele - und totale Sicherheit."

Vor dem Hintergrund der Debatten um die Zweckmäßigkeit von Länderspielen in Zeiten der Pandemie - und die gerade bewältigte Visite der Ukrainer in Leipzig - sah sich wiederum der Deutsche Fußball-Bund (DFB) bemüßigt, die Austragungen zu verteidigen. Für den Verband seien die abgeschlossenen Verträge bindend, hieß es in einer Stellungnahme. "Sofern die behördlichen Verfügungslagen dies erlauben", müssten Länderspiele stattfinden, erklärte der DFB. Sportlich seien sie ein wichtiger Gradmesser auf dem Weg zur EM 2021. Eine entscheidende Rolle spiele auch das Geld, da die Einnahmen durch die Nationalmannschaft für die finanzielle Unterstützung des Amateur- und Nachwuchsbereiches essenziell sei. Die 21 Landesverbände erhalten jährlich zwölf Millionen Euro vom DFB, erklärte der Verband.

Abgesehen davon würden sich alle Spieler und Offizielle während der gesamten Abstellungsperiode stets konsequent und diszipliniert an die Maßnahmen des Hygienekonzepts halten. Auch am Dienstag vermeldete der DFB, dass sämtliche Corona-Tests im Kreis des Nationalteams negativ waren. Damit liegt die deutsche Auswahl in einer Hinsicht hinter den Ukrainern zurück. Nach den Corona-Fällen in der Nationalelf und bei Spitzenklubs wie Dynamo Kiew und Schachtjor Donetzk dürften diese sich längst am Rande der brancheninternen Herdenimmunität wähnen.

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Quelle:
SZ vom 18.11.2020/chge
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