Süddeutsche Zeitung

Russische Funktionäre im IOC:Putins Auslaufmodelle im Weltsport

Das IOC sperrt russische Athleten, aber nicht die russischen Funktionäre - weil diese laut Charta ja den Weltsport in Russland vertreten und nicht umgekehrt. Eine dreiste Argumentation.

Kommentar von Thomas Kistner

Post aus dem Schweizer Sportministerium? Die hat das Internationale Olympische Komitee (IOC) bisher im Fach Jubelbriefe und Grußbotschaften abgelegt. Aber jetzt ist es anders. Sportministerin Viola Amherd erläutert IOC-Chef Thomas Bach, es sei "unumgänglich", russische und belarussische Funktionäre aus den Führungsgremien der Sportverbände zu entfernen, angefangen natürlich im IOC selbst. Eingedenk der Vorgänge in der Ukraine, schreibt die Bundesrätin, reiche es "nicht mehr aus", nur die Athleten auszuschließen - auch die Apparatschiks müssen daran glauben. Im IOC betrifft das ein Quartett: Ex-Tennisspieler Schamil Tarpischtschew, 74, und Stabhochsprung-Weltrekordhalterin Jelena Issinbajewa, 39, sind aktive Mitglieder, Witali Smirnow, 87, und der Ex-Schwimmer Alexander Popow, 50, sind Ehrenmitglieder.

Auweia. Die Schweiz, steuergünstige Heimstätte für Dutzende Weltverbände und berüchtigt für ihren fürsorglichen Umgang mit den Sündenfällen in dieser korruptionsgesättigten Branche, sie gibt Bach eine harte Nuss zu knacken. Das zeigt schon sein untauglicher Versuch, dem Vorstoß auszuweichen. Denn das IOC schiebt die Olympische Charta vor, wie immer, wenn höchste Scheinheiligkeit geboten ist - nach dem Motto: Wir täten ja gern, wir können nur leider nicht!

Das IOC erzählt also, dass seine Mitglieder nur als Einzelpersonen gewählt und dann als Botschafter in den Sport ihrer jeweiligen Länder entsandt werden - und nicht etwa die Länder ihre Sportvertreter ins IOC schicken. Aha! Das hakt und klemmt aber an allen Ecken und Enden.

Erstens: Gerade weil das IOC ja seine (russischen) Mitglieder selbst wählt und entsendet, ist es völlig frei, diese zurückzuziehen - wer könnte die frommen Olympier daran hindern? Putin hat laut Charta ja gar nichts zu melden. Zweitens: Wenn die vier nur als Personen amtieren und kein Land im IOC vertreten - warum werden sie offiziell stets mit Flagge und der Erwähnung "Russland" geführt? Drittens: Die Flucht in die Charta ist dreist angesichts der Tatsache, dass das IOC vor Wochen ja gerade erst den Weltverbänden empfahl, russische Athleten nicht mehr starten zu lassen. Das ging flott - und locker an der Charta vorbei. Denn diese verurteilt ausdrücklich jede Form der Diskriminierung, auch aufgrund "nationaler Herkunft". Das Diktum wurde ob der (Kriegs-)Umstände bereits außer Kraft gesetzt: für die Athleten. Für Funktionäre gilt das offenbar nicht.

Das russische IOC-Quartett steht erkennbar nahe bei Putin

Der Ringe-Clan entlarvt sich als gesinnungsfrei; zumal sein russisches Quartett erkennbar nahe bei Putin steht. Tarpischtschew war in den 1990er-Jahren am Verschwinden etlicher Dollarmilliarden aus dem Nationalen Sportfonds beteiligt, was ihm stete Visa-Probleme in den USA bescherte. Issinbajewa ist enge Sportvertraute Putins, Bach ließ sie gegen scharfe Proteste ins IOC hieven: bei den Rio-Spielen 2016, als Russlands Staatsdopings die Debatten beherrschte. Wie sie hat auch Popow Putins schmutzige Sportarmee gern verteidigt. Und Altkamerad Smirnow übte schon im KGB-gesteuerten Sowjet-Sport höchste Ämter aus, ins IOC gelangte er vor 51 Jahren. Albern zu glauben, der frühere KPdSU-Sekretär habe damals den Weltsport hinterm Eisernen Vorhang vertreten und nicht umgekehrt.

Man muss keineswegs die Schonungslosigkeit des ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk gegenüber allem Russischen teilen, um die vier Putinisten als Auslaufmodelle im Weltsport zu betrachten. Hier fällt dem IOC sein frommes Charta-Konstrukt auf die Füße: Hält es diese Leute wirklich für repräsentativ? Oder war es in der Praxis halt doch so, dass Putin sie gefördert und gefordert hat?

Das IOC erzielt seinen gewaltigen Werbewert aus den sogenannten Werten, für die zu stehen es behauptet. Das trägt Milliarden ein, also ist das IOC daran zu messen. Und was wäre einem globalen Wertekanon, über alle Konfessionen hinaus, abträglicher als ein Angriffskrieg mit humanitären Horrorszenarien? Die Ringe-Bosse haben gern in Moskau, Sotschi oder Peking gefeiert. Jetzt ist der Ernstfall da. Aber die Dämonen bleiben auf der Tanzfläche, und wer glaubt, dass sie von selbst verschwinden, sitzt nur dem eigenen Märchen auf.

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