Zum Abschluss der Gruppenphase bei der Europameisterschaft klagt der deutsche U21-Trainer Antonio Di Salvo über „Kopfschmerzen“. Die hatte er schon einmal zu diesem Turnierzeitpunkt, vor zwei Jahren, da war seine damalige Mannschaft mit einem mageren Pünktchen bereits blamabel ausgeschieden. Doch für seine aktuellen „Kopfschmerzen“ benötigt der 46-Jährige keine Tabletten, über dieses Kopfweh freute er sich sogar. Diese Schmerzen sind ein Privileg.
Das älteste Nachwuchsteam des Deutschen Fußball-Bunds hat erstmals in seiner Historie bei einer EM drei Siege in drei Gruppenspielen geschafft. Was diese Bilanz noch bemerkenswerter macht: Man hat den abschließenden 2:1-Erfolg gegen England am Mittwochabend in dem slowakischen Städtchen Nitra sogar mit einer Startelf auf den Weg gebracht, die Di Salvo gegenüber den beide Male identischen Startformationen bei den 3:0- und 4:2-Siegen gegen Slowenien und Tschechien auf allen elf (!) Positionen verändert hat. Nur Nahuel Noll, dritter Torwart aus Fürth, musste draußen bleiben. Im aufgeregten Medienjargon firmiert ein solcher Vorgang unter dem Begriff „Mega-Rotation“. Nüchterner betrachtet heißt das: Deutschland verfügt bei dieser U21-EM über zwei komplette konkurrenzfähige Mannschaften. Das grenzt an eine Sensation und wirft für den Trainer die Frage auf: Welche elf Spieler stellt er nun bloß am Sonntagabend im Viertelfinale gegen Italien (21 Uhr, Sat1) auf? Er hat die Qual der Wahl.

Paul Nebel bei der U21-EM:Nationalspieler oder Ire werden
Paul Nebel zeigt bei der U21-Fußball-EM, dass er ein Kandidat für das A-Team werden kann. Dort hießen seine Konkurrenten allerdings Florian Wirtz und Jamal Musiala. Eine Option ist deshalb auch das Geburtsland seiner Großmutter.
„Es ist schön, Kopfschmerzen deshalb zu haben, weil man viele Spieler reinbringen kann“, sagt Di Salvo. „Einmal die freie Auswahl“, heißt ein solches Privileg als Hauptgewinn an der Losbude auf dem Jahrmarkt. Wahrscheinlich wird der Trainer sich aber tendenziell wieder für jene Startelf entscheiden, die die ersten beiden Siege eingefahren hatte. Der Torwart Noah Atubolu und die bewährte Viererabwehr erscheinen ebenso unantastbar wie Eric Martel und Rocco Reitz auf der Doppel-Sechs sowie die Doppelspitze mit Nick Woltemade und Nicolo Tresoldi und die Flügelstürmer Brajan Gruda und Paul Nebel.
Leichte Migräne könnten dem Trainer die am Mittwochabend gezeigten einwandfreien Leistungen der Spieler Merlin Röhl und Paul Wanner im Mittelfeld sowie Ansgar Knauff und Nelson Weiper im Angriff bereiten. Knauff erzielte gegen England das 1:0 (3.) selbst, bereitete Weiper das 2:0 (33.) vor und wurde hinterher als Spieler des Spiels ausgezeichnet. Der Frankfurter ist auf dem rechten Flügel Herausforderer von Gruda, Weiper auf der Neun Herausforderer von Tresoldi.
Für Unstimmigkeiten sorgen die einzelnen Konkurrenz-Situationen im 23er-Kader dem Vernehmen nach überhaupt nicht. „Die Stärke dieses Kaders ist der Teamgeist“, betont Di Salvo. Der Mainzer Stürmer Weiper, dem im Viertelfinale die Rückkehr auf die Ersatzbank droht, sagt: „Klar will man immer spielen, aber wir sind nicht hier, um uns gegenseitig zu verdrängen – ich supporte jeden, der spielt.“
Bei einem Sieg gegen Italien würde Deutschland im Halbfinale auf Frankreich oder Dänemark treffen
So gefällt das dem Trainer. Genauso wie der nächste Gegner Italien. Di Salvos Eltern sind in den Siebzigerjahren aus Sizilien nach Ostwestfalen gekommen, 1979 wurde er in Paderborn geboren. Die italienische U21 ist in ihrer EM-Gruppe wegen des schlechteren Torverhältnisses Zweiter hinter Spanien geworden. Die acht Mannschaften, die sich für das Viertelfinale qualifiziert haben, sind genau jene, die man in der K.-o.-Runde erwartet hatte. In dieser Reihenfolge stehen sieben der acht Nationen in der aktuellen Weltrangliste (der A-Nationalmannschaften) in den Top Ten: Spanien, Frankreich, England, Niederlande, Portugal, Italien und Deutschland. Nur Dänemark fällt auf Platz 21 ein wenig ab.
Das Spiel Dänemark gegen Frankreich ermittelt den möglichen deutschen Halbfinalgegner. Für den Torjäger Weiper steht schon fest: „Wir wollen den Titel.“ Das Endspiel ist am übernächsten Samstag in Bratislava.