Stefan Kuntz kennt das schon: Dass die Mannschaft, die er theoretisch aufstellen dürfte, nie ganz so gut sein wird, wie sie sein könnte. Seit inzwischen viereinhalb Jahren ist er Trainer der deutschen U21, der wichtigsten Nachwuchsauswahl im Land. Für den Kader bei zwei Europameisterschaften war er schon verantwortlich. Beim letzten Mal, als Deutschland 2019 das Finale gegen Spanien verlor, fehlten zum Beispiel Namen wie Leroy Sané, Timo Werner oder Kai Havertz. Sie wären noch jung genug für das Turnier gewesen, aber sie waren längst A-Nationalspieler.
Am Montag hat Kuntz, 58, den Kader für seine dritte Europameisterschaft als U21-Trainer bekanntgegeben. Das Turnier in Ungarn und der Slowenien beginnt am 24. März. Diesmal sind zwei Spieler, die im Aufgebot fehlen, so jung, dass sie sogar noch U19-Nationalspieler sein könnten: Jamal Musiala, 18, vom FC Bayern hat allerdings schon für Englands U21 in der EM-Qualifikation gespielt und damit seine Spielberechtigung verloren. Er dürfte außerdem Ende März bereits im Kader für die WM-Qualifikationsspiele der A-Nationalelf stehen - ähnlich wie womöglich Florian Wirtz, 17, von Bayer Leverkusen. Dafür hat Kuntz diesmal einen Spieler nominiert, der noch für die U17 auflaufen könnte und nun zum jüngsten U21-Nationalspieler der Geschichte werden dürfte: Youssoufa Moukoko, 16, von Borussia Dortmund, der bereits der jüngste Bundesligaspieler der Historie ist und am Wochenende schon sein drittes Bundesligator schoss.
Nun waren die Beratungen mit Bundestrainer Joachim Löw, welche Spieler die U21 überspringen und welche zu ihrem Erfolg beitragen sollen, schon in den vergangenen Jahren nicht immer ganz unkompliziert. In diesem Jahr allerdings kommen noch ein paar erschwerende Bedingungen hinzu. Durch die Verschiebung der EM 2020 finden beide Turniere, das für die A-Elf und das für die Junioren, im selben Jahr statt. Die U21-EM ist aus Termingründen zweigeteilt: Die Vorrunde vom 24. bis 31. März, die K.o.-Phase vom 31. Mai bis zum 6. Juni. Im Spätsommer wird Kuntz dann auch noch einen separaten Kader für die deutsche Olympia-Teilnahme zusammenstellen, zu dem auch Spieler des Jahrgangs 1997 zählen können, der für die U21 nicht mehr spielberechtigt ist, sowie drei ältere Profis. Bei beiden Turnieren geht es darum, den derzeit etwas angeschlagenen Ruf des deutschen Nachwuchsfußballs zu verteidigen. Und dann ist da noch die nicht ganz uninteressante Frage, ob die EM nicht auch eine Art Gelegenheit zur weiteren Bewerbung für Kuntz ist, womöglich doch ein Kandidat für den demnächst vakanten Bundestrainerjob zu sein.
Letzteres wäre er bei einer Pressekonferenz zur Kadernominierung wohl gefragt worden, allerdings teilte der DFB das Aufgebot zunächst nur auf der eigenen Webseite mit, in Form eines sehr charmanten Videos: Die Namen der Spieler sagten Kinder und Senioren aus sozialen Einrichtungen. In einer begleitenden Mitteilung ging Kuntz darauf ein, dass seine Mannschaft diesmal eher nicht zu den Favoriten gehört: "Unser klares Ziel ist die Qualifikation für die Finalrunde im Sommer, auch wenn wir wissen, dass das eine große Herausforderung wird", sagte er. Und er erklärte, dass er bei der Nominierung darauf geachtet habe, welche Profis zuletzt Spielpraxis in der Bundesliga bekommen haben. Viel Zeit zum Einspielen bleibt bis zur ersten Partie gegen Ungarn am Mittwoch kommender Woche nicht. Die Mannschaft trifft sich bereits am Sonntag - während Angreifer Jonathan Burkardt, 20, noch für Mainz 05 beim Bundesligaspiel in Hoffenheim im Einsatz ist.
Neben Stürmer Moukoko - laut Kuntz ein "außergewöhnliches Talent, das wir behutsam und leistungsgerecht fördern wollen" - stehen im Kader drei weitere Spieler ohne Erfahrung in der U21: Der Schalker Malick Thiaw, der Stuttgarter Mateo Klimowicz und Anton Stach von Greuther Fürth. Thiaw, 19, und Klimowicz, 20, hätten zuletzt in der Bundesliga Spielzeit bekommen, sagte Kuntz. Der defensive Mittelfeldspieler Stach, 22, Stammkraft in der zweiten Liga, sei zudem vielseitig einsetzbar.
2017 gewann Deutschland das erste Turnier unter Kuntz prompt, auch wenn in der Stammelf in Serge Gnabry nur ein Spieler stand, der inzwischen etablierter A-Nationalspieler ist. 2019 erreichte die U21 das Finale mit einem Team, in dem sich besonders ein paar sogenannte Spätentwickler hervortaten: Florian Neuhaus und Luca Waldschmidt gehören inzwischen auch fest zum Kader der A-Elf. Diesmal ist in Ridle Baku vom VfL Wolfsburg nur ein Profi mit A-Nationalmannschaftserfahrung dabei. Und in Moukoko ein Spieler, dem viele eine Nationalmannschaftskarriere prophezeien. "Weil wir denken, dass seine Teilnahme sowohl der Mannschaft als auch ihm in der Entwicklung weiterhilft", sagte Kuntz.