Süddeutsche Zeitung

Deutsche U21:Die Abschlussklasse von 2019

  • Die Achse der deutschen U21 besteht aus Spielern des Jahrgangs 1996.
  • Wenn sie die Junioren-Nationalelf nach der EM verlassen, müssen sie sich bei den Erwachsenen bewähren.
  • Bundestrainer Löw hat mit dem Jahrgang große Pläne.

Von Sebastian Fischer, Udine

Sein erster Auftritt in Italien abseits des Fußballplatzes war ein Schauspiel. Es war nach dem 3:1 gegen Dänemark, Kapitän Jonathan Tah hatte vor den Kameras seine Erklärungen begonnen, da stellte sich Mahmoud Dahoud dazu. "Ich bin der Personenschutz", sagte er und nickte bei jeder Antwort. Nach dem 6:1 gegen Serbien kickte er wortlos eine Plastikflasche durch die Interviewzone des Stadions. Und zwei Tage nach dem 1:1 gegen Österreich, das der deutschen U 21 den Einzug ins Halbfinale der Junioren-Europameisterschaft an diesem Donnerstag gegen Rumänien sicherte, begleitete Dahoud seinen Freund Nadiem Amiri zum Gespräch mit Journalisten im Mannschaftshotel. Auf eine Frage zur Hitze - bis zu 40 Grad heiß könnte es in Bologna zur Anstoßzeit um 18 Uhr werden - sagte Dahoud: "Ist wie beim Diesel. Am Anfang braucht er, dann läuft er."

Man merkt nicht unbedingt, dass Mahmoud, genannt: Mo Dahoud, 23, einer der erfahrensten Spieler der deutschen Mannschaft bei dem Turnier ist, der älteste gar. Dafür muss man ihm schon beim Fußballspielen zuschauen. Doch auch auf dem Platz stellt sich die Frage, ob er als erwachsener Profi seinem Talent gerecht wird. Am Sonntag ist EM-Finale. Danach, spätestens, ist Dahoud kein U 21-Nationalspieler mehr. Aber was ist er dann?

Der deutsche Junioren-Cheftrainer Meikel Schönweitz hat aus aktuellem Anlass am Dienstag über Rumäniens U 21 gesprochen, und er war besonders beeindruckt über die Altersstruktur des Gegners. "Die können fast mit derselben Mannschaft bei Olympia mitmachen", sagte er. Die deutsche Junioren-Auswahl wird dagegen bei den Spielen in Tokio im kommenden Jahr ganz anders aussehen.

Auch Sané und Werner könnten theoretisch noch in der U21 spielen

Ihre Achse, die das Team in diesen Tagen zu einem der reifsten des Turniers macht und auf deren Stärke es auch im Halbfinale wieder ankommen wird, besteht aus Spielern des Jahrgangs 1996: in der Abwehr Jonathan Tah, Timo Baumgartl und Lukas Klostermann, im Angriff Luca Waldschmidt, Levin Öztunali, vielleicht auch Amiri, der bislang nur eingewechselt wurde. Im Mittelfeld Maximilian Eggestein und eben Dahoud.

Dieser Jahrgang ist einer, von dem sie beim DFB besonders viel halten. "Die Jahrgänge 1995/'96 sind schon sehr, sehr gut", sagte nach einem 3:0 der A-Nationalelf gegen Russland im November der Bundestrainer Joachim Löw, "die 95/96er haben ja schon in unseren Juniorenmannschaften Erfolge gefeiert", und es sei "sehr gut vorstellbar, dass diese beiden Jahrgänge auf Dauer mal das Gerüst unserer A-Nationalmannschaft bilden werden". Was den gerade noch für die U 21 spielberechtigten Jahrgang '96 angeht, gilt das in der A-Elf bereits für Leroy Sané, Timo Werner, Julian Brandt und Thilo Kehrer; sie könnten theoretisch noch in der U 21 spielen, haben sich aber längst für Löws Elf qualifiziert. Aus der U 21 gehören Tah und Klostermann schon zum A-Kader, auch Eggestein war schon nominiert. Bleiben aus der bisherigen Turnier-Stammelf noch Waldschmidt, Baumgartl, Öztunali und Dahoud.

Waldschmidt spielt bislang ein herausragendes Turnier. Der Angreifer, seit der U 16 Junioren-Nationalspieler, spielte beim SC Freiburg in der vergangenen Saison erstmals in der Bundesliga konstant von Beginn an, als hängende Spitze. Bei der U21 besetzt er zwar die Position ganz vorne, doch er spielt ähnlich, lässt sich ins Mittelfeld zurückfallen. "Einen Horst sehe ich bei uns nicht", sagt U 21-Trainer Stefan Kuntz in Anlehnung an Horst Hrubesch, Deutschlands ewige Vergleichsgröße als Mittelstürmer. Waldschmidt ist ein variabler Angreifer, was die Gazzetta dello Sport nicht daran hinderte, ihn "il bomber" zu taufen, die Zeitung berichtet über angebliches Interesse von Lazio Rom. Fünf Tore hat Waldschmidt bislang geschossen, sein Treffer aus 30 Metern gegen Österreich war das schönste Tor des Turniers, Waldschmidt führt die Torjägerliste an. Der letzte deutsche Torschützenkönig einer U21-EM war 1982 Pierre Littbarski.

Öztunali erreicht in Italien nicht dieses Niveau, auch wenn er, wie Kuntz betont, sehr wichtig für die Mannschaft sei. Das 1:0 gegen Serbien bereitete er mit einem feinen Pass vor. In der U 21 spielt er als Außenstürmer, lebt auch von seiner Physis, bei Mainz 05 ist er eher Achter im Mittelfeld, doch er sitzt dort oft auf der Bank. An seiner Effektivität könne er noch arbeiten, sagte er vor ein paar Tagen. Öztunali, der mit 28 U 21-Länderspielen die zweitmeisten aller Fußballer in der DFB-Geschichte absolviert hat, galt allerdings noch nie als aussichtsreichster Kandidat für die A-Nationalmannschaft. Ähnliches lässt sich über den Innenverteidiger Baumgartl sagen, der selbst beim Absteiger VfB Stuttgart in der vergangenen Rückrunde kaum spielte. Dahoud dagegen galt zu Beginn seiner Karriere als Borussia Mönchengladbachs vielleicht größtes Talent seit Günter Netzer.

In den ersten drei Spielen in Italien waren seine Stärken zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder konstant zu sehen. Er spielte die kleinen Pässe und traute sich auch die großen zu, denen sonst oft das richtige Tempo fehlt. Ihm unterliefen kaum Flüchtigkeitsfehler, er bestimmte den Rhythmus. Er setzte auch seinen Körper ein, um sich Raum und Zeit zu verschaffen. Nach dem Spiel gegen Serbien erklärte Kuntz, dass sich oft genau dann Räume ergeben hätten, wenn sich Dahoud wie verabredet zwischen die Innenverteidiger fallen ließ, um von dort die Angriffe einzuleiten.

Die Konkurrenz beim BVB wird nicht kleiner

Was gegen Gleichaltrige klappt, war bei Borussia Dortmund, wo er seit 2017 spielt, zuletzt selten zu sehen gewesen. Unter Trainer Lucien Favre, eigentlich sein alter Förderer aus Gladbach, stand er nur sieben Mal in der Bundesliga-Startelf. Und die Konkurrenz beim ambitionierten BVB wird demnächst eher nicht kleiner sein.

"Wir sind das Herz der Mannschaft" so hat Dahoud 2016 der SZ in einem seiner wenigen Interviews seine taktische Rolle in der Doppelsechs beschrieben, ausnahmsweise ganz ohne es albern zu meinen. Ob auf der Sechs oder der Acht, ob im Verein oder in der Nationalelf, das sei alles das gleiche, sagte er nun am Dienstag. Und er ließ lieber Amiri antworten auf die an beide gestellte Frage, ob sie hoffen, nach dem Turnier weiter für den DFB zu spielen.

Amiri sagte, die A-Elf sei für jeden ein Traum. "Aber wir denken nicht an danach, wir genießen den Moment." Dahoud stand dahinter und nickte.

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Quelle:
SZ vom 27.06.2019/ebc
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