Süddeutsche Zeitung

Deutsche U21:"Eine richtig coole Socke"

Stürmer Lukas Nmecha trifft beständig und wahrt der deutschen U21 alle Chancen aufs Viertelfinale bei der Europameisterschaft - nur der Torwart muss getröstet werden.

Von Ulrich Hartmann

Ein trügerisches Bauchgefühl des Bundestrainers Stefan Kuntz, eine Torte für den Pechvogel Finn Dahmen und eine Rettungstat der "coolen Socke" Lukas Nmecha haben das turbulente zweite Gruppenspiel der deutschen U21-Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft in Ungarn geprägt.

Kurz nach der Pause hatte der Torwart Dahmen bei einer versuchten Rettungsaktion dem niederländischen Gegenspieler Justin Kluivert den Ball zur 1:0-Führung versehentlich vorgelegt. Dahmen ist jener Mainzer Ersatztorwart, für den sich Kuntz kurz vor EM-Beginn anstelle des erwarteten derzeitigen Leverkusener Stammtorwarts Lennart Grill entschieden und dies mit seinem "Bauchgefühl" begründet hatte. Dahmens Patzer entschuldigte Kuntz nun ausgerechnet mit dessen "fehlender Spielpraxis". Dass Dahmen nach dem Spiel mit einer Torte getröstet wurde, lag allerdings ausschließlich daran, dass dieser ereignisreiche Tag auch noch sein 23. Geburtstag war.

Doch die Auswirkungen seiner unglücklichen Aktion in der 48. Minute hielten sich in Grenzen. Dass die deutsche Mannschaft durch einen Endspurt noch ein 1:1-Unentschieden gegen die Niederlande erzielte und dass ihr damit im finalen Gruppenspiel am Dienstag gegen Rumänien ein Remis zum Einzug ins Viertelfinale genügt, liegt daran, dass der Mittelstürmer Nmecha sechs Minuten vor dem Ende in seinem 16. Spiel für die U21 schon sein zehntes Tor schoss. Auch im Auftaktspiel gegen Ungarn hatte der beim RSC Anderlecht spielende Angreifer nach einer schwierigen ersten Stunde mit dem erlösenden 1:0 den Weg zum 3:0-Sieg geebnet. "Er trifft gefühlt in jedem Spiel", sagte anerkennend der Innenverteidiger Amos Pieper von Arminia Bielefeld: "Lukas ist eine richtig coole Socke."

Deutschland will ins Viertelfinale - doch dies beginnt erst am 31. Mai

Im recht windigen Sostoi-Stadion in Szekesfehervar hatte Dahmen drei Minuten nach dem Wiederanpfiff einen Einwurf seines Kollegen Josha Vagnoman (Hamburger SV) annehmen wollen, wurde von dem für RB Leipzig spielenden Niederländer Kluivert aber unter Druck gesetzt, so dass ihm der Ball beim Versuch, ihn von dannen zu schlagen, über den Spann rutschte. Kluivert brauchte nur noch einzuschieben. "Wenn man so wenig Spielpraxis hat, dann kann so etwas eben passieren", sagte Kuntz über Dahmen, der in Mainz in dieser Saison erst ein einziges Bundesligaspiel gemacht hat am 3. Januar beim 2:5 in München.

Erst nach dem Gegentreffer wachte die Offensive der solide verteidigenden deutschen Mannschaft auf. Zuvor hatte sie die Niederländer, die nach einem 1:1 zum Auftakt gegen Rumänien unter Druck gestanden hatten, allzu sehr gewähren lassen.

Eine entscheidende Einwechslung brachte dann den Lohn für die späte Mühe. In der 82. Minute brachte Kuntz jenen Stürmer Jonathan Burkardt in die Partie, der im Auftaktspiel gegen Ungarn noch in der Startelf gestanden hatte, der gegen die Niederlande angesichts von Adduktoren-Problemen aber vorsichtshalber geschont werden sollte.

Kurz vor Schluss bei 0:1 gegen Oranje war eine Schonung allerdings nicht mehr geboten. Eine Niederlage hätte fürs finale Gruppenspiel bedeutet, dass die deutsche Mannschaft zum Viertelfinal-Einzug um einen Sieg nicht herumgekommen wäre. Burkardt, Dahmens Klubkollege in Mainz, war gerade mal 140 Sekunden auf dem Platz, als er sich kraftvoll über die rechte Seite durchsetzte und Nmecha im Zentrum bediente, wo dieser den Ball aus fünf Metern nur noch über die Linie zu schieben brauchte. "Super Vorlage!", lobte Nmecha Burkardt, der seinen Mainzer Mitspieler Dahmen damit rettete.

Die Mannschaft "bestraft" Torwart Dahmen für seinen Patzer

Starke Nerven und enorme "Wandlungsfähigkeit" (Pieper) prägen bislang die deutsche U21 in Ungarn. Mit verschiedenen Systemen (mal Dreier-, mal Viererkette in der Abwehr) und tendenziell späten Treffern (alle vier in der letzten halben Stunde) zeigen sie sich recht abgezockt. "Mit Vollgas" will Kuntz nun auch das finale Gruppenspiel gegen Rumänien angegangen sehen, obwohl ein Unentschieden definitiv genügen würde.

Den Teamgeist, den die deutschen Fußballer aus ihren motivierenden Spieldramaturgien ziehen, können sie diesmal aber leider nicht mit in die K.o.-Phase nehmen, weil diese mit dem Viertelfinale nämlich erst am 31. Mai beginnt. Corona hat die U21-EM erstmals zu einem zweigeteilten Turnier gemacht. Während sich bei einer deutschen U21 der angesammelte Teamgeist in einem durchgängigen Turnier schon zwei Mal als erfolgsentscheidend erwiesen hat (EM-Titel 2009 und 2017), müssten die aktuellen Spieler ihr Momentum Ende Mai neu aufnehmen. Das ist bedauerlich.

Doch zuvor müssen sie nun ohnehin erst noch den letzten Schritt ins Viertelfinale gegen Rumänien gehen. Kuntz deutet an, dass auch dann Dahmen wieder im Tor stehen soll. Und vielleicht kann ja diesmal das 16 Jahre alte Dortmunder Wunderkind Youssoufa Moukoko mitspielen, das in beiden ersten EM-Spielen passen musste wegen einer Schienbein-Prellung.

Dem Torwart Dahmen, den sie nach dem Schlusspfiff noch auf dem Spielfeld alle sehr lieb getröstet haben, haben sie nachts im Hotel laut Ankündigung des Trainers Kuntz übrigens dann aber doch noch für seinen Patzer bestraft - indem sie ihm ein sehr schräges Happy Birthday gesunden haben. Strafe muss eben sein.

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