Süddeutsche Zeitung

U21-Kader bei der EM:Wer ist einer für Jogi?

  • Vor nicht allzu langer Zeit galt der deutsche Fußball als immens angeschlagen.
  • Nun beweisen zumindest die Junioren, dass dies beim Nachwuchs anscheinend nicht der Fall ist.
  • Torhüter wie Nübel und Stürmer wie Waldschmidt könnten diesen Anschein früher oder später in die A-Nationalmannschaft tragen.

Von Sebastian Fischer

Manchmal braucht es offenbar nur 45 Minuten, um ein Problem zu lösen, von dem man dachte, es sei ein eher langwieriges. Deutschlands U21, Europameister von 2017, stand am Sonntag erneut im Finale der Junioren-EM gegen Spanien, auch wenn sie es am Ende klar verloren. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hatte nach dem Finaleinzug ein Zitat seines Vizepräsidenten Reinhard Rauball verschickt, das sich las wie eine trotzige Stellungnahme: "An allen Ecken und Enden hört man, dass es nicht gut bestellt sei um den deutschen Nachwuchs. Diese Mannschaft hat das heute widerlegt." Das Ausrufezeichen musste man sich dazu denken.

Alles gut also, ein Jahr nach dem Vorrunden-Aus der A-Elf bei der WM in Russland? Oder wie nachhaltig ist der Erfolg der U21 in Italien wirklich? Ein Überblick über die Protagonisten.

Tor

Es war sehr selten ruhig im Stadion von Bologna am Donnerstag, 10 000 Rumänen feierten ein Fest. Es wäre spät geworden, wenn Alexander Nübel die Fans vor der Halbzeit nicht einmal zum Schweigen gebracht hätte. Stürmer George Puscas verlängerte den Ball mit dem Kopf aufs Tor, das 1:3, dachten alle. Aber dann legte sich Nübel einmal in der Luft quer und hielt. Der Torwart vom FC Schalke ist einer für solche Paraden, schon beim 1:1 gegen Österreich zog er auf der Linie das linke Bein nach oben, um einen Kopfball aus weniger als fünf Metern Entfernung zu halten. Er unterlief aber auch eine Flanke, spielte einen Fehlpass, was man als Torwart besser lassen sollte, und verursachte einen Elfmeter. Nübel, 22, der in der Jugend beim SC Paderborn lange Feldspieler war und nur selten Torwarttraining hatte, der auf Schalke im Winter zur Nummer eins wurde und das Interesse des FC Bayern weckte, der in Italien gerne mal mit den Betreuern zusammensitzt (wegen der abseitigen Gesprächsthemen), spielt in der Summe eine starke EM. Aber er muss sich auch noch verbessern, in der Strafraumbeherrschung zum Beispiel.

Einer für Jogi? Seitdem die Bild-Zeitung im Trainingslager aus einem Interview die Schlagzeile "Kampfansage an ter Stegen" machte, spricht er in Italien nur noch ungern mit Journalisten. Das war ihm etwas zu forsch. Doch es spricht wenig dagegen, dass er mit dem Keeper vom FC Barcelona irgendwann um die Nachfolge von Manuel Neuer konkurriert.

Abwehr

Vor dem Turnier klang Jonathan Tah, 23, fast wie ein Vater, den seine Kinder ausnahmsweise aufs Konzert mitgenommen haben. "Dass ich das noch mal miterleben darf!", sagte der Kapitän der Mannschaft, der die vergangene EM verletzt verpasst hatte und mit sechs Einsätzen bei der A-Elf die meiste Erfahrung im Kader hat. Ebenfalls bereits vor dem Turnier hat er erklärt, wie ihm die U21 in seiner Entwicklung geholfen hat. "Weil ich Kapitän war, musste ich auch mal lauter werden. Das steckt eigentlich nicht so in meiner Natur", sagte er. Nach dem 6:1 gegen Serbien hielt er in der Kabine eine Ansprache an die Reservisten. Beim 1:1 gegen Österreich wurde er laut. Nach dem Sieg gegen Rumänien sagte Trainer Stefan Kuntz, dass er in der ersten Halbzeit "eine Form von Überheblichkeit" gesehen habe. Tah war aber jener Verteidiger, der in der ansonsten wackligen Viererkette Ruhe ausstrahlte. "Ein Bär", hat Kuntz ihn mal genannt.

Einer für Jogi? Ist Tah ja wie Außenverteidiger Lukas Klostermann längst, aber demnächst vielleicht auch öfter in der Startelf. Eine Rückkehr des gegen Rumänien gesperrten Außenverteidigers Benjamin Henrichs in die A-Elf sollte man auch nicht ausschließen. Sonst drängt sich aus der Defensive gerade eher niemand auf.

Mittelfeld

Wenn es nur nach Talent ginge, dann dürfte Mahmoud Dahoud bei dieser EM eigentlich gar nicht dabei sein. Denn ihren talentiertesten jungen Fußballern haben fast alle Teilnehmerländer Sommerurlaub gegeben, da sie schon A-Nationalspieler sind. Die Franzosen verzichteten etwa auf Kylian Mbappé. Wer Fußball mag und Dahoud, 23, dabei zusieht, kann schon mal ins Schwärmen geraten über die kreativen Lösungen, die er in komplizierten Situationen findet. Jüngstes, banales Beispiel aus dem Rumänien-Spiel: Es war seine Idee, sich mit Nadiem Amiri vor Luca Waldschmidts wegweisendem Freistoßtor zum 3:2 in der 90. Minute vor den Ball zu stellen, um so Rumäniens Torwart die Sicht auf den Schützen zu versperren. Doch so regelmäßig Dahoud solche kleinen Genialitäten einfallen, so unregelmäßig kann er sie effektiv umsetzen, besonders im Verein bei Borussia Dortmund. Und man würde, so wie er sich abseits des Platzes gibt, auch kaum darauf kommen, dass er der älteste Spieler im Kader ist. Während eines Interviews mit Tah nach dem Dänemark-Spiel stellte er sich daneben und verkündete: "Ich bin der Personenschutz."

Einer für Jogi? Für Dahoud wird es wohl erst mal schwer. Man sollte für ihn vielleicht eine U25-Nationalmannschaft erfinden. Noch etwas länger in der U21 spielen können Florian Neuhaus (bis zu den Olympischen Spielen 2020) und Arne Maier (bis zur nächsten EM 2021). Neuhaus, 22, ist wie der schon einmal für die A-Elf nominierte Bremer Maximilian Eggestein einer der Spätstarter, auf die man in Deutschland jetzt erst so richtig aufmerksam wird. Sein Manager bei Bourssia Mönchengladbach, Max Eberl, sagt, Neuhaus soll in Gladbach zum Nationalspieler werden. Der souveräne Sechser Maier, 20, ist der jüngste Spieler im Kader. Wirkt aber nicht so. Er wäre wohl Stammspieler, hätte er sich in der Rückrunde bei Hertha BSC nicht verletzt.

Angriff

Die populärste Frage im deutschen Fußball beantwortet Meikel Schönweitz mit einer nicht so populären Antwort. Braucht Deutschland einen klassischen Mittelstürmer? Gerade nicht, demnächst aber vielleicht wieder, sagt dazu der Junioren-Cheftrainer, der oberste Nachwuchsbeauftragte beim DFB. Gerade hat Deutschland in der A-Elf keinen - und in der U21 einen, der perfekt zum Spiel ohne klassischen Mittelstürmer passt. Luca Waldschmidt, 23, vom SC Freiburg ist bislang der herausragende Spieler des Turniers. Er hat sieben Tore geschossen, genauso viele wie der bisherige U21-EM-Rekordtorschütze Marcus Berg aus Schweden und eines mehr als Pierre Littbarski 1982. Es war der Freistoß vom Donnerstag dabei, aber auch ein Elfmeter, ein Lupfer, ein Fernschuss gegen Österreich, der nicht schöner in den Winkel fliegen kann, und ein Tor nach einem Dribbling. Waldschmidt lässt sich ins Mittelfeld fallen, initiiert auch mal weiter hinten einen Angriff, wenn er ihn nicht selbst abschließt, hat eine starke Technik bei der Ballverarbeitung und beim Schuss. In den Juniorennationalteams spielte Waldschmidt schon mit Nationalspieler Timo Werner zusammen. Und der hat mal erzählt, er habe sich gefragt, wo Waldschmidt abgeblieben sei. Hier ist er.

Einer für Jogi? Sollte Waldschmidt keine Chance in der A-Elf erhalten, müsste man das Konzept einer U21 überdenken. Er ist übrigens auch einer für Lazio Rom, schreibt die Gazzetta dello Sport. Und einer für RB Leipzig, schreibt die Bild. Und weil er Veganer ist und angeblich, einem Forenbeitrag im Internet zufolge, seine Gemüsekistenlieferung in Freiburg gestoppt hat, sind Gerüchte über einen Weggang vom Sportclub gerade schwer gefragt.

Waldschmidt ist aber vielleicht nicht mal der einzige Stürmer in der U21 für den Bundestrainer. Amiri, Doppeltorschütze gegen Rumänien, ist mit seiner Schnelligkeit womöglich auch eine Ergänzung. Marco Richter, bislang mit drei Toren aufgefallen, ist erst mal einer für die Rolle des Stars beim FC Augsburg, die nach der Entlassung von Co-Trainer Jens Lehmann vakant ist. Falls irgendwann aber mal wieder ein anderer Typ Mittelstürmer gebraucht wird, ein etwas wuchtigerer, dann könnte Lukas Nmecha, 20, gute Chancen haben. Er vergab gegen Rumänien zwar eine riesige Chance. Ihn hat der DFB aber extra aus England abgeworben.

Trainer

Stefan Kuntz war Polizist und Torjäger, zwischenzeitlich beides gleichzeitig. Er war Bundesliga-Torschützenkönig (zweimal), Nationalspieler (25 Mal) und Europameister 1996. Er ist ein witziger Erzähler, ein guter Moderator, ein Motivator. Er war auch ein höchst umstritten wirtschaftender Funktionär beim 1. FC Kaiserslautern. Nur eines wollte er nie mehr sein: Trainer. Das sagte er vor 15 Jahren. Seit 2016 ist er es nun doch bei der U21, und es gefällt ihm ziemlich gut. Es gefällt auch dem DFB, der den nicht so arg akademisch geprägten "Typ Ex-Profi", wie Schönweitz sagt, wieder stärker in die Nachwuchsausbildung integrieren möchte. Und es gefällt auch seinen Spielern.

Ein neuer Jogi? "Ich kann mir bei ihm Vieles vorstellen", sagt Henrichs. Kuntz selbst wird die Frage nach dem Bundestrainerjob nun ständig gestellt, er moderiert sie souverän ab. Als ihn ein rumänischer Journalist in Bologna fragte, hat Kuntz nach der Antwort immerhin gezwinkert.

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Quelle:
SZ vom 29.06.2019/dsz
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