Süddeutsche Zeitung

U21-Stürmer Lukas Nmecha:Im November für England, im März für den DFB

  • Der U21-Nationalstürmer Lukas Nmecha hat einen ungewöhnlichen Weg hinter sich.
  • Er stürmte lange für England, nun spielt er für den DFB.
  • Im Verein, bei ManCity, steht er noch bis 2021 unter Vertrag. Wo er in der kommenden Saison spielt, weiß er nicht.

Von Sebastian Fischer, Udine

Kurz vor dem Anpfiff gegen Österreich waren die Spieler aus der deutschen Startelf schon in der Kabine, aber Lukas Nmecha war noch draußen, auf dem Rasen im Stadion in Udine. Er sammelte die Bälle nach dem Aufwärmen ein. Und wie jeder Fußballer, der gerne einen Ball am Fuß hat, gab er sich dabei Mühe, es liebevoll zu tun: Er streichelte die Bälle mit der Innenseite. Dann ging er Richtung Kabine, das Ballnetz über der Schulter. Er ahnte wohl, dass seine Zeit nicht an diesem Abend kommen würde. Aber dass sie kommen wird, davon ist er überzeugt. Dafür hat er einen ungewöhnlichen Weg zurückgelegt.

Wenn die deutsche U 21-Nationalmannschaft an diesem Donnerstag im Halbfinale der U 21-Europameisterschaft in Bologna gegen Rumänien spielt, wird der Stürmer Nmecha, 20, vermutlich keine Hauptrolle einnehmen. Im Turnier ist er bislang einmal eingewechselt worden, beim 6:1 gegen Serbien kam er beim Stand von 4:0 für die letzte Viertelstunde. Doch selbst wenn er nicht mehr viel spielen sollte beim Turnier in Italien, ist es eine besondere Geschichte, dass er überhaupt dabei ist.

Es ist eine Geschichte über die Unterschiede zwischen zwei Fußballnationen, über Deutschlands Suche nach Stürmern und über einen Transfermarkt der Verbände. Nmecha, geboren in Hamburg, als Jugendlicher aufgewachsen in einem Vorort von Manchester, unter Vertrag bei Manchester City, hat im November noch ein Tor für die U 20 Englands geschossen, gegen Deutschland. Im März spielte er erstmals für Deutschlands U21, gegen England.

Kuntz telefonierte oft mit dem Spieler, besuchte die Familie

Während der ersten Turnierwoche saß er zum Gespräch mit Journalisten im Mannschaftshotel. "Ich rede schon gerne, aber auf Deutsch ist es manchmal noch schwer", sagte er. Als er seine Rolle im Team beschreiben sollte, antwortete er mit Sätzen wie diesen: "Das ist eine good challenge for me. Ich möchte natürlich in die Startelf. Wenn ich reinkomme, muss ich einfach gut spielen und vielleicht ein paar Tore schießen."

Verbandswechsel von Fußballern gibt es im Juniorenbereich immer wieder, bis zum ersten A-Länderspiel sind sie erlaubt, solange ein Spieler mit mehreren Staatsbürgerschaften nicht schon Pflichtspiele für zwei Länder im Juniorenbereich gemacht hat. Von den deutschen U 21-Europameistern 2009 machten vier im Ausland Karriere: Sebastian Boenisch für Polen, Ashkan Dejagah für Iran, Fabian Johnson für die USA, Änis Ben-Hatira für Tunesien. "Das, was sich auf Vereinsebene abspielt", Wechselwünsche und Wechselangebote, habe sich auf die Nationalmannschaftsebene verschoben, sagt Meikel Schönweitz, Junioren-Cheftrainer beim DFB. Über Nmecha sagt er: "Wir können ihm eine Perspektive geben, wir glauben an ihn."

Im Verband erklären sie Nmechas Weg mit der Überzeugungsarbeit von Trainer Stefan Kuntz, der die Familie besuchte und oft mit dem Spieler telefonierte. Sie schauten gemeinsam Fußball, das 7:0 von Manchester City in der Champions League gegen Schalke 04, Kuntz lobte die Rühreier des Vaters. Nmecha sagt, ihn habe überzeugt, wie Kuntz vom Teamgeist der U21 erzählte. Überhaupt sei es nie seine bewusste Entscheidung gewesen, für England aufzulaufen. Er sei halt immer mit seinen Freunden zum Nationalteam gegangen. Sein Bruder Felix, 18, hat schon Spiele für Deutschland bestritten, zuletzt aber spielte er für Englands U 19. Lukas Nmecha sagt: "Wenn man ein bisschen älter wird, trifft man eher seine eigenen Entscheidungen."

Er lebte in Hamburg, bis er neun war. Seine Mutter kommt aus Mönchengladbach, sie spricht Deutsch mit ihm, sein Vater kommt aus Nigeria. Mit der Mutter und zwei Geschwistern zog er nach England, wo sein Vater eine Anstellung als Wachmann gefunden hatte. In Hamburg hatte er nur im Park Fußball gespielt, in England kickte er im Schulteam, war dort der Beste. "Da war eine Frau, die Mary hieß, die kannte jemand, der bei City arbeitet. Ich weiß nicht, was passiert ist, aber sie haben mich einfach angerufen", so erklärt er, wie er zu einem der inzwischen besten Klubs der Welt kam, der damals noch nicht der Verein von Investoren aus Abu Dhabi war. Bei ManCity ist er einer der Spieler, die der Klub noch an kleinere Vereine verleiht. Sie sind so viele, dass sich eine eigene Whatsapp-Gruppe für die Leihspieler lohnt. Nmecha verbrachte die vergangene Saison bei Preston North End in der zweiten Liga, harter Fußball, er machte 41 Spiele als Stürmer, schoss drei Tore, legte acht vor. "Ich habe viel gelernt, gerade in den Zweikämpfen", erzählt er. Kuntz plant mit ihm als Stürmer in der Mitte, den Spielertyp gibt es in Deutschland nicht oft. Ein kleines bisschen mehr als der variable Luca Waldschmidt, der bislang fünf EM-Tore schoss, ist Nmecha, 1,85 Meter groß, ein typischer Spieler für die Nummer neun. Es ziehe ihn immer wieder in die Mitte, sagt er, "das mag ich einfach". Beim DFB werde schneller gespielt als in England, sagt er, mit weniger Fehlern und weniger Duellen im Eins-gegen-eins. Vielleicht liegt ihm das eher. Nmecha steht noch bis 2021 bei ManCity unter Vertrag, aber er weiß noch nicht, wo er nächste Saison spielt. Der Klub wird ihn wohl wieder verleihen wollen, mit Trainer Pep Guardiola hat er noch nicht darüber gesprochen. "Die sind jetzt alle im Urlaub. Da möchte ich nicht nerven", sagt er. Der Verteidiger Vincent Kompany, mit dem er in Manchester trainierte und der ihm beibrachte, wie man als Stürmer den Ball so fordert, dass es Verteidigern nicht gefällt, dieser Kompany ist nun Spieler und Manager beim RSC Anderlecht.

Nmecha lächelt verlegen, wenn man ihn fragt, ob er dort bald spielen könnte. Es soll auch Möglichkeiten geben, in die Bundesliga zu wechseln. Die Mitspieler aus der U 21, sagt er, würden schon ständig sagen: "Komm zu mir, komm zu mir!" Er scheint nicht abgeneigt zu sein.

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SZ vom 26.06.2019/ebc
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