Süddeutsche Zeitung

U21-EM:Vollstrecker in Bereitschaft

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Lukas Nmecha ist der Typ Mittelstürmer, der Joachim Löws A-Team weiterhelfen könnte. Mit der deutschen U21 will er jetzt erstmal ins EM-Viertelfinale.

Von Ulrich Hartmann, Budapest/München

Im Sportschau-Interview ist Lukas Nmecha mal nach seinem witzigsten Traum gefragt worden. Ein Traum ist eigentlich eine wichtige Angelegenheit im Leben eines Fußballers. Hier hat jeder Träume, manchmal sogar witzige. Nmecha aber wollte nichts verraten aus seinem Seelenleben. "Ich träum' nicht", behauptete er grinsend. Damit wäre er zumindest ein spannendes Objekt für die Schlafforschung.

Der 22-Jährige wurde als Sohn eines Nigerianers und einer Mönchengladbacherin in Hamburg geboren. Er war neun, als die Familie nach England zog. Dort wurde er von Manchester City entdeckt. Sein Bruder Felix, 20, spielt zurzeit im Mittelfeld von Manchesters U23. Lukas ist momentan an den RSC Anderlecht ausgeliehen. Trainer dort ist der frühere HSV- und City-Spieler Vincent Kompany. In der belgischen ersten Liga schießt Nmecha nun genauso munter seine Tore wie seit zwei Jahren für die deutsche U21-Nationalmannschaft.

Bei der Europameisterschaft hat er zum 3:0-Sieg gegen Ungarn und zum 1:1-Unentschieden gegen die Niederlande je einen Treffer beigesteuert. In insgesamt 16 Länderspielen hat er schon zehn Tore geschossen. Er ist in der ältesten Nachwuchsmannschaft des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) jener Typ eines klassischen Mittelstürmers, der Joachim Löws A-Team fehlt. Nmecha könnte deshalb jetzt auch ein Kandidat für Löw werden. Aber das wäre ein bisschen voreilig.

Bruder Felix spielte schon für die deutsche U18 - und entschied sich dann für England

Zunächst sind sie beim DFB mal froh, dass sie Nmecha überhaupt für Deutschland gewinnen konnten, nachdem er bis Ende 2018 schon 31 Länderspiele in englischen Nachwuchs-Nationalteams bestritten hatte. Als im Juli 2017 eine deutsche U19 bei der EM im dritten Gruppenspiel gegen England 1:4 verlor und ausschied, saß Nmecha bei den Briten bloß auf der Bank. Im Finale aber schoss er das Siegtor zu Englands Triumph. Als am 19. November 2018 eine deutsche U20 ein Freundschaftsspiel in England 0:2 verlor, schoss Nmecha für die Briten das zweite Tor. Es war sein letztes Spiel im englischen Trikot. Ende März 2019 debütierte er im deutschen Oberteil. In Bournemouth, gegen England.

Schon bei der U21-EM 2019 in Italien, als Deutschland im Finale gegen Spanien verlor, gehörte Nmecha zum deutschen Kader. Aber da hat er noch nicht so viel gespielt. Da war er mehr der Back-up für jenen Luca Waldschmidt, der mit sieben Treffern zum Torschützenkönig avancierte - zum ersten deutschen U21-EM-Torschützenkönig seit Pierre Littbarski 1982. Waldschmidt galt dem deutschen Fußball als kommender Mittelstürmer, aber dann verließ er im Sommer 2020 den SC Freiburg und wechselte zu Benfica Lissabon, wo es für ihn nach einer Corona-Infektion und einer Fuß-Verletzung zuletzt nicht optimal lief. Sein letztes Tor ist fast vier Monate her. Sein letztes Länderspiel war das 0:6 im November in Spanien.

Weil es dem deutschen Fußball an jungen Mittelstürmern mangelt, gilt auch Nmecha schon als große Hoffnung. Deshalb hat der deutsche Verband so um ihn gekämpft. Der U21-Bundestrainer Stefan Kuntz hat Nmecha damals im Kreise der Familie besucht. Sie haben Fußball geschaut. Der Vater hat Spiegeleier gebraten. Kuntz kann sehr emotional reden. "Er hat so viel Energie!", schwärmt Nmecha. Kuntz hat Nmecha vom Teamgeist vorgeschwärmt. Genau den lobt der 22-Jährige jetzt auch sehr in der U21. Sein Bruder Felix hat auch schon für die deutsche U18 gespielt, sich danach aber wieder für England entschieden.

Beim 3:0 gegen Ungarn am vergangenen Mittwoch hat Lukas Nmecha nach einer Flanke des Wolfsburgers Ridle Baku in der 61. Minute das 1:0 geköpfelt und damit den Weg bereitet. Beim 1:1 gegen die Niederlande am Samstag hat er in der 84. Minute eine fabelhafte Vorarbeit des Mainzers Jonathan Burkardt zum Ausgleich über die Linie gedrückt. Nmecha ist ein Vollstrecker. Für Anderlecht hat er in 32 Pflichtspielen 16 Tore geschossen.

In Wolfsburg kam er nicht zum Zug. Nun soll der HSV in seiner Heimatstadt interessiert sein

Sein Vertrag bei Manchester City gilt bis 2022. Auf der Bühne der EM macht er nun Werbung für sich. Nicht nur dem Hamburger SV in seiner Geburtsstadt wird Interesse nachgesagt. Im zweiten Halbjahr 2019 war er an den VfL Wolfsburg ausgeliehen und hat zwölf Mal gespielt, konnte sich bei Trainer Oliver Glasner aber nicht durchsetzen. Anschließend wurde er von Manchester an den englischen Zweitligisten FC Middlesbrough weiterverliehen.

An diesem Dienstag (18 Uhr) benötigt die deutsche U21 im finalen EM-Gruppenspiel gegen Rumänien in Budapest noch einen Punkt, um ins Viertelfinale einzuziehen. Bei einer U21-EM gibt es zum ersten Mal ein Viertelfinale. Zum ersten Mal allerdings ist das Turnier wegen Corona auch zweigeteilt. Das Viertelfinale wird erst am 31. Mai ausgetragen, das Halbfinale drei Tage später, das Finale am 6. Juni in Ljubljana, Slowenien. "Es liegt in unserer Hand, gegen Rumänien zu gewinnen und als Gruppen-Erster weiterzukommen", sagt Nmecha. Im Viertelfinale droht mit Frankreich, Dänemark oder Russland ein starker Gegner. Aber Nmecha hat das deutsche Fußball-Selbstverständnis längst verinnerlicht. "Wir sind Deutschland", sagt er, "wir müssen immer bereit sein, gegen die Besten zu spielen - und zu gewinnen."

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