Luca Waldschmidt machte Trippelschritte, sie sahen vorsichtig aus, aber es waren Schritte in Selbstgewissheit. Er lief zum Freistoß an, gegen gellendes Pfeifen von den Rängen im Stadion von Bologna. Er schoss. Und dann war es plötzlich ruhig. Er hatte das Tor erzielt, das Deutschland den Weg ins Finale der U21-Europameisterschaft ebnete. Deutschland schlug Rumänien im Halbfinale 4:2 (1:2).
Es war heiß, fast 40 Grad, aber das war nicht die größte Sorge von Stefan Kuntz gewesen. Er vertraue den Ärzten, dass sie einschreiten, sollten die Bedingungen gesundheitsgefährdend werden, hatte der Trainer einen Tag vor dem Halbfinale gesagt. Die größere Aufgabe sei die Atmosphäre im Stadion: "Wir spielen praktisch auswärts gegen eine unheimlich emotionale Mannschaft. Das ist nicht alltäglich."
Kuntz sollte Recht behalten. Aber sein Team hat die Aufgabe bestanden. Waldschmidt und Nadiem Amiri schossen zwei späte Freistoßtore, die ein Spiel drehten, das wie eine Niederlage ausgesehen hatte.
Die erste Führung hält nur drei Minuten
Die Rumänen begannen in einem Tempo, als wären es zehn Grad im Herbst, griffen die deutsche Elf weit in deren eigener Hälfte an, nach zwölf Minuten hatte Andrei Ivan die erste Torchance per Kopfball. Er vergab nach einem Eckball von Rumäniens bekanntestem Spieler Ianis Hagi, dem Sohn des legendären Gheorghe Hagi.
Die scheinbar gedankenlose Offensive offenbarte riesige Räume zum Kontern. Nach 21 Minuten lief Amiri mit Tempo auf die Abwehr zu, schoss aus 20 Metern, es war das 1:0. Doch es dauerte nur drei Minuten, bis Rumänien im Spiel zurück war: George Puscas stand im Strafraum frei, schoss den Ball an den Pfosten, aber davor war Innenverteidiger Timo Baumgartl Hagi auf den Fuß getreten, als würde er dort eine Mücke töten wollen. Es war schon der zweite Strafstoß, den der Stuttgarter im Turnier verursachte, es war der vierte im Turnier, der gegen Deutschland gepfiffen wurde. Puscas traf. Und durch das Stadion hallte ein Torschrei von 10 000 Rumänen, die klangen wie 100 000.
Die Fans waren schon nachmittags durch Bolognas Altstadt gezogen, hatten gesungen auf den Wegen zur Piazza Maggiore, sie hatten sogar einen kleinen Fußballplatz vor dem Stadion aufgebaut und Fahnen aufgehängt. Große Kulissen sind selten bei einer U21-EM. Doch diesmal wurde das deutsche Team schon ausgepfiffen, als es eine Dreiviertelstunde vor dem Spiel zum Aufwärmen ins Stadion einlief.
Rumänien spielte nach dem 1:1 weiter wild, Straßenfußball im Stadion. Deutschland war mindestens ein paar Minuten lang überfordert. Kurz vor der Pause flog die nächste Flanke in den Strafraum, diesmal stand Puscas zwischen Baumgartl und Maximilian Mittelstädt frei, Alexander Nübel konnte seinen Kopfball nicht halten. Und es war nur der Torhüter vom FC Schalke, der ein 1:3 vor der Pause verhinderte. Puscas sprang vor dem wie kraftlos wirkenden Baumgartl allein in die Luft, Nübel hielt einen beinahe unhaltbaren Ball.
"In der Halbzeit haben wir uns in Ruhe darüber unterhalten, ob das die Art und Weise ist, wie wir uns aus dem Turnier verabschieden oder ob wir den Kampf noch mal annehmen wollen", sagte Stefan Kuntz im ZDF nach dem "Saunagang". Nach der Pause schien alles in einem mutigen Matchplan aufzugehen. Denn den Rumänen schwanden die Kräfte. Und Deutschland beruhigte das hektische Spiel. "In der zweiten Halbzeit haben wir es besser gespielt", sagte Waldschmidt, der mit nun sieben Treffern den Turnierrekord des Schweden Marcus Berg einstellte und ein Tor mehr geschossen hat als Pierre Littbarski, Torschützenkönig bei der U21-EM 1982. In der 50. Minute hielt Hagi Mo Dahoud im eigenen Strafraum fest. Waldschmidt lief ganz langsam an, dann traf er per Strafstoß cool zum Ausgleich.
Waldschmidt und Nmecha vergeben Großchancen
"Nadiem wollte schießen", verriet Waldschmidt später im ZDF mit Bezug auf den Hoffenheimer Amiri. "Aber ich fühle mich gut. Ich habe gesagt: ,Ich nehme den und mache ihn rein'. Das hat gut geklappt." Mit seinem verwandelten Strafstoß zum 2:2 gab Waldschmidt der Partie eine neue Wendung. So freute sich auch Amiri - Ärger muss Waldschmidt nicht befürchten. "Alles gut, wir sind ein Team, scheißegal", kommentierte Amiri lächelnd die Aktion.
Mit Amiri war Waldschmidt der Spieler des Tages, ließ sich oft zurückfallen, die klaren Angriffe liefen meistens über einen der beiden. Nach 83 Minuten allerdings war es auch Waldschmidt, der die Möglichkeit zum 3:2 ausließ. Deutschland ließ unter Pfiffen den Ball laufen, bestimmte die Schlussphase, es war nun die Aufgabe, die Kuntz vorhergesehen hatte. In der 85. Minute vergab der eingewechselte Lukas Nmecha eine noch größere Chance. Doch dann traf zunächst Waldschmidt in der 90. Minute, bevor Amiri in der Nachspielzeit bildschön das 4:2 hinzufügte.
Kuntz hatte noch ein paar mehr Sorgen gehabt als Hitze und Gegner: Benjamin Henrichs war gesperrt, Kapitän Tah und Angreifer Marco Richter angeschlagen. Tah spielte trotzdem von Beginn an, für Henrichs spielte Mittelstädt. Richter saß zunächst auf der Bank. Und für ihn stand Amiri in der Startelf. Jener Spieler also, der am Ende zum großen Jubellauf ansetzte.