Süddeutsche Zeitung

Fußball:Den entscheidenden Tick schlechter

Die deutsche U21 verliert erst gegen Frankreich, dann gegen England - so wird der Titelverteidiger nicht gerade als Favorit zur EM fahren. Trainer Di Salvo ist "enttäuscht".

Von Ulrich Hartmann

"Wir wollen wissen, wo wir stehen", hatte der Bundestrainer Antonio Di Salvo gesagt, ehe sich seine U21-Nationalmannschaft binnen fünf Tagen erst mit Frankreich und dann mit England verglich. Das sind zwei der Favoriten für die in neun Monaten beginnende Europameisterschaft in Georgien und Rumänien. Gegen Frankreich gab es in Magdeburg zunächst eine 0:1-Niederlage, gegen England am Dienstagabend in Sheffield verlor das deutsche Team 1:3. Die zwei Dämpfer waren auch eine rechtzeitige Warnung vor dem Turnier 2023. "Wir sind enttäuscht", sagte Di Salvo Dienstagnacht, "wir haben gegen zwei große Nationen knapp verloren und waren in beiden Spielen den entscheidenden Tick schlechter."

Ohne den angeschlagenen Stürmer Youssoufa Moukoko von Borussia Dortmund musste die deutsche Mannschaft in Sheffield auskommen. Der Wolfsburger Felix Nmecha köpfelte in der 35. Minute die 1:0-Führung, doch Folarin Balogun von Stade Reims (41.), Conor Gallagher vom FC Chelsea (47.) und Cole Palmer von Manchester City (95.) drehten das Ergebnis zugunsten der Gastgeber. "Wir müssen als Team noch näher zusammenrücken", formulierte hernach der Kölner Angreifer Jan Thielmann als Erkenntnis aus beiden Spielen: "Und wir müssen mehr Siegermentalität entwickeln."

Die Hierarchie der Nationen in dieser Welt der Nachwuchsfußballer zwischen 20 und 23 Jahren ist keine so ganz andere als bei den A-Nationalteams. Bis auf Dänemark haben sich sämtliche der besten europäischen Nationen aus der Weltrangliste für die U21-EM qualifiziert: Belgien, Frankreich, England, Spanien, Italien, Niederlande, Portugal, Deutschland, Kroatien und die Schweiz. Zu diesen zehn kommen sechs weitere Nationen hinzu, von denen die Gastgeber Rumänien und Georgien sowie Israel in der Weltrangliste ein bisschen abgeschlagen sind.

"Man hat gemerkt, dass wir viele Spieler auf dem Platz hatten, die momentan wenig spielen", sagt Di Salvo

Am Dienstagabend haben sich in den Playoffs die letzten vier Nationen für die EM qualifiziert: Ukraine, Kroatien, Tschechien und Israel. Am 18. Oktober werden in Bukarest die vier Gruppen ausgelost. Das Turnier vom 21. Juni bis 8. Juli mündet in Viertelfinale, Halbfinale und Finale. In den Endspielen der vergangenen Jahre waren Spanien, Deutschland und Portugal dominant und bei den vergangenen drei EM-Turnieren dort sogar komplett unter sich. Dass mal gar keine dieser drei Nationen im U21-EM-Endspiel war, ist 15 Jahre her.

Man weiß nicht so genau, wie favorisiert beim nächsten Turnier die Deutschland-Gegner Frankreich und England wirklich sein werden. Dass die Engländer mal im U21-EM-Endspiel waren, ist 13 Jahre her, bei den Franzosen sind es schon 20 Jahre. In neun Monaten geht es in den rumänischen Städten Bukarest und Cluj-Napoca sowie in den georgischen Städten Tiflis, Batumi und Kutaissi aber nicht nur um die beiden Plätze fürs Endspiel, sondern auch um drei Plätze für Olympia 2024 in Paris. Frankreich ist dafür gesetzt, auch die drei weiteren besten Teams der U21-EM dürfen bei Olympia mitspielen. Für die deutsche Mannschaft ist das ein ganz großes Ziel.

Doch für dieses wird sie sich bis zur Europameisterschaft noch deutlich steigern müssen. "Man hat gemerkt, dass wir viele Spieler auf dem Platz hatten, die momentan wenig spielen", sagte Di Salvo in Sheffield. Die meisten seiner Spieler haben in ihren Klubs derzeit keinen Stammplatz. Eine Handvoll darf regelmäßig spielen, wie Ansgar Knauf bei Eintracht Frankfurt, einige werden zumeist eingewechselt, beispielsweise Lazar Samardzic bei Udinese Calcio, und andere kommen kaum zum Einsatz, siehe Malick Thiaw, der kürzlich zu AC Mailand wechselte. Auch dies wird ein Kriterium sein, wenn Di Salvo über seinen EM-Kader nachdenkt. "30 bis 35 Spieler" hat er dafür im Blick. Bevor im November die nächsten beiden Testspiele anstehen, wird er umso mehr auch darauf achten, wieviel Praxis sich die jungen Fußballer in ihren Klubs erkämpfen. Dort beginnt der Kampf um die Stammplätze im Nationalteam.

Wo die deutsche U21 also steht neun Monate vor der EM? Als Titelverteidiger jedenfalls momentan nicht ganz oben auf der Favoritenliste. Dorthin haben sich fürs Erste wohl die Engländer mit einer starken Generation geschoben.

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