Süddeutsche Zeitung

Uefa:Ein Jahr Fußball ohne Pause

Die Kritik am neuen Uefa-Spielplan wächst: Nationalspieler werden fast durchgehend im Einsatz sein, ein Länderspielblock erzürnt Bayern-Boss Rummenigge besonders.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

Ein Fußballprofi wie Joshua Kimmich konnte sich in den vergangenen Jahren über einen Mangel an Pflichtspielen wahrlich nicht beklagen. Für seinen FC Bayern war er andauernd aktiv, für die deutsche Nationalelf ebenfalls, und so kam der Mittelfeldspieler einmal auf 54 Einsätze binnen zwölf Monaten, einmal auf 58, einmal sogar auf 62. Aber es kann durchaus sein, dass er und manche Teamkollegen diese Marken bald überbieten.

Am Mittwoch hat der Vorstand der Europäischen Fußball-Union (Uefa) den Spielkalender wegen der Folgen der Corona-Pandemie neu gestaltet. Alle internationalen Eckdaten rund um Europapokal, Länderspiele und EM 2021 sind für die nächsten Monate fixiert; gemeinsam mit dem üblichen Umfang der nationalen Wettbewerbe ergibt das eine so dicht gefüllte Zeit, dass bei den Spitzenklubs die ersten Debatten über die Belastung und unnötige Termine beginnen. Er halte die Pläne für "nicht gut", sagte der Münchner Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge im ZDF - und hatte dabei insbesondere einen Länderspiel-Block Anfang September im Auge. Er schob die Hoffnung nach, dass das Vorhaben "noch nicht final beschlossen ist".

Beim FC Bayern sieht es konkret so aus, dass nach den beiden abschließenden Bundesliga-Spieltagen und dem DFB-Pokalfinale (4. Juli) zwölf Tage Pause anstehen - und danach für die Top-Spieler eine sehr, sehr intensive Saison beginnt. Los geht es mit den letzten Runden der Champions-League-Saison (7. - 23. August), Anfang September folgt der Länderspielblock mit Nations-League-Spielen gegen Spanien und die Schweiz, kurz danach der Neustart der Bundesliga (11. oder 18. September).

Auch nach der Winterpause wird es dicht gedrängt weitergehen

Zwischen Anfang August und Weihnachten sind für die Spitzenspieler innerhalb von rund 20 Wochen bis zu 38 Pflichtspiele denkbar: 30 in den verschiedenen Wettbewerben mit den Klubs - und acht mit der Nationalelf, weil neben den sechs ohnehin geplanten Gruppenspielen der Nations League im Oktober und im November noch je ein weiteres Freundschaftsspiel möglich ist. Auch nach der Winterpause wird es dicht gedrängt weitergehen, weil zwischen dem 11. Juni und 11. Juli 2021 schon die erstmals europaweit ausgetragene EM ansteht. Den Nationalspielern droht also ein Dauerbetrieb mit zwölf Monaten am Stück - ohne echte größere Pause.

Der Bayern-Vorstandchef Rummenigge stößt sich vor allem an dem Länderspielblock Anfang September. Der war schon immer für diesen Zeitraum geplant, nun liegt er eingepfercht zwischen Europapokal-Finale 2019/20 und Bundesliga-Start 2020/21. Aber wenn ein Team im Europapokal weit komme, findet Rummenigge, "muss man garantieren, dass Spieler mindestens zwei Wochen Urlaub haben". Die Folge wäre: "Einige würden gar nicht an den Länderspielen teilnehmen können."

Da dräut also mal wieder ein Konflikt zwischen Klubs und Verband herauf. Denn an den September-Terminen für die Nationalmannschaft ist nicht zu rütteln - und es ist auch nicht davon auszugehen, dass der DFB die neuen Freundschaftsspiel-Optionen im Oktober und November einfach verstreichen lässt. Dabei geht es um sportliche Erkenntnisse für Bundestrainer Joachim Löw, aber auch um wirtschaftliche Gründe: Der Verband braucht die Länderspiele, um das Minus des Geschäftsjahres in Grenzen zu halten. Zugleich aber ist davon auszugehen, dass Löw die Belastung seiner Top-Spieler durchaus im Blick hat - nicht zuletzt, weil er sie ja am Ende des langen Jahres in einer Verfassung braucht, in der er sie zum EM-Titel führen kann.

Und dann ist da noch das Überbrückungsloch

Es gehört nun schon seit Jahren zu den klassischen Vorgängen des Gewerbes, dass sich die verschiedenen Vertreter des Fußballs gegenseitig vorhalten, welcher Wettbewerb und welcher Termin in ihrem so überquellenden Kalender lässlich sei. Zu Beginn der Corona-Pause gab es zwar mal hehre Bekenntnisse, dies eingehend diskutieren und vielleicht auch mal begrenzen zu wollen. Aber schon drei Monate später ist davon nicht mehr viel zu sehen. Jeder will natürlich seinen Wettbewerb in dem für ihn bestmöglichen Umfang durchbringen, weil er auf das Geld angewiesen ist, das er dadurch einnehmen kann.

Doch ulkigerweise führt die Gestaltung des komplizierten Fußball-Jahres auch dazu, dass manche verbliebenen Europapokal-Teilnehmer an anderer Stelle auch über eine zu lange Pause klagen - nämlich über das wochenlange Überbrückungsloch zwischen dem Ende der Bundesliga und dem Beginn der Europapokal-Finalturniere im August. Leipzigs Trainer Julian Nagelsmann bezeichnete dies schon vorab als "Katastrophe", sein Sportdirektor Markus Krösche sagt: "Der Zeitpunkt ist nicht so glücklich, aber das können wir nicht ändern. Die anderen Ligen sind später gestartet und deshalb vielleicht ein wenig im Vorteil, weil sie dann im Rhythmus sind."

In der Tat spielt die höchste spanische Liga bis zum 19. Juli, die englische bis zum 26. Juli und die italienische sogar bis zum 2. August. Das könnte ein Vorteil werden. Das heißt aber auch: Die Belastungsphase ohne Pause ist für diese Klubs noch länger.

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SZ vom 19.06.2020/ebc
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