Uefa-Kongress:Dünne Lippe im Feindesland

XXXIX Ordinary UEFA Congress in Vienna

Sepp Blatter befindet sich in Wien nicht gerade auf freundschaftlichem Terrain.

(Foto: dpa)
  • Sepp Blatter tritt beim Uefa-Kongress in Wien als Redner auf - allerdings nicht besonders überzeugend.
  • Seine Gegner für die Präsidentschaftswahl der Fifa positionieren sich klar.
  • Die Fifa muss sich deutliche Vorwürfe gefallen lassen.

Von Thomas Kistner, Wien

Was ist jetzt los? Gerade standen die Zeichen auf Entspannung, beim Mittagessen am Präsidententisch hat Michel Platini dem Mann zur Rechten sogar wiederholt das Ohr geliehen. Anders als am Vorabend beim Kongress-Dinner im Wiener Rathaus, nach dem sogar die eigene Entourage dem Franzosen nahegelegt hatte, nicht zu offen vorzuführen, wie wenig sich die Chefs von Uefa und Fifa zu sagen haben.

Aber jetzt, zum Auftakt der zweiten Kongress-Hälfte, gerade ist er als Uefa-Präsident in die dritte Amtszeit applaudiert worden, redet Platini Klartext. Er richtet sich an die Adresse der anwesenden Präsidenten-Kollegen aus den anderen Erdteil-Verbänden und sagt: "Einige versuchen, uns gegeneinander auszuspielen, uns zu spalten, um besser zu herrschen. Einige versuchen, das arrogante und egoistische Europa zu isolieren. Aber glauben Sie nicht alles, was man Ihnen sagt."

Der Spaltpilz, den er meint, sitzt einige Meter schräg vor ihm in Reihe eins und verfolgt den Auftritt regungslos. Den Blick nicht auf den Redner, sondern fest in die andere Richtung gewandt, wo die große Leinwand hängt. Aber klar, Sepp Blatter wusste, dass er hier nicht willkommen ist. Im Herrschaftsbereich der Europäischen Fußball-Union bewegt sich der Fifa-Chef durch Feindesland, jederzeit kann geschossen werden, aus allen Richtungen. Denn die Uefa unter Platini, Blatters politischem Zögling von einst, will mit allen Mitteln verhindern, dass der 79-jährige Schweizer in eine fünfte Amtszeit zieht.

Um Blatter herum verteilen sich die drei Herausforderer, die ihm beim Fifa-Konvent am 29. Mai die Stirn bieten wollen. Luis Figo, Michael von Praag und Prinz Ali bin al-Hussein. Portugals Fußballheld, der niederländische Verbandschef und der jordanische Königssohn werden von den Mitgliedsverbänden der Uefa unterstützt, wobei noch unklar ist, wer aus dem Trio am Ende wirklich im Ring stehen wird. Zur Entscheidungsfindung beisteuern sollten die Wiener Präsentationen der Kandidaten; Blatter hatte es vorgezogen, sich erst gar nicht in diesen Kreis zu begeben.

Sieben Uefa-Chefs

1954 - 1962 Ebbe Schwartz (Dänemark)

1962 - 1972 Gustav Wiederkehr (Schweiz)

1972 - 1973 Sandor Barcs (Ungarn)

1973 - 1983 Artemio Franchi (Italien)

1983 - 1990 Jacques Georges (Frankreich)

1990 - 2007 Lennart Johansson (Schweden)

seit 2007 Michel Platini (Frankreich)

Er lieferte seinen protokollarisch unumgänglichen Auftritt lieber zur Kongresseröffnung ab - und ihn mit kraftlos zu beschreiben, wäre geschmeichelt. Kein Wort zu eigenen Plänen oder zur Zukunft des Weltverbandes, den er seit 1981 in diversen Spitzenämtern dirigiert, dafür jede Menge Hinweise darauf, dass der Ball groß und die Erde rund sei, dass der Fußball emotionale Kräfte freisetze und "die Welt nicht verändern, aber verbessern" könne.

Mit zitternden Händen arbeitet Blatter am Rednerpult seine blauen Karten ab, nur einmal bricht der rhetorische Stratege in ihm durch, als er sich den einzigen Zwischenapplaus erschleicht - auf Kosten des deutschen Fußballs. Die Deutschen seien Weltmeister in Brasilien geworden, teilt Blatter der schweigenden Versammlung mit, er wolle "dem deutschen Fußball herzlich gratulieren" - als sich keine Hand rührt, argumentiert er listig: "Sie können jetzt applaudieren, wenn Sie Deutschland mögen!"

Fünf Sekunden plätschert höflicher Beifall, als Blatter das Podium räumt. Eine Spitze gegen die Uefa hatte er sich doch erlaubt: "Ich appelliere an alle, zusammen mit Europa die Einheit innerhalb unserer Organisation herzustellen." Wie diese Einheit auszusehen hat aus seiner Sicht, wird allerdings wohl eher im Stimmverhalten der Verbände Ozeaniens Niederschlag finden, das er in Wien wiederholt erwähnte.

Blatter reagiert kaum

Richtig hart wird es erst am Nachmittag für den ewigen Fifa-Patron. Da treten seine Herausforderer in die Bütt. Es ist der Aufgalopp der heißen Wahlkampf-Phase, denn nicht nur Europäer und Blatter samt Gefolge sitzen in der Wiener Messehalle D, sondern auch Präsidenten, Generalsekretäre und weitere Beobachter aus den übrigen Erdteil-Verbänden. Blatter verfolgt mit strichdünnen Lippen, wie jeder der drei aus seiner Warte die Defizite der Fifa beschreibt; sein ähnlich umstrittener Generalsekretär Jérôme Valcke quittiert den Applaus für die Redner mit breitem Grinsen, die Arme hoch vor der Brust verschränkt.

Prinz Ali findet es unerträglich, dass die Imagewerte der Fifa im selben Tempo in den Keller rauschen, in dem die Fußball-WM an weltweitem Glanz gewinnt. Die Delegierten stellen aber auch fest, dass sich der Prinz am Podium nicht besonders wohlfühlt, er hält sich am Papier fest, von dem er in einer Tonart abliest. Eleganter ist der Auftritt Luis Figos.

Portugals Kicker-Ikone wiederholt in diplomatischeren Worten das, was er am Vortag im Tagungshotel salopp so formuliert hatte: "Wenn man zur Zeit den Begriff Fifa googelt, erhält man jede Menge Treffer zu Korruption und zu den Deals, welche die Organisation macht. Das müssen wir ändern." Allein die Tatsache, dass es drei Herausforder gebe, zeige doch, dass nichts mehr stimme in der Fifa.

Und schließlich Michael van Praag. Der Niederländer gibt sich als souveräner Redner zu erkennen - und als interessante Zwischenlösung für das, was ja alle Kandidaten anstreben und als großen Kultur-Wechsel in der Fifa beschreiben: "Ich will nicht für die nächsten 20 Jahre Präsident sein", sagt der 67-jährige und heftet den Blick auf Blatter, "sondern nur für die nächsten vier Jahre, um 2019 eine offenere und glaubwürdigere Organisation an die neue Generation zu übergeben."

Van Praag verweist noch einmal auf all die offenen Fragen rund um den Korruptionsreport zu den WM-Vergaben 2018 an Russland und 2022 an Katar. Und er sagt: "Ich werde alle Fifa-Ausgaben und mein eigenes Präsidentengehalt offenlegen, denn wir müssen in der Fifa für unsere Ausgaben gegenüber den Mitgliedsverbänden geradestehen."

Viel schwere Kost war das für Blatter, der nach dem Konvent im Privatjet heimflog. Sollte er, der Favorit, nach der Fifa-Kür Ende Mai weiter im Amt bleiben, hat er es dort künftig mit einem Novizen zu tun, den ihm die Uefa in Wien als Nachfolger für den Blatter-getreuen Theo Zwanziger in die Fifa-Exekutive gewählt hat: Wolfgang Niersbach. Der DFB-Präsident machte klar, dass er die neue Aufgabe im Weltverband anders sieht als sein Vorgänger. Dessen Namen er nicht nennen musste, es reichte der Hinweis: "Ich bin dort der Vertreter von Uefa und DFB." Klar auch, dass er die Rolle als Grenzgänger zwischen den verfeindeten Großverbänden vorerst nicht genießen kann. Was er im Fifa-Vorstand bewirken will? "Wir müssen Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die Fifa wiederherstellen", sagt Niersbach in Wien. Gut, dass Sepp Blatter das nicht mehr gehört hat.

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