Süddeutsche Zeitung

Zukunft der DFB-Junioren:Stefan Kuntz muss grübeln

Der Europameister-Trainer der U21 startet mit einem neuen Jahrgang in die nächste Qualifikation. Nachdem er sich offenbar Hoffnungen auf das Bundestrainer-Amt gemacht hatte, lässt er seine Zukunft beim DFB demonstrativ offen.

Von Ulrich Hartmann

Die Komplexität von Schnick-Schnack-Schnuck wird oft unterschätzt. Die profane Wahl von Stein, Schere oder Papier ist bloß das äußere Merkmal eines Psychokriegs erbitterter Duellanten. In Köln wird sogar jedes Jahr ein Schnick-Schnack-Schnuck-Weltmeister ermittelt.

Ganz so ernst nehmen es die deutschen U21-Fußballer nicht, wenn sie sich im Hotel in Rimini zwischendurch um Zerstreuung bemühen. Für den Trainer Stefan Kuntz hat das zackige Spiel mit den Finger-Gesten jedoch durchaus Relevanz. Er sagt seinen Spielern gern, dass sie bei so einer U21-Kampagne zwischendurch natürlich auch allein auf ihren Zimmern sitzen und twittern, netflixen oder videospielen können - aber dass sie dann bis zur Abreise niemanden kennengelernt haben werden: "Ich finde es gut, wenn hinterher jeder etwas über den anderen weiß", verdeutlicht Kuntz - und er freut sich deshalb ausdrücklich, dass nun Tabu, Uno und Schnick-Schnack-Schnuck die Renner im U21-Gemeinschaftsraum sind.

Fußball wird aber schon auch gespielt bei der ältesten Nachwuchs-Nationalmannschaft des DFB. An diesem Donnerstag (19 Uhr, Pro7 Maxx)beginnt im Stadion "Olimpico di Serravalle" von San Marino die Qualifikation zur EM 2023 in Rumänien und Georgien. Kuntz hat dafür einen neuen Jahrgang beisammen. 13 Spieler wurden erstmals in sein Team berufen, 17 haben bisher noch nie ein Spiel für die U21 bestritten. "Viele der Jungs kennt man noch nicht so richtig", sagt Kuntz. Er fühlt sich wie ein Klassenlehrer mit einem neuen Jahrgang.

"Ich brauche ein bisschen Ruhe, um zu wissen, was das Richtige ist."

Die Schnick-Schnack-Schuck-Anekdote ist hilfreich bei dem Versuch, den Erfolg des U21-Trainers Kuntz zu erklären. Er vermittelt nicht nur fußballerische, sondern auch charakterliche Werte. Das ist ein relevanter Faktor dafür, dass er mit drei Jahrgängen drei Mal nacheinander ins Endspiel der U21-Europameisterschaft einziehen und davon zwei Mal den Titel gewinnen konnte. 2017 besiegte seine DFB-Elf in Krakau Spanien mit 1:0, 2019 unterlag sie in Udine Spanien mit 1:2 - und jüngst im Juni gewann sie in Ljubljana im Finale 1:0 gegen Portugal.

Seit September 2016 ist Kuntz U21-Nationaltrainer. Mit den beiden Assistenten Daniel Niedzkowski und Antonio di Salvo sowie Torwarttrainer Klaus Thomforde ergibt sich ein fabelhaftes Quartett, das zwei maßgebliche Aufträge vorbildlich erfüllt: junge Spieler zu Titeln zu führen - und damit optimal auf die A-Nationalmannschaft vorzubereiten. Zehn Nationalspieler, die der neue Bundestrainer Hansi Flick soeben in seinen ersten Kader berufen hat, haben die U21 unter Stefan Kuntz durchlaufen: aus dem Siegerkader von 2017 Serge Gnabry und Thilo Kehrer, aus dem Finalkader von 2019 Lukas Klostermann, Mahmoud Dahoud und Florian Neuhaus sowie aus dem aktuellen Europameister-Aufgebot Ridle Baku, Nico Schlotterbeck, Karim-David Adeyemi, David Raum und Florian Wirtz.

Als der Deutsche Fußball-Bund (DFB) im Frühjahr auf der Suche nach einem Nachfolger für Joachim Löw war, hat sich Kuntz dem Vernehmen nach Hoffnungen auf eine Beförderung zum Bundestrainer gemacht. Enttäuscht war er dann offenbar davon, nicht einmal die Gelegenheit zu einem Perspektivgespräch erhalten zu haben. Seine Erfolge als U21-Trainer und die Gewissheit, trotzdem innerhalb des DFB persönlich vorerst nicht vorankommen zu können, lenken seinen Blick daher auf externe Herausforderungen.

In diesem Sommer hat sich noch nichts für ihn ergeben. Aber Kuntz will sich nicht definitiv festlegen, seinen bis Juli 2023 gültigen DFB-Vertrag zu erfüllen. Damit signalisiert er der Branche, an anderen Positionen durchaus interessiert zu sein. "Ich weiß, was ich an diesem Job habe und mache bis zum Jahresende die Länderspiele", sagte er soeben über seinen Trainerposten bei der U21, "aber ich brauche auch ein bisschen Ruhe und einige Gespräche, um dann für mich zu wissen, was das Richtige ist." Kuntz lässt also demonstrativ offen, ob er die U21, mit der er gegen San Marino in die EM-Qualifikation startet, bei der Endrunde 2023 wirklich noch betreut.

Ob diese Unwägbarkeit einen Einfluss auf die Leistung der Mannschaft hat, wird gegen San Marino kaum zu erkennen sein. Der Bochumer Armel Bella Kotchap und der Bremer Lars Lukas Mai könnten die Innenverteidigung bilden, der Hoffenheimer Angelo Stiller ist ein Kandidat fürs Mittelfeld, der Mainzer Jonathan Burkardt und der erst 16 Jahre alte Dortmunder Youssoufa Moukoko sind exzellente Stürmer. Die Auswahl an Talenten ist groß. Wer der Beste beim Schnick-Schnack-Schnuck ist, wurde nicht mitgeteilt.

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